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Politik

Mossuls jüdisches Erbe - vor dem IS gerettet

Judit Neurink ust | Eddy van Wessel Fotos
13. April 2019

Das jüdische Viertel in Mossul hat das Regime der Terrormiliz IS und deren militärische Vertreibung relativ unbeschadet überstanden. Warum? Reporterin Judit Neurink und Fotograf Eddy van Wessel auf Spurensuche im Irak.

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Irak  Mossul Jüdisches Viertel
Bild: Eddy van Wessel

Als die Stadt 2017 von der Terrororganisation "Islamischer Staaat" (IS) befreit worden war, lag der Großteil von West-Mossul in Trümmern. Nicht aber das jüdische Viertel. Zwar müssen die Menschen auch hier ihre Häuser instandsetzen. Doch sie stehen überwiegend noch und brauchen hauptsächlich Reparaturen und einen neuen Farbanstrich, um die Spuren von drei Jahren Besatzung auszulöschen. Die meisten Einwohner waren geflohen, als die Kämpfe zwischen dem IS und der irakischen Armee und ihren Verbündeten ihr Viertel erreichten. Nun kehren sie in ihre Häuser im Mahallat al-Jahud, im jüdischen Viertel, zurück.

Wie der 72-jährige Imad Fetah, der in einer makellosen Dischdascha, dem langen weißen Männergewand, vor seinem frisch gestrichenen Tor steht, einen Schal um den Kopf geschlungen. Während er sich die Besatzungsjahre in Erinnerung ruft, zeigt er auf die geschwärzten Überreste eines Gebäudes auf der anderen Seite der schmalen Straße. Das Feuer habe der IS gelegt, sagt er, nachdem sie den Bewohnern befohlen hätten zu gehen. Das Haus - errichtet in traditioneller Mossuler Bauweise um einen überdachten Innenhof - ist schwer zerstört, kann aber wieder aufgebaut werden.

Als den Menschen klar wurde, was der IS mit ihren Häusern vorhatte, weigerten sie sich zu gehen. Auch Imad Fetah rührte sich nicht vom Fleck. "Daesh zerstört alte Dinge", sagt er mit trauriger Stimme und benutzt dabei die arabische Bezeichnung für die Terrormiliz. Dabei ging es dem IS nicht nur um diese Nachbarschaft. Alles, was nicht zu ihrer äußerst rigiden Auslegung des Islam passte, musste weg: Statuen von Dichtern und Schriftstellern, religiöse Stätten der Sufi, Bibliotheken mit einzigartigen Buchsammlungen.

Irak  Mossul Jüdisches Viertel
Straßenverkäufer im jüdischen Viertel - viele Bewohner Mossuls haben nicht mal genug Geld, bei ihnen zu kaufenBild: Eddy van Wessel

Die Islamisten hätten nur Dinge toleriert, für die sie einen Nutzen gehabt hätten, sagt Imad Fetah. "Wie die Tunnel in unserem Viertel, die die Juden gegraben hatten." Die Tunnel wurden vor vielen Jahrzehnten gebaut, um den Bewohnern im Falle einer Gefahr als Fluchtweg zu dienen. Bis der IS kam, wurden sie vermutlich das letzte Mal 1948 genutzt, als nach der Gründung des Staates Israel anti-jüdische Unruhen ausbrachen. Bis dahin hatten die Juden im Irak kulturell, gesellschaftlich und politisch eine wichtige Rolle gespielt.

Die meisten irakischen Juden flohen oder emigrierten in den folgenden Jahren. Die Häuser, die sie leer zurückließen, waren beliebt, weil sie solide gebaut waren. Viele Gebäude wurden aber in den folgenden Jahren auch vernachlässigt, sodass sich die Nachbarschaft nach und nach in einen Slum verwandelte.

Juden als gute Nachbarn geschätzt

Dennoch habe er hier viele Jahre glücklich gelebt, sagt Imad Fetah. Alle seine Nachbarn hätten die jüdische Geschichte Mossuls gekannt und seien sogar stolz gewesen, hier zu leben. In einem wiedereröffneten kleinen Supermarkt in der nahegelegenen Basarstraße bestätigt das der 62-jährige Younis Abdullah: "Meine Eltern kauften unser Haus 1948 von einer jüdischen Familie. Meine 90-jährige Mutter erinnert sich ganz liebevoll daran, wie sehr sie unsere jüdischen Nachbarn mochte. Sie vermisst sie."

In Mossul erinnere man sich an die Juden hauptsächlich als "gute Nachbarn", sagt Faisal Jeber, Direktor des Gilgamesh Center zum Schutz von Antiquitäten und Kulturerbe, während eines Spaziergangs durch das jüdische Viertel. "Die Ressentiments bezogen sich nur auf den Staat Israel."

Irak  Mossul Jüdisches Viertel
Verbarrikadiert gegen Plünderer - das Eingangstor zur Synagoge in MossulBild: Eddy van Wessel

Erstaunlicherweise überstand es die Besatzung nahezu unberührt. Die größte Überraschung ist die Synagoge. In den 1980er Jahren kam sie illegalerweise in den Privatbesitz eines Mannes, der fortan auf dem Gelände lebte. Trotz der massiven Schäden, die der IS in Mossul anrichtete, steht das verlassene Gebäude immer noch aufrecht.

Das Tor ist zugenagelt, eine offizielle Mitteilung in roten Buchstaben verbietet das Betreten, da es sich bei dem Ort um eine Kulturerbestätte handele. Aber das Dach ist zerstört und über daneben liegende Dächer ist ein Blick in das Innere möglich. In der Wand werden eingelassene hebräische Schrifttafeln sichtbar.

Obwohl der IS sowohl die Synagoge als auch eine alte Schule in der Nähe als Waffen- und Munitionslager nutzte, verschwanden erst nach der Befreiung drei der Schrifttafeln. Dies geschah, nachdem ein Historiker aus Mossul über das soziale Netzwerk Twitter seine Freude geteilt hatte, dass die Synagoge der Zerstörung entging. Das ist der Grund, warum Faisal Jeber die sichtbare Warnung vor unbefugtem Betreten nicht gerade mag, da sie professionelle Souvenir-Jäger anlocken könnte.

Schutz durch die US-Soldaten

Doch warum hat die Umgebung wie durch ein kleines Wunder die IS-Besatzung relativ unbeschadet überstanden? Faisal Jeber vom Gilgamesh Center schreibt das dem verlassenen Zustand der Häuser zu. Er vermutet, die meisten IS-Kämpfer in Mossul hätten die die hebräischen Schrifttafeln nicht erkannt, weil sie Analphabeten gewesen seien.

Irak  Mossul Jüdisches Viertel
Blick nach draußen - das jüdische Viertel Mossuls ist besser erhalten als die meistenBild: Eddy van Wessel

Die Anwohner dagegen betonen, dass der IS sie aus dem Stadtteil vertreiben wollte, eben weil es jüdischen Ursprungs ist und dadurch als haram - verboten - angesehen wurde. Das sich die Menschen weigerten - so verängstigt sie auch gewesen sein mögen -, ihre Häuser zu verlassen und sie brennen zu sehen, ist nach ihrer Meinung der Hauptgrund dafür, dass das Viertel gerettet wurde.

Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass das jüdische Viertel im Vergleich zum Rest von West-Mossul die Bombardierung während der Befreiungsschlacht verhältnismäßig gut überstanden hat - wahrscheinlich Dank US-amerikanischer Truppen. In dem Wissen um den Wert des jüdischen Erbes in Mossul hatten sie den Bereich in ihren Karten markiert.

"2004 sah ich einen US-Offizier durch das Viertel gehen", erzählt Saad Rachawi, während er die Besucher auf sein Dach führt, um einen Blick auf die jüdische Schule gegenüber zu werfen. Der IS hatte dort Waffen gelagert, berichtet der 56-Jährige, was ihm große Angst eingejagt habe. Anderswo in Mossul seien diese Schulen Ziele der Anti-IS-Koalition gewesen. Aber hier geschah nichts - wegen des Besuchs des US-Amerikaners vor über 14 Jahren, glaubt Rachawi. "Er hatte eine Karte der Gegend und machte sich darauf Notizen."

Möglicherweise meint er Carlos C. Huerta, Rabbiner bei den US-Truppen in Mossul nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003. In einem Blog berichtet Huerta davon, wie er eine Synagoge entdeckte hatte. "Mein Herz zerriss, als ich über die Müllberge im Innern stieg, von wo aus hunderte Jahre lang die Gebete von Juden den Himmel erreichten. Mir wurde bewusst, dass ich wahrscheinlich der erste Jude war, der diesen heiligen Ort in mehr als 50 Jahren betrat." Der Müll ist noch immer dort.

Im vergangenen Jahr sah Saad Rachawi erneut US-Amerikaner nahe seinem Haus. Sie kamen, um mit Robotern das explosive Material aus der Schule zu entfernen.

Neue Gefahren für das jüdische Erbe

Jetzt, da der IS keine Gefahr mehr darstellt, sind neue Bedrohungen aufgetaucht. Obwohl die Preise für Häuser um die Hälfte gefallen sind, sind viele Besitzer gezwungen, ihr Eigentum aus Geldmangel zu verkaufen. Faisal Jeber vom Gilgamesh Center befürchtet, Schnäppchenjäger könnten die Häuser kaufen, um sie abzureißen, neue zu bauen und Profit daraus zu schlagen. Er warnt, dass das wichtige jüdische Kulturerbe verloren gehen könnte.

Irak  Mossul Jüdisches Viertel
Wiederaufbau - Mossul wieder in eine wichtige Metropole zu verwandeln, wird Jahre dauernBild: Eddy van Wessel

Seine Sorge richtet sich insbesondere auf die Synagoge, die für umgerechnet 1,8 Millionen Euro angeboten wird. Der Betrag sei viel zu hoch, sagt Jeber. "Wir möchten das Grundstück kaufen oder wenigstens mieten, um unser Hauptquartier dort einzurichten. Wir suchen nach einer Finanzierung, damit wir der Gemeinschaft das Gebäude zurückgeben können." Gleichzeitig zieht er es in Betracht, ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Die Synagoge war staatliches Eigentum und hätte niemals an einen Privatmann verkauft werden sollen.

Jeber träumt davon, dem verlassenen Viertel zu altem Glanz zu verhelfen. "Das wäre wichtig, um das Bewusstsein dafür schaffen, dass das jüdische Viertel ein untrennbarer Teil von Mossul ist. Lange Zeit hatten Menschen versucht, die Juden aus unserer Geschichte auszulöschen. Aber es ist unser Erbe, unsere Identität und unsere wahre Geschichte."

Ein schwieriges Unterfangen, das Faisal Jeber gelobt hat - und als sollte das illustriert werden, hat ihn kurz nach dem Interview die irakischen Sicherheitspolizei wegen angeblicher Spionagetätigkeiten für Israel festgesetzt und mehr als zwei Monate lang befragt. Zuvor hatte er einen irakischen Juden, der im Ausland lebt, in Mossul herumgeführt. Dieser Vorfall zeigt auch, wie tief das Misstrauen gegenüber Juden in der irakischen Gesellschaft verankert ist.

Mittlerweile hat Faisal Jeber die Stadt verlassen.

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