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Der Siegeszug des Samba

26. November 2016

Er ist mitreißend und melancholisch, poetisch und politisch: Brasilien feiert in diesem Jahr die hundertjährige Erfolgsgeschichte des Samba. Rückblick auf einen weltweiten und einzigartigen Siegeszug.

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Karneval in Rio Brasilien
Bild: picture-alliance/dpa/Citypress24

"Samba ist zum Synonym für Brasilien geworden", heißt es in dem Dossier zum 100-jährigen Jubiläum des Samba vom "Centro Cultural Cartola" in Rio de Janeiro. "Der Samba und seine Protagonisten haben entscheidend zur Bildung der nationalen brasilianischen Identität beigetragen."

Auch wenn der Samba schon wesentlich länger als 100 Jahre existiert, der 27. November 2016 gilt als offizieller Gründungstag. Denn an diesem Datum wurde der Song "Pelo Telefone" (deutsch: "Am Telefon") des brasilianischen Komponisten Donga als erster Samba in der brasilianischen Nationalbibliothek registriert.

Brasiliens musikalische Visitenkarte hat einen weltweiten Siegeszug angetreten, den sich seine Gründerväter wohl in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätten. Einst als minderwertige Musik ehemaliger Sklaven und deren Nachfahren gebrandmarkt und verboten, gilt der Samba heute als Inbegriff brasilianischer Kultur.

Spiegel der brasilianischen Seele

Damit nicht genug: 2005 wurde der Samba von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit deklariert. Für den Samba trommeln mittlerweile Musiker auf der ganzen Welt: Im Karneval von Köln, in der Carnegie Hall in New York oder beim Asakusa Samba Karneval in Japan. 2016 wurde der Samba im Rahmen des Welttanzprogramms zum Tanz des Jahres gekürt, den man in jeder Tanzschule in Deutschland lernen kann. 

Der weltweite Siegeszug des Samba, der bei den religiösen Kulten ehemaliger Sklaven in Bahia begann, gründet auf kraftvollen Rhythmen, gesellschaftlicher Widerstandskraft und musikalischer Kreativität. "Mit der Gründung von Sambaschulen gelang es Afrobrasilianern, bei Karnevalsumzügen öffentliche Räume zu besetzen und soziale Anerkennung einzufordern", heißt es im Samba-Dossier.

In Brasilien selbst wird mit dem Begriff Samba daher viel mehr verbunden als nur eine erfolgreiche musikalische Stilrichtung. Samba gilt als Spiegel der brasilianischen Seele, als philosophische Lebenseinstellung, als das emotionale Grundrauschen einer ganzen Gesellschaft, als Blues made in Brazil.

"Politischer, sozialer und ethnischer Widerstand - all dies spiegelt sich im Samba wider", erklärt Lara Brück-Pamplona, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Portugiesisch-Brasilianischen Institut der Universität Köln und Mitarbeiterin der Deutsch-brasilianischen Gesellschaft (DBG). "Er beschreibt die Kunst vieler verarmter Brasilianer, sich trotz enormer Schwierigkeiten im Alltag ihren Optimismus zu bewahren."

"Samba ist demokratisch"

Im Gegensatz zu der Ausgrenzung und Diskriminierung, die viele Favela-Bewohner in Brasilien bis heute zu spüren bekommen, steht der Samba allen gesellschaftlichen Schichten offen. So können am Umzug der Sambaschulen beim Karneval in Rio auch Touristen teilnehmen - wenn sie ein Kostüm kaufen und an den Proben teilnehmen.

"Der Samba ist demokratisch, jeder kann mitmachen", erklärt Lara Brück-Pamplona. Doch auch wenn der Samba mittlerweile in alle gesellschaftlichen Schichten vorgedrungen ist und als Symbol für den brasilianischen Schmelztiegel gilt: "Bis zur Überwindung des Rassismus ist es auch in Brasilien noch ein langer Weg", meint die Samba-Expertin.

Deutschland Fußballfest mit Samba Band vor der Paulus-Kirche in Dortmund
Brasilianisch, deutsch, global: Bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland trommelten deutsche und brasilianische Fans gemeinsam - hier vor der Paulus-Kirche in DortmundBild: Imago/epd

Musikalische Sozialkritik

Während der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) diente der Samba als subtiles Instrument der Subversion. Schriftsteller und Komponisten im Exil wie Caetano Veloso, Gilberto Gil und Chico Buarque bauten in scheinbar harmlose Kehrverse ihren Protest gegen das Regime ein.

Der Komponist Zé Keti wurde deutlich: "Ihr könntet mich verhaften und schlagen, meine Meinung werde ich nicht ändern", textete er 1965 in seinem Hymne "Opinião" (deutsch: "Meinung"). Der 1921 in Rio geborene Samba-Komponist galt als Stimme der Armen. Seine Texte sind eine bittere Anklage gegen die soziale Apartheid der brasilianischen Klassengesellschaft, auch wenn sie von eingängigen und markanten Rhythmen getragen werden.

Sein Lied "Acender as velas" (deutsch: "Die Kerzen anzünden"), der das Leben in einer Favela in Rio de Janeiro beschreibt, gilt als einer der traurigsten Sambas Brasiliens: "Noch ein Herz, das aufhört, zu schlagen. Ein Engel steigt zum Himmel auf. Gott möge mir verzeihen, aber ich muss es sagen: Der Arzt ist zu spät gekommen. Hier auf den Hügel kommt kein Auto, es gibt kein Telefon, die Menschen sterben, ohne sterben zu wollen. Kerzen anzünden ist hier ein Beruf."

Traurig und hoffnungsvoll

Der brasilianische Diplomat und Dichter Vinicius de Moraes, der zu den privilegierten Vertretern dieser von Keti kritisierten Klassengesellschaft gehörte, sah es genauso. "Wer aus der Favela kommt, hat keine Chance" (portugiesisch: "O morro nao tem vez"), schrieb er.1969 entließen ihn die Militärs aus dem diplomatischen Dienst. Danach hatte Moraes Zeit für Musik: Mit dem Komponisten Antonio Carlos Jobim schrieb er über 500 Bossa Nova, darunter den Text des weltberühmten Bossa-Nova-Hits "Girl from Ipanema".

In seinem "Samba da Bencão" (deutsch: "Samba der Segnung") gelang ihm eine der besten Definitionen des brasilianischen Musik-Phänomens: "Ein guter Samba ist eine Form des Gebets. Samba ist Trübsal, aber er bewegt sich. In ihm schwingt immer die Hoffnung mit, eines Tages nicht mehr traurig zu sein."