Aus den Augen, aus dem Sinn
Auf einmal wurde das Unmögliche machbar: Nachdem Präsident Hollande vor einem Monat ankündigte, er wolle den Flüchtlings-Slum von Calais schließen, fand die französische Verwaltung plötzlich rund 7000 Aufnahmeplätze für die Bewohner in allen Regionen des Landes. Jahrelang hatte Paris sich geweigert, die Menschen irgendwo würdig unterzubringen, die mit der Hoffnung auf die Weiterreise nach Großbritannien an die französische Nordküste gekommen waren. Alles ist voll, so hatte die Antwort stets gelautet.
Das Lager ist ein Zeichen politischer Feigheit
Der sogenannte "Dschungel" von Calais war ein Ergebnis einer französischen Migrationspolitik, die sich im Wegschauen übt. Und das Lager zeigt das Versagen der Regierung Hollande, die sich hier aus politischer Feigheit vor ihrer Verantwortung drückte. Denn die Zustände in Calais sind seit Jahren bekannt, der riesige neue "Dschungel" am Rande des Hafens war entstanden, nachdem man frühere Lager geschlossen hatte, ohne den Menschen eine andere Bleibe anzubieten.
Dieser Flüchtlings-Slum war ein Schandfleck. Er stank im Sommer zum Himmel und versank im Winter im Schlamm. Aber London und Paris taten so, als ob sie damit nichts zu tun hätten. Die Briten hatten ihre Grenzkontrollen auf französischen Boden verlagert - also sollte Frankreich sich um die Menschen kümmern. Paris wiederum betrachtete die Migranten eher als britisches Problem, und tat ebenfalls nichts. Erst der beginnende Wahlkampf brachte Bewegung, denn der rechtsradikale Front National benutzte den "Dschungel" mit Erfolg als Munition gegen die Regierung.
Das Lager ist eine Schande für Europa
Großbritannien hatte sich frühzeitig zu Beginn der Flüchtlingskrise hinter dem Ärmelkanal verschanzt. Aus London kam wie üblich Null-Solidarität. Und Frankreich wagte wegen seiner radikalen Rechten kein Bekenntnis zu einer humanen Flüchtlingspolitik und schaute einfach weg. Erst die dauernde Aufmerksamkeit der Medien machte den "Dschungel" zu einer politischen Peinlichkeit, die sich nicht mehr ignorieren ließ.
Leider ist dies keine Geschichte, in der am Ende alles gut wird. Denn die Migranten werden über ganz Frankreich verstreut, ohne zu wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Sie wurden nicht über ihre Rechte aufgeklärt, und es gab keine humanitären Zusagen, außer dem Versprechen auf ein paar Wochen Ruhe in der französischen Provinz.
Viele von ihnen werden wohl in ein paar Monaten zurückwandern an die Küste und erneut versuchen, Frankreich zu verlassen. Andere tauchen gleich in der Gegend um Calais unter, weil sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, den Ärmelkanal überqueren zu können. Ihr Leben wird in neuen wilden Lagern noch schwerer werden, als es im "Dschungel" war.
Das Thema ist vorerst vom Tisch
Die französische Regierung wird zufrieden sein, wenn sie das Lager jetzt beseitigt und die Menschen über das Land verstreut hat. Sie hat die Probleme des "Dschungels" nicht gelöst, sondern nur umverteilt. Aber für Paris gilt hier: Aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn die Presse aufhört, über das humanitäre Desaster von Calais zu schreiben, dann wird es bald vergessen sein. Menschliche und verantwortungsvolle Politik sieht anders aus.
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