Kurden und Türken in Deutschland: "Mensch ist doch Mensch"
25. Oktober 2019Cem ist Taxifahrer mit kurdischen Wurzeln. In sein Taxi in Köln steigen häufig Deutsch-Türken. Fahrgäste, die Erdogans Politik, den türkischen Einmarsch in kurdische Gebiete im Norden Syriens verteidigen. Das gehe alles gar nicht, findet Cem. Er äußert seinen Unmut und seine Enttäuschung über die türkische Seite, die angeblich in Moscheen in Deutschland für ihre Soldaten beten lasse.
Der Konflikt zwischen kurdisch- und türkisch-stämmigen Deutschen schwelt schon seit Jahrzehnten. Immer wieder gab es in der Vergangenheit auch heftige Zusammenstöße auf Demonstrationen. In Köln hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausländische Wurzeln. Die größte Einwanderer-Gruppe in der eine Million-Einwohnerstadt sind dabei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Dabei unterscheidet das Amt für Stadtentwicklung und Statistik gar nicht zwischen Türken und Kurden.
"Ist doch egal, ob Türke oder Kurde!" Eine türkische Verkäuferin in einem der Lebensmittelläden erzählt, sie sei früher mit einem Kurden verheiratet gewesen. Gegen Kurden habe sie nie etwas gehabt. Nur gegen die PKK. Das seien Terroristen. Aber Erdogans Aktionen in Nordsyrien könne sie dennoch nicht gut heißen. Gespräche mit Betroffenen in der Domstadt zeigen: Auf beiden Seiten wird politisch Heikles nicht wirklich offen ausgesprochen. Aber die Konflikte schwelen unter der Oberfläche weiter. Der Aussage "Wir sind doch alle Brüder" wird zum Beispiel sofort widersprochen.
Wie groß die Gräben wirklich sind
Dikkaya, ein türkischer Zulieferer von Tiefkühlkost, kann die Ausschreitungen, die es zwischen Kurden und Türken im Ruhrgebiet gegeben hat, dennoch nicht nachvollziehen. Dort kam es zu Verwüstungen und Messerangriffen. Er käme viel herum und könne daher sagen: Die Krawalle würden nicht den Alltag widerspiegeln.
Rückendeckung erhält Dikkaya mit seiner Einschätzung von Polizeisprechern, die die Ausschreitungen in Bottrop, Lüdenscheid und Herne im Gespräch mit der DW als "Ausnahmeerscheinungen" bezeichnen. Die Lage habe sich vor allem durch angereiste Aktivisten, nationalistische Kurden und Türken, auf den Demonstrationen zugespitzt. Für andauernde Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken, also ansässigen Einwohnern in den Städten selbst, gebe es keine ausreichenden Belege.
So leben auch in vielen Kölner Stadtvierteln kurdisch- und türkischstämmige Deutsche seit Jahren miteinander - oft Wand an Wand. Sie arbeiten zusammen oder trinken gemeinsam Tee. Doch wenn man derzeit wissen möchte, wie sich dieses Verhältnis entwickelt, dann verwandeln sich offene, freundliche Gesichter plötzlich in verschlossene Mienen. Auf beiden Seiten heißt es dann häufig nur kurz: "Lieber nicht zu dem Thema" oder "Politik verdirbt viel zwischen den Menschen."
Es herrscht eine Mischung aus Ängstlichkeit und Vorsicht. Man will möglichst niemanden mit Worten verletzen oder provozieren und auch nicht selbst Ärger bekommen. So möchte niemand fotografiert werden, selbst ihren Vornamen wollen viele nicht nennen. Die meisten, vor vielen Jahren der Arbeit wegen nach Köln gekommen, müssen oder wollen weiter in Frieden miteinander leben. Oder sie möchten in und über die Türkei verreisen und fürchten sich vor Repressalien. Geschäftsleute wollen keine Kunden verlieren. Dementsprechend geht es nach den Demonstrationen derzeit ruhig in den Straßen zu. Alltag. So scheint es.
Eskalation bleibt jederzeit möglich
Auf den Straßen, in denen Kurden und Türken zusammenleben, patroulliert die Polizei in Köln regelmäßig mit Einsatzwagen. Derzeit alle zwei Stunden. Einige Café- und Restaurantbetreiber verzichten auf den sonst unablässig leuchtenden Fernseher, um mit Nachrichten nicht Emotionen unter den Gästen zu wecken.
Viele der befragten Anwohner stimmen in einer Einschätzung überein: "Noch ist alles hier relativ ruhig, aber wenn sich die Ereignisse in Nordsyrien weiter zuspitzen, kann sich das schnell ändern. "Hoffentlich passiert das nicht", ist von Deutsch-Kurden und Deutsch-Türken immer wieder zu hören. Im übrigen - sagen sie - gebe es weder DIE Kurden, noch DIE Türken. Solche Verallgemeinerungen erschwerten nur das Miteinander. Der Konflikt in Nordsyrien soll das Zusammenleben in Deutschland nicht vergiften, so die überwiegende Haltung in Köln. Dikkaya, der türkische Fahrer, bringt es auf einen Satz: "Mensch ist doch Mensch".