Neue Technologien gegen Ungleichheit
11. Juni 2018"Das Problem ist alt. Nur die Technologie ist neu", sagt Johnny Miller. Der Fotograf zeigt auf die Bilder von Luxusvillen direkt neben dicht besiedelten Slums, die er mit einer Drohne aufgenommen hat. Mexiko-Stadt, Kapstadt in Südafrika, Mumbai in Indien - Blicke von oben auf eine ungleiche Welt am Erdboden. "Unequal Scenes" heißt das Projekt, mit dem der Gründer des gemeinnützigen Netzwerks africanDrone Menschen seit zwei Jahren für die globale Ungleichheit sensibilisieren will. "Drohnen stören dich, schütteln dich durch", sagt der US-Amerikaner.
Den Moment, als Miller der Provinzregierung von Kapstadt seine Bilder zeigte, wird der Fotograf so leicht nicht vergessen: "Einem Mitarbeiter schossen die Tränen in die Augen, er bedankte sich überschwänglich, dass ich seiner Gemeinde eine Stimme gegeben habe." In diesem Moment wurde Miller klar, dass dieses Projekt über sein persönliches Fotografieren hinausging. "Das Projekt ist Ausdruck der Entrechtung. Es zeigt, wie sich weltweit viele Menschen seit Jahrzehnten durch die Ungleichheit fühlen, nicht nur in Südafrika."
Manche Regierungen fürchten Drohnen als Mittel der Macht
Es gibt aber auch Regierungen, die sich durch Millers Projekt angegriffen fühlen. Sie haben das Potenzial der Drohnen erkannt und befürchten, dass diese "den Menschen zu viel Macht geben". Mit restriktiven Gesetzen versuchen sie, Bürgerjournalisten den Zugang zu Drohnen zu erschweren. So ist es in vielen Ländern Afrikas schwierig und teuer, überhaupt eine Lizenz für eine Drohne zu bekommen. Deshalb schließe sich der Kreis, meint Miller: "Wenn der Zugang zu Drohnen in den Händen der Reichen bleibt, wird die bestehende Ungleichheit weiter zementiert."
Johnny Miller sieht sein Fotoprojekt deshalb noch längst nicht am Ende. Die Fotografie sei ein alternatives Mittel zur Verbreitung von Informationen und Missständen. "Ich zeige Reichtum und Armut auf einem einzigen Bild, die soziale Ungleichheit wird so sehr gut abgebildet." In Mexiko war er schon, auch in Indien, weitere Länder sollen folgen. Und wenn die Vorschriften für Drohnen einen Einsatz nicht zulassen? "Dann müssen Hubschrauber, Flugzeuge und Satellitenbilder her" schmunzelt Miller.
Die mobile Revolution ist in vollem Gange
Wenn neue Technologien aber von Menschen am Rande der Gesellschaft effektiv genutzt werden, können sie wahre Wunder bewirken und diese Ungleichheit aufbrechen. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist Yusuf Omar ist Mitbegründer von hashtagourstories.com - einer Initiative, die es Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, ihre Geschichten mit einem mobilen Video zu erzählen. Omar hat in den letzten Monaten 40 Länder besucht und Menschen trainiert, mit ihrem Handy Geschichten zu erzählen. So auch eine Gruppe indischer Müllsammler, denen er die Nutzung von Instagram Stories beibrachte: "Die Abfallsammler haben den Hashtag #GSTwaste ins Leben gerufen und dort mobil über ihren Alltag erzählt. Und wie die von der indischen Regierung eingeführte Mehrwertsteuer 'Goods and Services‘ ihr Leben massiv erschwert."
Durch die Steuer auf recycelbaren Schrott wurde weniger wiederverwertet, die Preise für recycelbares Plastik fielen, viele der knapp zwei Millionen Inder, die in der Kunststoffrecyclindustrie arbeiten, verdienten plötzlich weniger oder verloren ihre Jobs. Doch dann kam das mobile Storytelling von #GSTwaste, berichtet der frühere CNN-Reporter Omar bewegt: "Die indischen Medien haben sich auf die Story gestürzt, Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen haben Druck gemacht. Und dann hat die Regierung die GST-Steuern auf recycelbare Kunststoff gesenkt."
Konstruktiver Journalismus statt Bad News
Neue Technologien geben Menschen eine Stimme, die vorher nicht gehört wurden, ist Omar überzeugt. Das Schöne an Social Media-Plattformen sei einfach, dass sie weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen böten: "Wenn du eine starke Geschichte zu erzählen hast, kann dich fast nichts davon abhalten, sie auch viral zu erzählen." So habe ein DW-Journalist heute die gleiche Chance gehört zu werden, wie eine Frau auf der Straße. "Die mobile Revolution des Geschichtenerzählens, bei der Menschen am Rande der Gesellschaft gestärkt werden, findet bereits statt, ob es uns Journalisten oder den Politikern nun gefällt oder nicht."
Nicht nur die Art des Erzählens ändere sich, auch der Inhalt. "Die Youtube-Generation hat es satt, 'Bad News' vorgesetzt zu bekommen." Konstruktiver Journalismus sei deshalb gefragt, "lokale Lösungen für globale Probleme". Bei den meistgeklickten Facebook-Videos des letzten Jahres ging es immer um Positivbeispiele im Kampf gegen Ungleichheit, Rassismus oder den Klimawandel. Yusuf Omar ist überzeugt: "Die traditionellen Medien erzählen zum Beispiel immer wieder die gleichen negativen Geschichten über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, die Stories sind auserzählt. Die User wollen einen anderen, positiven Blickwinkel."