Modernes Wohnen im Alter
7. März 2013Elisabeth Arn könnte eine typische Vertreterin der neuen Generation von 60- bis 85-Jährigen sein. Erst wohnte sie alleine in einem großen Haus in der Schweiz. Zu groß für nur eine Person, fand sie und ließ sich einen altersgerechten Pavillon in ihren Garten bauen. Jetzt wohnt sie dort und hat mit ihrer Familie klare Absprachen: Sie will sich nicht als regelmäßige Babysitterin für die Enkelkinder einspannen lassen, sondern lieber eine Rucksack-Tour durch Südamerika machen. Auch möchte sie nicht, dass ihre Kinder sie pflegen müssen, wenn sie eines Tages krank werden sollte.
Die alten Menschen der Industrienationen haben heute längst nicht mehr die Träume für den Lebensabend wie noch ihre Eltern. Dazu gehört auch, dass sie nicht mehr mit ihren Kindern und Enkelkindern in einem gemeinsamen Haushalt wohnen wollen, wie Alterswissenschaftler berichten. Stattdessen wollen ältere Menschen lieber einen eigenen Haushalt führen. Das zeigt auch eine Studie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus dem Jahr 2011. Danach wohnen 93 Prozent der über 65-Jährigen in privaten Wohnungen und Häusern. Trotzdem sind nur fünf Prozent aller Wohnungen überhaupt altengerecht - etwa weil die Türrahmen zu schmal sind, um mit einem Rollator oder Rollstuhl durchzukommen.
Neue Alterssitze sorgen für Aufwind
Wohnbauten für Menschen im Alter werden immer wichtiger. Daher zeigt das Deutsche Architekturmuseum bis zum 19. Mai die Ausstellung "Netzwerk Wohnen - Architektur für Generationen". Die Öffentlichkeit habe sich dem Thema lange nicht gestellt, sagt Kuratorin Annette Becker. Deswegen soll die Ausstellung nicht nur Beispiele für gelungene Alterssitze zeigen, sondern auch Architekten, Handwerker, Investoren und Sozialdienste informieren und zu neuen Ideen anregen.
Auch der Blick auf andere Industrienationen zeigt, dass es dort ähnliche Probleme gibt. "In Japan ist der Handlungsdruck noch größer", schildert Annette Becker. "Dort gibt es noch mehr ältere Menschen als in Deutschland." Ein weiteres Beispiel ist das italienische Dorf Tiedolo, aus dem zeitweise alle jungen Menschen ausgezogen waren. Ein Architekt baute sechs moderne Wohnungen für die Senioren der Gemeinde. Diese gestalterischen Veränderungen im Dorf kamen so gut an, dass wieder mehr Bewohner dazuzogen, darunter auch junge.
20.000 Euro für einen neuen Fahrstuhl
Für die Umrüstung von Wohnungen für die Bedürfnisse von Senioren, gibt es viele Ideen, aber nicht alle können sich das leisten. Auch in Deutschland sind viele ältere Menschen von Armut bedroht. Trotzdem gibt es auch die andere Realität: "Es gibt auch viele Menschen, die ein Vermögen in der Hand haben", sagt Annette Becker. Aufzüge für Senioren gebe es ab 20.000 Euro. Das sollte man aber in der Relation sehen, sagt die Kunsthistorikerin. "Für ein neues Auto geben die Menschen hier noch viel mehr aus. Da muss man sich fragen, was wichtiger ist."
Wohnen im Alter: ein weltweites Problem
Für Menschen aus vielen anderen Ländern mag es sich hierbei um reine Luxus-Probleme handeln. "In vielen Entwicklungsländern gibt es die Erwartung, dass die Probleme der Älteren von der Familie gelöst werden müssen", erklärt Einhard Schmidt-Kallert, Professor für Raumplanung an der Technischen Universität in Dortmund. Aber auch dort klaffen Idealvorstellung und Realität auseinander. Ein Beispiel: Eine Folge der Einkindpolitik in China sei, dass die familiäre Versorgung nicht mehr so verlässlich ist. 2010 interviewte Schmidt-Kallert Wanderarbeiter in China für eine wissenschaftliche Studie, deren Gesamtauswertung in diesem Jahr veröffentlicht werden soll. "Die Menschen haben immer weniger Verwandte, aber eine immer größere Verantwortung."
Viele Schwellenländer würden gerade das erleben, was die Industrienationen schon hinter sich hätten: eine Flucht vom Dorf in die Stadt. "Wer will dann in die Provinz zurück, um sich um seine Eltern zu kümmern, wenn es dort keinen Kühlschrank, keinen Strom und kein Internet gibt?" Schmidt-Kallert erwartet, dass es in einem Land wie Bangladesch vielleicht noch 30 Jahre dauert, bis ältere Menschen auch dort so einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, wie in Deutschland.
"Universal design" für jede Lebenslage
In Deutschland ist altersgerechtes Wohnen nicht nur ein Thema für Senioren. Das Thema der Frankfurter Ausstellung betrifft auch junge Menschen. Der britische Architekt Richard Rogers baute 1969 einen Ruhesitz für seine Eltern. "Das ist ein gutes Gebäude und auf ebener Fläche gebaut", sagt Annette Beckers. Die Eltern des Architekten lebten dort bis zu ihrem Tod. Danach zog sein Sohn dort ein. Häuser sollen nicht nur gut für Familien mit Kindern oder für Senioren sein, sondern am besten gleich für jede Lebenslage konzipiert - "universal design" nennen das die Fachleute. Becker: "Das ist unsere Wunschvorstellung."