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Die Maschinerie läuft wieder

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt
3. Juli 2020

FC Bayern-Neuzugang Leroy Sané ist sportlich zweifelsfrei ein bedeutender Transfer, aber mit seinen Begleitumständen auch exemplarisch für eine Branche, der weiter die Bodenhaftung fehlt, so DW-Redakteur David Vorholt.

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Zehn Millionen Euro fehlen noch für Sané-Transfer
Bild: picture-alliance/dpa/M. Rickett

Eines vorweg: Der Zeitpunkt, um zu beurteilen, was genau sich im Millionengeschäft Profifußball durch die Corona-Krise nachhaltig zum Guten oder auch zum Schlechten gewendet hat, ist noch lange nicht gekommen. Man kann aktuell lediglich Eindrücke gewinnen, die sich später zu einem Gesamtbild zusammenfügen, denn: Entwicklungen brauchen - im Gegensatz zu Absichtserklärungen - Zeit.

Die Verantwortlichen des Profifußballs ließen zuletzt keine Möglichkeit aus, den Reformbedarf des Fußballs zu betonen. Der Profifußball mahnte sich zigfach selbst zur Erdung, zur Rückbesinnung auf seine Basis. "Ein weiter so darf es nicht geben” - so das Mantra. 

Jüngstes Beispiel: Die Verantwortlichen von Schalke 04, die auf einer Pressekonferenz anlässlich des Rücktritts des über 19 Jahre allgegenwärtigen Aufsichtsrats-Boss Clemens Tönnies genau dieses Mantra vortrugen und glaubhaft zu verkörpern versuchten. Ob es ihnen gelingt, wird sich zeigen. 

Manchmal sind die handelnden Personen in diesem Geschäft ja auch ganz schnell weg - Schalke 04 war in den letzten Jahren mehr als einmal ein Beispiel dafür. Und dann sind eben andere da. 

Paradebeispiel Sané-Transfer 

Aufs Stichwort: "Er ist da", schrieb der Sport-Sender Sky Sport News HD kurz und knapp bei Facebook. Zu sehen war auf den Bildern nur ein rotes Auto, das von Fotografen umzingelt in einer Tiefgarage stand. Wer ist da? kann man sich durchaus fragen, wenn man wie viele Millionen Menschen in diesem Land vielleicht fußballinteressiert, aber eben nicht vernarrt ist in diesen Sport.

Klar ist: Der Fußball ist den Deutschen nicht egal. Sonst würde es solch emotionale Debatten in allen Teilen der Gesellschaft nicht geben. Klar ist aber auch: Der Profi-Fußball hat die Tuchfühlung zu Gesellschaft irgendwo verloren - je nach Lesart teilweise oder vollständig. 

Die Symptome, die diese Entfremdung befeuern, sind gerade wieder zu beobachten - der Rummel um Leroy Sanés Wechsel von Manchester City nach München ist ein Paradebeispiel dafür. Landung im Privatjet auf einem Sonderflughafen. Reporterscharen am Bayern-Klubgelände an der Säbener Straße und am Krankenhaus, in dem Sanés Medizincheck durchgeführt wurde.

Breaking News alle paar Minuten. Was hat er an? Lächelt er oder nicht? Früher mussten für diese Art der medialen Hyperventilation US-Präsident Kennedy oder der Schah von Persien zum Staatsbesuch kommen. Heute reicht dafür ein 24-Jähriger Fußballer, der zwar ein großes Talent, aber auch beileibe kein Kicker vom Gardemaß Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi ist. 

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DW-Redakteur David Vorholt

Die rund 50 Mio. Ablöse, die nach Manchester fließen, werden fast schon als Schnäppchen angesehen. Standen doch vor Sanés Kreuzbandriss im Sommer 2019 und der Corona-Krise rund 120 Millionen als Ablöseforderung im Raum. Da ist auch mancher Journalist scheinbar der Meinung, der FC Bayern hätte hier einen Spieler zum Sonderangebotspreis ergattert. Timo Werners Wechsel zum FC Chelsea für rund 50 Millionen und Ablösesumme-Phantasien jenseits der 100-Millionen-Euro Marke für Leverkusens Kai Havertz tun da ihr übriges.

Man muss nicht immer nach England oder Spanien schauen, um die Transfersummen-Phantasterei des Fußballs zu sehen. Und berichtet wird darüber, als sei es "das normalste der Welt". Oder ist es das sogar nach wie vor? Auch die Medien und wir Protagonisten müssen sich fragen, ob sie den Fußball kritisch und maßvoll beäugen oder nur im "höher, schneller, weiter System" immer neue Superlative jagen und befeuern. 

"Warum nicht auch einmal deutscher Meister?" 

Der Rummel um Sanés Wechsel wird Skeptikern die Falten auf die Stirn treiben. Ob der Geist, den der Fußball mit immer neuen finanziellen Sphären freigelassen hat, jemals wieder in die Flasche zurückbefördert werden kann, darf mit Recht bezweifelt werden. Es darf sogar die Absicht des Fußballs bezweifelt werden, überhaupt nur das Geringste in diese Richtung bewirken zu wollen.

Vor wenigen Tagen gab Millionär Lars Windhorst bekannt, zusätzlich zu den 240 Millionen Euro aus dem vergangenen Jahr noch einmal 150 Millionen Euro in den Hauptstadtklub Hertha BSC investieren zu wollen. Das ist in etwa die Summe, die der bei vielen Fans nicht sonderlich beliebte Mäzen Dietmar Hopp innerhalb von 30 Jahren in die TSG Hoffenheim gesteckt hat.

"Warum nicht auch einmal deutscher Meister?", fragt Windhorst. Träumen soll man, aber dass man in der aktuellen Situation und nach einer Saison mit Possen um Ex-Trainer Klinsmann und Stürmer Kalou derartige Dinge von sich gibt, lässt schon auf fehlende Bodenhaftung schließen. Wenngleich weder Windhorst noch Hertha stellvertretend für die Branche stehen - aber doch exemplarisch. 

Ich habe nicht das Gefühl, dass sich im Millionengeschäft Profifußball Dinge nachhaltig und fundamental ändern werden. Das betonten auch zuletzt eine Reihe namhafter Profis, unter anderem 2014er-Weltmeister Toni Kroos. Der Markt gibt es her, der Markt reguliert sich selbst. Wie gesagt: Es ist für eine Beurteilung viel zu früh und auch nur ein Gefühl, aber die Zeichen stehen ganz klar auf "die Maschinerie läuft" wieder. Sie darf auch nicht vollends stoppen, denn der Fußball ist und bleibt wichtig. Die Frage lautet aber: Läuft sie weiter wie zuvor oder anders? 

Schalke 04 verkündet einen Tag nach der Pressekonferenz, die in die jüngere Fußballgeschichte eingehen könnte, ein Frauenteam zu gründen. Gestartet wird in der Kreisklasse. Gespielt wird in Gelsenkirchen, Herne und anderen Ruhrgebietsstädten - wer da zuschaut wird ganz bestimmt kein Teil einer Maschinerie sein. Und vielleicht entsteht ja dort ein neuer Geist, der sich auch auf die große Fußballbühne auswirkt - bei Schalke 04 und anderen Klubs. Zweifel daran sind aber mindestens berechtigt und wahrscheinlich auch angebracht.

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David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion