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Kommentar: Russland disqualifiziert sich selbst

7. Dezember 2006

Die britische Polizei nennt den Gifttod des russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko inzwischen "Mord". Scotland Yard ermittelt – Russland mauert. Wie könnte es auch anders sein, befindet Cornelia Rabitz.

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Auftragsmorde, mysteriöse Todesfälle, Machenschaften geheimer Organisationen, Kapitalismus in Reinform, auftrumpfendes Gehabe von Politikern und Wirtschaftsführern und, so scheint es, ein völliger Verlust moralischer Standards: Das Bild Russlands in der Welt könnte schlimmer nicht sein, als es sich zurzeit darbietet. Es ist erschreckend, wenn nicht gar beängstigend.

Russland im Zwielicht

Was derzeit in Russland geschieht, übertrifft wohl noch das, was in den auch hierzulande so beliebten russischen Kriminalromanen geschildert wird. Kritische Journalisten, Manager, Geschäftsleute oder Geheimdienstler, die sich missliebig gemacht haben, werden erschossen oder vergiftet. Es findet sich offenbar immer jemand, der einen wirtschaftlichen Konkurrenten oder politischen Rivalen umbringt.

Und niemand darf darauf hoffen, dass die Morde zügig aufgeklärt, die Verantwortlichen und Hintermänner zur Rechenschaft gezogen werden. Von wem auch? Die Polizei wird miserabel bezahlt und arbeitet schlecht. Die Repräsentanten der russischen Justiz gehen am Zügel der politischen Macht. Sie verfolgen eine Politik der Beschwichtigung, der Irreführung und Abschottung - wie sich jetzt bei den Ermittlungen im Mordfall Litwinenko wieder gut beobachten lässt.

Innere Zügellosigkeit

Russlands Image ist schwer beschädigt - nicht etwa, weil eine missgünstige westliche Presse eine tendenziöse, die Tatsachen verdrehende Berichterstattung pflegt, wie das von offizieller russischer Seite so gerne behauptet wird. Ausschlaggebend sind vielmehr die inneren Zustände des riesigen Landes, die Widersprüchlichkeiten der russischen Politik, ihre Regellosigkeit, Maßlosigkeit und Willkür. Und nicht zuletzt trägt das Verhalten der politischen Eliten dazu bei, dass in der Welt das Misstrauen wächst gegen den wirtschaftlich mächtigen, ressourcenreichen Riesen im Osten.

Wo sind die Institutionen, die der um sich greifenden Rechtsunsicherheit Einhalt gebieten? Wo die Politiker, die sich energisch dagegen verwahren, dass durch die Eigenmächtigkeiten zwielichtiger Gestalten ein ganzes Land in Verruf gerät? Wo ist das Machtwort des angeblich so starken Präsidenten?

Verrohte Sitten

Die Schattenkrieger aus dem Reich der Geheimdienste führen ein Eigenleben - von Präsident Putin persönlich dazu ermutigt und im Zentrum der Macht etabliert. Der Mord an dem Ex-KGB-Mitarbeiter Litwinenko mit einer hochradioaktiven Substanz, Marktwert fast 30 Millionen Euro, zeigt, dass es dem- oder denjenigen, der oder die die Strippen gezogen haben, an Mitteln ganz offensichtlich nicht mangelt. Auch, wenn noch längst nicht geklärt ist, wer es war, und ob die Hintermänner tatsächlich in Moskau zu suchen und zu finden sind. Trotzdem: Die russische Politik scheint geradezu infiziert von dunklen Mächten und Machenschaften. Wie zu sowjetischen Zeiten herrscht ein Klima der Verrohung und Brutalisierung, eine Atmosphäre von Angst und Unsicherheit. Einen verlässlichen Partner stellt man sich wahrlich anders vor.

Putin Opfer seiner selbst?

Kurz vor zwei wichtigen Wahljahren - 2007 wird in Russland das Parlament, 2008 ein neuer Präsident gewählt - präsentiert sich das Land als ein im Inneren instabiler und zunehmend repressiver Staat. Möglich, dass sich derzeit potentielle Nachfolger des Präsidenten in Stellung bringen. Möglich, dass rivalisierende Kreise um die beste Ausgangsposition rangeln. Die auch außerhalb Russlands agierenden Geheimdienste, die Wladimir Putin politisch gehätschelt hat, haben sich wohl der staatlichen Kontrolle entzogen. Mit Blick auf den Präsidenten hieße dies: Am Ende könnte Wladimir Putin das prominenteste Opfer sein – und zwar seiner eigenen Politik.

Cornelia Rabitz
DW-RADIO/Russisch, 7.12.2006, Fokus Ost-Südost