Letzte Rettung Weihnachtsgeschäft
6. Dezember 2013Peter Schrade duckt sich unter den Glaskugeln hervor, die von der Decke seines Weihnachtsmarktstandes hängen. In fehlerfreiem Englisch erklärt er der Kundin vor seinem Büdchen, wie das Glasamulett gefertigt wird, das sie vorsichtig gegen das Licht hält. Unzählige Ketten hat der Glashandwerker an seinem Stand aufgereiht – alle hat er gemeinsam mit seiner Frau handgefertigt. Seit Mai produziert das Paar fürs Weihnachtsgeschäft. "In den letzten drei Monaten machen wir ungefähr die Hälfte des Jahresumsatzes." Seiner Branche geht es schlecht: Die Billig-Importe aus China machen dem deutschen Glashandwerk zu schaffen.
Damit ist Peter Schrade besonders auf das Weihnachtsgeschäft angewiesen. Hier kommen viele Shopping-Touristen aus Frankreich, England, Belgien oder den Niederlanden auf den Markt am Kölner Dom und das Geld sitzt locker. Im Durchschnitt gibt jeder Besucher 30 Euro auf dem Weihnachtsmarkt aus - besonders nachgefragt wird Weihnachtsdekoration. Essen und Getränke vor Ort sind da noch nicht eingerechnet. "Es ist wirklich zauberhaft", erzählt Anne, die gemeinsam mit ihrem Mann über den Markt schlendert. Das Paar ist aus Schottland angereist. "Die deutschen Märkte sind in Schottland sehr bekannt. Bei uns gibt es so etwas nicht."
Ohne Weihnachten wäre das Glashandwerk tot
Auch Peter Schrade profitiert von den internationalen Gästen: "Wir Kunstglaswerker sind eine aussterbende Kaste hier in Deutschland. Aber interessanterweise hat das Handwerk gerade bei den Amerikanern und Briten einen ganz anderen Stellenwert", erzählt er. Schrade ist seit 30 Jahren Glashandwerker. Und genauso lange ist er auf Weihnachtsmärkten unterwegs. Mit seiner Frau hat er für die sechs Marktwochen extra eine Wohnung in einem Kölner Randbezirk angemietet. Die Standmiete geht in die Tausende Euro und auch die Vorproduktion der Glasskulpturen, Ohrringe und Ketten hat viel Geld verschlungen. Aber die Investitionen sind nötig, um das Geschäft über Wasser zu halten: "Die Zeiten für uns Kunsthandwerker sind hart geworden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ohne Weihnachten kein einziger Kunsthandwerker in Deutschland überhaupt existieren würde."
Peter Schrade steht mit seiner Bude auf Deutschlands beliebtestem Weihnachtsmarkt. Hier zwischen dem Dom und dem Germanischen Museum reihen sich sternenförmig 150 Stände aneinander. Als der Markt 1995 zum ersten Mal stattfand gab es drei Weihnachtsmärkte in der ganzen Stadt – inzwischen sind es allein sieben große Außenmärkte. Dazu kommen noch eine Reihe kleinerer Märkte, die nur am Wochenende stattfinden. Trotz der wachsenden Konkurrenz hat sich Monika Flocke vor vier Jahren entschieden, in die Branche einzusteigen. Sie hat ihren Job als Rechtsanwältin an den Nagel gehängt und organisiert seitdem den Weihnachtsmarkt am Kölner Dom: "Weihnachten hat viel mit Emotionen zu tun. Ein solches Projekt kann man nicht nur rein aus wirtschaftlichen Erwägungen führen." Auch wenn Monika Flocke mit vielen anderen Märkten im Stadtgebiet konkurriert, "der Zulauf nimmt kontinuierlich zu. Das ist ein stetiger Wachstumsmarkt".
"Tradition allein bedeutet Stillstand"
Die Planungen für den Weihnachtsmarkt beginnen bereits im Februar. Dann werden Bewerbungen der Händler gesichtet, das Bühnenprogramm zusammengestellt und die technische Infrastruktur geplant. "Tradition allein bedeutet auch Stillstand", sagt Monika Flocke. Stattdessen gibt es in diesem Jahr zum ersten Mal eine Smartphone-App fürs Handy und ein offenes WLan-Netz, damit die Besucher immer wissen, wann was auf dem Markt los ist. Mehrere Millionen Euro hat Flocke mit ihrem Geschäftspartner investiert. Bis der Markt erstmals Gewinn abwirft, dürfte es insgesamt zehn Jahre dauern, schätzt sie. Die Pachtverträge werden von der Stadt Köln aber nur für fünf Jahre vergeben. Im nächsten Jahr muss sie sich dann wieder bewerben. Ein Risiko, das sie gern eingeht: "Ich hab den schönsten Job der Welt. Aber die Weihnachts-Deko zuhause habe ich mir trotzdem verbeten."
Die Tradition der Weihnachtsmärkte ist fast 600 Jahre alt. Der älteste deutsche Weihnachtsmarkt ist der Dresdner Striezelmarkt, der dieses Jahr zum 579. Mal stattfindet. Und auch hier boomt das Geschäft mit dem Glühwein. Im Jahr 2000 gab es in Dresden noch vier Weihnachtsmärkte. In diesem Jahr sind es elf. Besonders viele Schausteller haben das Potential entdeckt und satteln um. So auch Hans Peter Arens. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Schausteller und Markkaufleute verkaufte schon mit zehn Jahren gebrannte Mandeln am Stand seiner Eltern. Ein halbes Leben reiste er mit Karussells und Fahrgeschäften von Volksfest zu Volksfest. Inzwischen betreibt der 69-Jährige einen Grillschinkenstand auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt. "Das Geschäft mit den Volksfesten läuft gerade im Frühjahr sehr schlecht", erzählt er. "Bis Anfang August machen die Schausteller miese. Das muss dann durch vernünftige Einnahmen aus dem Weihnachtsmarktgeschäft ausgeglichen werden."