Kuwaits zittriger Reformkurs
6. November 2012Kuwait ist ein kleines Land. Gerade mal 160 Kilometer erstreckt es sich in nord-südlicher und west-östlicher Richtung. Aber dennoch wirft diese überschaubare Fläche seit langem eine in der Politik des Emirats heftig umstrittene Frage auf: In wie viele Wahlbezirke soll man sie aufteilen? Welche Arithmetik repräsentiert die Vorstellungen der Bevölkerung wie auch die politische Identität der einzelnen Regionen am besten?
Wahlkreisarithmetik
Antworten darauf hat es viele gegeben. Zehn Bezirke reichten, glaubte man kurz nach der 1962 erreichten Unabhängigkeit des Landes. Dann erhöhte man ihre Zahl auf 25, um sie später wieder auf fünf zu reduzieren.
Ihre Brisanz erhielten die jeweiligen Einteilungen durch die Parlamentsabgeordneten, die jeder Bezirk stellen sollte – und mit der Frage, wie vielen von ihnen die einzelnen Wähler ihre Stimme geben dürfen. Verschiedene Kombinationen brachten verschiedene Ergebnisse, die dann auch den Kurs der jeweiligen Abgeordnetenversammlung beeinflussten. All dies konte aber nicht verhindern, dass sich Mitglieder des vorletzten Parlament in einen großen Bestechungsskandal verstrickten. Daraufhin wurde dieses im Dezember 2011 aufgelöst.
Die Neuwahlen im Februar 2012 brachten dann eine bunte Koalition aus Islamisten, Stammesvertretern und Säkularisten hervor, die sich durch einen besonders eigenständigen Kurs gegenüber der Regierung auszeichnete. Doch der oberste Gerichtshof erklärte die Wahlen nach vier Monaten für ungültig und ordnete Neuwahlen an. Diese sollen am 1. Dezember stattfinden, und zwar unter einem wiederum neuen Wahlgesetz. Dieses, fürchten viele Kuwaiter, soll das Parlament der Regierung möglichst gefügig machen. Dagegen erhob sich Protest, der teils gewaltsam unterbunden wurde. Zudem fordern die Demonstranten, dem Parlament größere Rechte gegenüber der Regierung wie auch dem Emir einzuräumen - und das Land so in eine echte parlamentarische Monarchie zu verwandeln.
Das Ringen um eine konstitutionelle Monarchie
Kuwait habe einen Punkt erreicht, an dem das bisherige politische System nicht mehr befriedigend funktioniere, erklärt Kristian Coates Ulrichsen, Nahost-Analyst vom britischen Think-Tank "Chatham House". Parlament und Regierung stünden sich in scharfer Gegnerschaft gegenüber. Im Zentrum der Debatte stehe die Frage, ob Kuwait eine ernsthafte parlamentarische Monarchie wird. Auch die Frage nach der Verantwortung der Regierung dem Parlament gegenüber werde verhandelt. "Würde das Ansinnen umgesetzt, wäre Kuwait die erste parlamentarische Monarchie der Golfstaaten. Die Debatte hat also erhebliche Konsequenzen."
Kritik am Emir verboten
Im Zuge dieser Debatte und der sie begleitenden Proteste kritisierte der Oppositionspolitiker Musallam al-Barak vor Tausenden von Anhängern den Emir. "Wir werden Ihnen, Hoheit, nicht erlauben, Kuwait in den Abgrund der Autokratie zu führen. Wir fürchten Ihre Gefängnisse und Schlagstöcke nicht mehr." Bereits im Zuge des Korruptionsskandals im Jahr zuvor hatte sich Al-Barak an einem Sturm auf das Parlament beteiligt. Darüber verlor er seine parlamentarische Immunität. Nun wurde er verhaftet, kam gegen eine Kaution aber wieder frei.
Mit seiner Ansprache habe Al-Barak eine rote Linie überschritten und ein Tabu gebrochen, erklärt Ulrichsen. "Was Al-Barak öffentlich und unterstützt von tausenden Anhängern tat, bedrohte den Emir unmittelbar. So etwas war in Kuwait bislang unbekannt."
Breite Unterstützung für Reformen
Die Kritik am Emir sei in Kuwait immer schon strafbar gewesen, erklärt Regina Spöttl, bei Amnesty International für die Beobachtung der Golfstaaten verantwortlich. Wer ihn kritisiere, riskiere bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug. "Zwar hat Kuwait eine der ältesten parlamentarischen Traditionen in der Golfregion. Aber es ist trotzdem noch keine wirkliche konstitutionelle Monarchie." Nach wie vor habe der Emir das Recht, das Parlament aufzulösen. "Es hat eine im Grunde nur beratende Funktion."
Doch wohin die derzeitigen Proteste führen, sei noch unsicher, erklärt Ulrichsen. Die kuwaitische Bevölkerung sei gespalten. Nicht alle Bürger schlössen sich den Forderungen der Opposition an. Dennoch gäbe es hohe politische Erwartungen und viel Unterstützung für Reformforderungen. Ob das Parlament sie allerdings umsetzen könne, hält er für fraglich. Das liegt an dem Umstand, dass es in Kuwait keine im eigentlichen Sinn politischen oder ideologischen Parteien gibt. Die Kuwaitis hätten eine ausgeprägte Neigung zu entweder individuellen oder populistischen Standpunkten. Das trage dazu bei, die Opposition zu schwächen. "Denn ihre Vertreter haben keine starke Vision, auf die sie sich stützen können."
Dennoch werde sich das Emirat verändern, glaubt Spöttl. Obwohl der Emir das bisherige Versammlungsgesetz aufgehoben habe, gingen die Menschen auf die Straße. "Sie haben Mut gefasst durch die Vorgänge in Tunesien und Ägypten letztes Jahr." Nun verlangten sie eine echte parlamentarische Monarchie.
Der Wind des Wechsel weht schon seit längerem über die arabische Halbinsel. Es scheint, als habe er endgültig nun auch Kuwait erreicht.