Nobelpreis: So funktioniert unsere innere Uhr
2. Oktober 2017Alle Lebewesen auf unserem Planeten - Menschen, Tiere und Pflanzen - haben eine innere Uhr, die ihnen sagt, wann es Zeit ist zu schlafen und wann sie aktiv sein müssen. Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young "haben herausgefunden, wie das tatsächlich funktioniert", sagte Thomas Perlman vom Nobelpreiskomitee für Medizin und Physiologie am Montag in Stockholm.
Für ihre Entdeckung der molekularen Prozesse, auf denen unser Biorhythmus beruht, wurden Hall, Rosbash und Young mit dem Medizin-Nobelpreis 2017 ausgezeichnet.
Hall lehrte bis zu seiner Pensionierung an der Brandeis University im US-Bundesstaat Massachusetts und an der University of Maine, Rosbash ist Professor an der Brandeis University und Young an der Rockefeller University in New York.
Woher weiß eine Pflanze, dass es Tag ist?
Rosbash konnte die frohe Botschaft kaum glauben. "Das soll doch ein Witz sein", entfuhr es ihm angeblich, als das Nobelpreis-Komitee ihn am Telefon über seine Auszeichnung informierte.
Andere Wissenschaftler waren weniger überrascht: "Es war klar, dass die drei den Nobelpreis kriegen, wenn die Disziplin jemals ausgezeichnet werden würde", versichert Till Roenneberg, Chronobiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, im DW-Gespräch. "Sie haben gezeigt, dass Gene unsere innere Uhr steuern."
Bereits im 18. Jahrhundert hatten Wissenschaftler entdeckt, dass Pflanzen einen Biorhythmus haben, der sie dazu bringt, ihre Blätter bei Abenddämmerung zu schließen und sie am nächsten Morgen wieder zu öffnen. Selbst Pflanzen, die in völliger Dunkelheit standen, behielten diesen 12-Stunden-Rhythmus bei. Damals konnte sich niemand den Grund dafür erklären.
Das entscheidende Protein
In den 1970ern fanden Wissenschaftler um den US-Biophysiker Seymour Benzer heraus, dass ein Gen mitverantwortlich für den Biorhythmus von Fruchtfliegen ist. In den 1980ern isolierten die diesjährigen Nobelpreisträger dieses Gen.
Hall und Rosbash, die gemeinsam an der Brandeis University arbeiteten, stießen dabei auf ein Protein, das Zellen während der Nacht anhäufen und das während des Tages langsam wieder verschwindet. "Das Protein hemmt seine eigene Produktion", erklärt Roenneberg.
Dieser Mechanismus gilt nicht nur für Fruchtfliegen, sondern auch für Menschen - und Pflanzen. Sie "wissen", dass es Nacht sein muss, wenn viel von dem Protein vorhanden ist, und Tag, wenn die Zellen das meiste abgebaut haben. Dieser natürliche Kreislauf passt unseren Biorhythmus an die Erdumdrehung an.
Ein "starkes Team"
Seymour Benzer, der ursprüngliche Entdecker des Gens, wurde nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet - er starb 2007. Henrik Oster vom Institut für Neurobiologie an der Universität Lübeck scherzte, dass auch zwei seiner Kollegen, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten, sich Hoffnungen auf den Nobelpreis gemacht hatten, doch leider leer ausgingen.
Trotzdem seien sie ehrlich erfreut über die Entscheidung des Nobel-Komitees: "Für unser Feld ist das eine große Auszeichnung", so Benzer.
In dem relativ kleinen und jungen Forschungsfeld der Chronobiologie setzen sich Wissenschaftler mit wiederkehrenden Phänomenen in lebenden Organismen auseinander. Die Entdeckung der Nobelpreisträger in den Achtzigern verpasste der Forschung einen Schub nach vorn.
Oster, der die diesjährigen Gewinner persönlich kennt, beschreibt Rosbash als "herausragende Persönlichkeit, als diskussions- und streitfreudig." Hall bleibe eher im Hintergrund. Zusammen ergänzten sie sich zu einem "starken Team."
Roenneberg fügt hinzu, alle drei seien "unglaublich genial, ihr Humor macht sie besonders."
Millionen innerer Uhren
"Heute wissen wir, dass die innere Uhr ein hochkomplexes System ist", sagt Roenneberg. "Es gibt nicht nur eine Uhr im Gehirn, sondern eine Uhr in jeder Zelle unseres Körpers."
Oster erklärt, die innere Uhr sei "nicht überlebensnotwendig, aber wichtig, um Stoffwechselvorgänge und den Tagesrhythmus zu koordinieren."
Ein Beispiel für unsere innere Uhr kann man an der Leber beobachten. Tagsüber baut sie Glykogen aus Glukose auf und abends baut sie es wieder ab, um den Körper so mit Glukose zu versorgen. "Wenn Aufbau und Abbau gleichzeitig stattfinden, ist das sinnlos", sagt Oster, "es muss eine zeitliche Trennung geben."
Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät, fühlen wir uns schwach und unwohl. Wenn sie länger nicht mit der "äußeren Uhr", also der tatsächlichen Tageszeit, harmoniert, können wir sogar krank werden.
Langschläfer und Frühaufsteher
Nach einem Flug von Los Angeles nach Frankfurt geht unsere innere Uhr nach. Bleierne Müdigkeit und Erschöpfung sind die Folge. Das normalisiert sich innerhalb kurzer Zeit wieder. Bei Schichtarbeitern sieht das anders aus. Die andauernde Dissonanz zwischen innerer und äußerer Uhr hat negative Folgen wie zum Beispiel ein höheres Risiko, an psychischen Erkrankungen, Diabetes oder Krebs zu erkranken.
"Die innere Uhr hat ein Händchen auf alles, was im Körper abläuft", sagt Roenneberg. Sie geht allerdings bei jedem anders. Davon können Nachteulen und Lerchen ein Lied singen. Forscher untersuchten Hautzellen von Menschen, die früh und solchen, die lieber später aufstehen. Sie fanden heraus, dass die innere Uhr bei den Frühaufstehern ein bisschen schneller geht.
Dank der diesjährigen Nobelpreisträger in Medizin wissen wir also auch, dass die innere Uhr nicht nur eine Erfindung von Menschen ist, die morgens gern ein bisschen länger liegen bleiben.