Anarchie am Wahltag
1. Juni 2008Schießereien, Tote und Verletzte, gestohlene Wahlurnen, Wahlunterbrechungen: Die Abstimmung in der früheren jugoslawischen Republik stand im Zeichen von Anarchie und Chaos. Bei Scharmützeln in Aracinovo bei Skopje, einer früheren Hochburg albanischer Rebellen, wurde mindestens ein Anhänger der Albaner-Partei "Demokratische Union für die Integration" (DUI) von der Polizei erschossen. Zahlreiche Personen wurden nach Ausschreitungen festgenommen. Um die Parteizentrale der DUI in der Hauptstadt hatte es Schießereien gegeben. Mitglieder hätten sich in den Keller flüchten müssen, teilte eine Sprecherin mit. In einem anderen Viertel Skopjes bekämpften sich Mitglieder verschiedener Parteien. DUI-Chef Ali Ahmeti, ein früherer Rebellenchef, beschuldigte die rivalisierende "Demokratischen Partei der Albaner" (DPA) und deren "kriminelle Gruppen".
Präsident Branko Crvenkovski appellierte an alle Seiten, die Waffen niederzulegen. Das Land müsse sein "demokratisches Potential" beweisen, so das Staatsoberhaupt.
Rivalitäten zwischen Albaner-Parteien
Bereits der Wahlkampf war von Gewalt, Betrugsvorwürfen und Beleidigungen geprägt worden. Für den Wahltag waren daher strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Anfang Mai hatte es nach Parteiangaben schon ein Attentat auf Ahmeti gegeben. Im Vorfeld der Wahl war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der DUI und der früher mitregierenden DPA gekommen.
Abbruch wegen Betrug und Einschüchterung
Laut lokalen Medien sollen sich in Krusino Albaner und Mitglieder der Sonderpolizei beschossen haben. Mehrere Zwischenfälle gab es um die Stadt Tetovo. Die Wahlkommission erklärte, in einigen Orten seien Wahlurnen und Wahlmaterial gestohlen worden. Es seien zudem mit gefälschten Stimmzetteln vollgestopfte Urnen aufgetaucht. Wegen Betrugs- und Einschüchterungsversuchen habe man die Abstimmung in mindestens 17 Wahllokalen vorübergehend ausgesetzt.
Polemik und offene Gewalt im Wahlkampf
In Mazedonien sind 1,8 Millionen Bürger zur Stimmabgabe bei der vorgezogenen Parlamentswahl aufgerufen. Auf den Listen standen 1540 Kandidaten von 18 Parteien. Das Parlament in Skopje hat 120 Sitze.
Laut Umfragen könnte die nationalkonservative Partei VMRO-DPMNE von Ministerpräsident Nikola Gruevski mit gut 30 Prozent der Stimmen rechnen. Die größte Oppositionspartei, das Sozialdemokratische Bündnis SDSM von Radmila Secerinska, käme auf 15 bis 20 Prozent. Die Wahl galt als Test für den von der Regierung angestrebten Beitritt Mazedoniens zur Europäischen Union.
Die vorgezogene Wahl war nötig geworden, weil die Albaner von der DPA im März die Koalition mit Gruevski im Streit über die Anerkennung des Kosovo verlassen hatte. Mindestens ein Viertel der mazedonischen Bevölkerung sind Albaner. (sc)