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"Mit all meinen Kräften und meinem Herzen"

18. März 2012

Sichtlich bewegt zeigte sich der neue Bundespräsident Joachim Gauck unmittelbar nach seiner Wahl. In seiner kurzen Dankesrede versprach er, für eine Annäherung zwischen Regierenden und Bevölkerung zu arbeiten.

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Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bei der dritten Wahl eines Staatsoberhaupts innerhalb von nur drei Jahren erhielt Joachim Gauck bereits im ersten Wahlgang eine große Mehrheit: Mit 991 von 1228 gültigen Stimmen wurde der frühere DDR-Bürgerrechtler als Nachfolger des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff gewählt.

Gauck ist der erste parteilose und der erste ostdeutsche Präsident der Bundesrepublik. Der 72-jährige Theologe wurde von einer beispiellosen Fünf-Parteien-Koalition aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen unterstützt. Für die Linke hatte die als so genannte "Nazi-Jägerin" bekannt gewordene Beate Klarsfeld kandidiert. Die 73-Jährige war chancenlos, erhielt mit 126 Stimmen aber drei mehr, als die Linke Vertreter in der Bundesversammlung hatte. Auf den von der rechtsextremen NPD nominierten Olaf Rose entfielen drei Stimmen. Es gab 108 Enthaltungen.

Gegen Politikverdrossenheit

"Was für ein schöner Sonntag", sagte Gauck in seiner sehr persönlichen ersten Rede vor der Bundesversammlung. Das neue Staatsoberhaupt war bemüht, allzu hohe Erwartungen zu dämpfen. Er sei "kein Heilsbringer, kein Heiliger, kein Engel" und werde nicht alle Erwartungen erfüllen können, sagte Gauck. Zu Beginn verwies er jedoch auf die historische Bedeutung des 18. März. Im Jahr 1990 habe dieser Tag die demokratischen Errungenschaften der friedlichen Revolution in der DDR gebracht. Damals fanden die ersten und einzigen freien Wahlen zur DDR-Volkskammer statt. Im Alter von 50 Jahren habe er erstmals frei und geheim wählen dürfen, sagte Gauck. Damals habe er sich vorgenommen, er werde niemals eine Wahl versäumen.

Die Antrittsrede von Joachim Gauck

Der neue Bundespräsident betonte, er werde sich gegen Politikverdrossenheit einsetzen. Viele Bürger hätten ihn ermutigt, die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten anzunehmen: "Das gibt mir Hoffnung auf eine Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung, an der ich nach meinen Möglichkeiten unbedingt mitwirken werde."

Wahldatum "glückliche Fügung"

Zur Eröffnung der 15. Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Hoffnung geäußert, dass der nächste Bundespräsident die vollen fünf Jahren im Amt bleiben werde. Dass die Amtszeiten in jüngerer Zeit aufgrund von Rücktritten immer kürzer geworden seien, könne niemand für eine Errungenschaft halten: "Wir sollten uns alle bemühen, die politische Realität auch in dieser Hinsicht wieder an die Verfassungsnorm zu bringen", sagte Lammert unter dem Applaus der rund 1240 Wahlleute. Der vorzeitige Wechsel im höchsten politischen Amt sei "weder eine Staatskrise noch eine Routineangelegenheit".

Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident

Als "glückliche Fügung" bezeichnete es Lammert, dass diese Bundesversammlung auf den 18. März falle, der für die deutsche Geschichte so bedeutsam sei. Der Bundestagspräsident verwies in diesem Zusammenhang auf die Proklamation der "Mainzer Republik" von 1793, den Barrikadenkampf und die "Märzforderungen" von 1848 sowie die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990. Ihm gefalle, dass bei einer fünfjährigen Amtsperiode die künftigen Bundespräsidenten an einem 18. März gewählt oder vereidigt werden könnten. Dies mache es möglich, die Kontinuitäten und Brüche deutscher Geschichte ins Bewusstsein zu rücken und so einen Beitrag zum demokratischen Selbstverständnis zu leisten.

Lammert ging auch auf den Rücktritt von Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten ein. Die Umstände würden erst mit angemessenem Abstand fair zu bewerten sein. Es gebe aber durchaus "Anlass für selbstkritische Betrachtungen, nicht nur an eine Adresse". Der CDU-Politiker unterstrich, die Erwartungen und Hoffnungen an den nächsten Bundspräsidenten seien riesig. Mit keinem Amt seien mehr Erwartungen in Hinblick auf Vertrauen und Autorität verbunden.

Gauck, Merkel und andere (Foto: picture-alliance/dpa)
Glückwünsche für den neuen Bundespräsidenten von Kanzlerin MerkelBild: picture-alliance/dpa

Schon mit der Annahme der Wahl im Amt

Voraussichtlich an diesem Montag soll Gauck in sein Amt offiziell eingeführt werden. Die Vereidigung des 11. Präsidenten vor Bundestag und Bundesrat ist für kommenden Freitag vorgesehen. Tatsächlich im Amt ist Gauck aber schon seit seiner Annahme der Wahl.

Die 15. Bundesversammlung bestand aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Delegierten, die von den Landesparlamenten gewählt wurden. Gauck ging mit großem Vertrauensvorschuss nicht nur der Parteien, sondern auch der Bürger in die Wahl. Das neue Staatsoberhaupt halten Umfragen zufolge rund 80 Prozent der Deutschen für glaubwürdig. Allerdings wissen viele Bürger noch nicht genau, welche politischen Positionen Gauck vertritt.

Sicher ist: Neben dem großen Thema der Freiheit wird von Gauck erwartet, zu anderen Fragen wie dem Euro oder dem Rechtsextremismus Position zu beziehen. Schon in seiner Antrittsrede betonte der neue Bundespräsident, er werde sich neu auf Themen, Probleme und Personen einlassen. Dabei könne er "ganz sicher nicht alle Erwartungen erfüllen". Er verspreche aber, sich mit allen Kräften einzusetzen.

Eine prägende Persönlichkeit der jüngeren Geschichte

Der evangelische Pfarrer aus Rostock gilt als brillanter Redner. Sein Name war jahrelang mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit verknüpft. Am Tag der Wiedervereinigung, am 3. Oktober 1990, übernahm er die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde, die für die Zeit seiner Beauftragung nach ihm benannt wurde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgab, prägte Gauck im wiedervereinten Deutschland den Blick auf die DDR-Geschichte.

Schon im Sommer 2010 wurde der parteilose frühere Bürgerrechtler von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der Wahl nach Horst Köhlers Rücktritt knapp am CDU-Mann Christian Wulff scheiterte, schmälerte sein Ansehen nicht.

hp/haz/rb (dpa, rtr, dapd, afp, epd)