"Präsident der Integration"
18. Februar 2012Was vom 598-Tage-Präsidenten Christian Wulff im Gedächtnis bleiben wird, ist vor allem seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit im Jahr 2010. Wulff hielt eine Rede, mit der er seiner Amtszeit eine klare thematische Richtung geben wollte, indem er sich des Themas Integration annahm. Mit der Aussage "Auch der Islam gehört zu Deutschland" setzte Wulff einen klaren Akzent in der Integrationspolitik. Mit Bedauern hat deshalb der Verband "Türkische Gemeinde in Deutschland" auf den Rücktritt des Bundespräsidenten reagiert.
"Seine Aussage, dass der Islam zu Deutschland gehört, war richtungsweisend", sagte der Vorsitzende der nicht-religiösen Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, der Deutschen Welle. "Wulff hat das Vertrauen der Migrantenbevölkerung gewonnen, indem er gesagt hat, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, bei der man nicht nur die Defizite, sondern auch die Chancen im Blick haben müsse", so Kolat. Den Migranten bleibe außerdem im Gedächtnis, dass Wulff sich für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union stark gemacht hatte und, dass er in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident mit Aygül Özkan zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Frau mit Migrationshintergrund zur Landesministerin gemacht habe. "All diese Handlungen zeigen", so Kolat, "dass Wulff an das, was er über Integration gesagt hat, auch wirklich geglaubt hat."
Kritik an der Rolle der Medien
Auch Islamverbände äußerten Bedauern über den Rücktritt, so wie der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Jedoch zeige der Fall Wulff auch, wie gut das Rechtssystem in Deutschland funktioniere. "Die Muslime in Deutschland haben ein uneingeschränktes Vertrauen in unser Rechtssystem. Jeder muss sich diesem im Bedarfsfall stellen, auch ein Bundespräsident," sagte Mazyek dem Evangelischen Pressedienst. Kritisch hingegen sieht der Vorsitzende des Zentralrats die Rolle der Medien während der vergangenen Wochen. "Die größten Herausforderungen derzeit sind doch der EU-Finanzkollaps, die Aufarbeitung der skandalösen Nazi-Morde und die gefährliche Situation im Nahen Osten - und nicht die Personalie Wulff". Die Berichterstattung der letzten Zeit habe dagegen den Eindruck vermittelt, es sei umgekehrt, so Mazyek.
Auch Erol Pürlü, Dialogbeauftragter des Verbandes der islamischen Kulturzentren, zieht eine positive Bilanz der anderthalbjährigen Präsidentschaft von Wulff. Dieser habe mit seinen Äußerungen zur Akzeptanz des Islams in Deutschland beigetragen. Der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya, sagte, es sei dem Ersten Bürger des Staates hoch anzurechnen, dass er sich für Integration engagiert habe. "Ich wünsche dem künftigen Präsidenten, dass er den mutigen Weg, den Christian Wulff bezüglich der Integration ging, weiter verfolgt", sagte Kizilkaya der epd. Bekir Alboga vom Koordinationsrat der Muslime forderte vom kommenden Bundespräsidenten, dass auch dieser die Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt, Religionsfreiheit und Chancengleichheit voranbringen müsse.
"Wulff hat die Messlatte sehr hoch gelegt"
Auch Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde Deutschlands hat klare Vorstellungen, was die möglichen Nachfolger Wulffs angeht: "Wulff hat die Messlatte sehr hoch gelegt. Ich erwarte, dass der oder die Neue die drei Punkte Integration, Islam und den EU-Beitritt der Türkei als Grundlage für die Präsidentschaft nimmt und dabei nicht hinter Herrn Wulff zurückfällt." Dafür wolle er sich in den folgenden Tagen gern auch persönlich einsetzen, sagte Kolat der Deutschen Welle und kündigte an, genau hinschauen zu wollen, wenn es um die Auswahl möglicher Kandidaten gehe. "Außerdem werde ich am Montag die Bundeskanzlerin sowie die Partei- und Fraktionsvorsitzenden im Bundestag anschreiben und sie bitten, dass die für uns wichtigen Punkte bei der Auswahl der Kandidaten Berücksichtigung finden", so Kolat weiter.
Ganz unabhängig von der thematischen Ausrichtung hat Kolat darüber hinaus noch einen anderen Wunsch, wer demnächst ins Schloss Bellevue ziehen sollte: "Ich wünsche mir eine Nachfolgerin. Es ist höchste Zeit, dass eine Frau das Amt bekleidet."
Autor: Friedel Taube
Redaktion: Arnd Riekmann