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Novak Djokovic: In neuer Rolle zur alten Stärke

Mathias Brück
27. Januar 2023

Auch im Halbfinale der Australian Open präsentiert sich Novak Djovokic unaufhaltsam. Auf dem Weg zu seinem 22. Grand-Slam-Titel scheint der umstrittene Serbe entschlossener und kompromissloser zu sein als je zuvor.

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Kasachstan Novak Djokovic
Bild: Pavel Mikheyev/REUTERS

Eine kurze Faust in Richtung seiner Box war dann auch schon das Höchste der Gefühle. Als Novak Djokovic seinem überforderten Gegner Tommy Paul die Hand schüttelte, hatte man nicht den Eindruck, als habe der Serbe gerade zum zehnten Mal das Finale der Australian Open erreicht. Mitunter scheint es, als müsse sich der Serbe nicht einmal groß anstrengen, um Runde für Runde seine Gegner vorzuführen. Wie schon im Viertelfinale gegen Andrey Rublev gab es keinen Grund für ausgelassene Jubelstürme. Die Performance beim 7:5, 6:1, 6:2 gegen Paul im Halbfinale des ersten Grand-Slams des Jahres war erneut derart dominant, dass es fast so schien, als sei es Djokovic unangenehm, dem Publikum keine bessere Show geboten zu haben. Ein paar aufmunternde Worte gab es noch für den verzweifelten Paul, der wie schon zuvor Rublev und Alex De Minaur völlig chancenlos war.

"Ich bin nicht überrascht. Er ist einer der besten Spieler aller Zeiten, so einfach ist das", sagte bereits Rublev nach dem Viertelfinalmatch, in dem er gegen den Serben chancenlos gewesen war. Solche Sätze wirken fast wie eine Resignation vor dem übermächtigen Djokovic, der nun übergreifend 40 Matches in Folge bei Turnieren in Australien gewonnen hat, 27 davon bei den Australian Open. Damit überholte er nun André Agassi, der beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres zwischen 2000 und 2004 26 Mal in Folge ungeschlagen blieb. 

Djokovic: "Muss niemandem was beweisen"

Fast macht es den Anschein, als hätte es das Drama um Djokovic ein Jahr zuvor in Melbourne nie gegeben, wo er bereits vor dem Start des Wettbewerbs des Landes verwiesen wurde. Turnierdirektor Craig Tiley hatte Djokovic die Zusage gegeben, er könne auch ohne eine Corona-Impfung einreisen. Die damalige Rechtslage sah dies jedoch nicht vor, und so kam es bekanntlich ganz anders. Der Serbe nahm bereits vor Turnierbeginn in diesem Jahr zu den Vorfällen Stellung und stellte sich als Opfer der Situation dar.

Er sei "als Bösewicht der Welt" dargestellt worden und "in den Sturm der Medien geraten". Überhaupt klagt Djokovic in diesem Jahr bemerkenswert oft Missstände an, beschwert sich in einer Tour und spielt mit der Öffentlichkeit. Kurz gesagt: Der Serbe lässt sich nichts mehr gefallen und macht dies in jeder seiner Aktionen und in jedem Interview deutlich.

Novak Djokovic mit der Siegestrophäe der Australian Open
Novak Djokovic hat "sein Lieblingsturnier" bereits neun Mal gewonnenBild: William West/AFP/Getty Images

Zunächst war da die Oberschenkelverletzung des 35-jährigen, die er sich beim Vorbereitungsturnier in Adelaide beim Spiel gegen Daniil Medvedev zugezogen hatte. Da er sich trotz der Beeinträchtigung erstaunlich rund bewegte, kamen einigen Zweifel an der Echtheit der Blessur auf. Medvedev fasste sich sogar wiederholt sarkastisch an das Bein, um Djokovic zu imitieren.

Rund zwei Wochen später platze dem Serben dann der Kragen, als er zum wiederholten Male auf die Verletzung angesprochen wurde. Nachdem er im Viertelfinale mit dem Australier Alex de Minaur mit 6:2, 6:1, 6:2 kurzen Prozess gemacht hatte, sagte er: "Ich muss niemandem etwas beweisen. Wenn einige andere Spieler verletzt sind, dann sind sie die Opfer, aber wenn ich es bin, täusche ich es vor. Es ist sehr interessant", so Djokovic gegenüber tennismajors.com. Er könne ja überlegen, Bilder zum Beispiel von MRT- und Ultraschall-Untersuchungen zu veröffentlichen. "Vielleicht mache ich das, vielleicht nicht", sagte er mit sarkastischem Unterton. Nur um dann provokant hinzuzufügen: "Es interessiert mich eigentlich nicht, was andere Leute über meine Verletzung sagen, aber diesmal gibt es mir Kraft und Motivation. Also danke ich ihnen dafür."

Djokovic in der Opferrolle

Auch von den Fans lässt sich die aktuelle Nummer fünf der Welt nichts mehr gefallen. Jahrelang hatte man den Eindruck, als versuche der Serbe verzweifelt, eine ähnliche Popularität wie die Publikumslieblinge Roger Federer oder Rafael Nadal zu erlangen. Nun lebt er die Opferrolle, in der er sich sieht, in vollen Zügen aus. Es geht nicht mehr um Beliebtheit, es geht darum, der beste Tennisspieler aller Zeiten zu werden.

Als ihn ein betrunkener Zuschauer in der Rod Laver Arena wiederholt anpöbelte, ließ er ihn kurzerhand aus der Arena werfen. "Er hat mich zwei Stunden lang provoziert. Über anderthalb Stunden habe ich es toleriert, doch dann hatte ich genug. Es gibt ein Limit, und das war weit überschritten." Einen Seitenhieb gegenüber den Turnierorganisatoren und der ATP konnte sich Djokovic ebenfalls nicht verkneifen. "Aber es wäre die Aufgabe des Schiedsrichters oder Supervisors gewesen, viel eher einzuschreiten, das sollte nicht die Aufgabe des Spielers sein."

Novak Djokovic (re.) mit seinen Rivalen Roger Federer (li.) und Rafael Nadal (mi.)
Novak Djokovic (re.) mit seinen Rivalen Roger Federer (li.) und Rafael Nadal (mi.)Bild: Andrew Boyers/Reuters

Es war nicht das erste Mal in dieser Woche, dass er gegen den Profi-Verband im Tennis austeilte. Der Sender "Eurosport" berichtete, dass Djokovic während seines Erstrunden-Matches ohne Erlaubnis die Toilette benutzt habe. Dass sich der Bericht kurze Zeit später als falsch herausstellte, war für Djokovic allerdings nicht genug. "Warum haben sich die ATP oder der Grand Slam nicht geäußert, obwohl sie sehen konnten, dass ich von den Medien öffentlich gelyncht wurde?", fragte die ehemalige Nummer eins der Welt. "Ich bin ein leichtes Ziel, um der Bösewicht zu sein. Für mich ist das inzwischen normal, aber ich werde Ungerechtigkeiten nicht tolerieren."

Viele Nebenschauplätze

Gleichzeitig sorgte aber auch sein eigenes Lager für Unruhe. Am Tag vor dem Halbfinale des ersten Grand-Slams des Jahres kursierte im Internet ein Video, das Novaks Vater Srdjan Djokovic dabei zeigt, wie er im Melbourne Park mit anderen Personen hinter einer russischen Flagge mit einem Porträt von Russlands Präsident Wladimir Putin posiert. Auf dem T-Shirt des Mannes neben ihm ist das Zeichen "Z" zu sehen, das als Symbol der Unterstützung für Russland im Krieg gegen die Ukraine gilt. Sdrjan Djokovic beteuerte zwar, er habe lediglich mit den Fans feiern und Bilder machen wollen und wünsche sich "nur Frieden", blieb anschließend jedoch dem Halbfinale seines Sohnes fern. 

Der spielte - des Video-Vorfalls und aller anderen Nebenschauplätze außerhalb des Courts ungeachtet - weiter das vielleicht das beste Tennis seines Lebens, auch wenn er gegen Paul weniger gefordert war als in den Runden zuvor. Djokovics Gegner in Melbourne scheinen eingeschüchtert zu sein und der Serbe beherrscht auch die so wichtige mentale Komponente auf und außerhalb des Platzes wie kaum ein anderer. Als Djokovic nach dem Spiel gegen De Minaur gefragt wurde, warum er so überzeugend sein Spiel durchgezogen hatte, erwiderte er grinsend: "Weil ich es wollte." Djokovic entscheidet derzeit, wie gut seine Gegner sind, er spielt mit ihnen nach Belieben: "Die Performance sendet auch eine Nachricht an meine künftigen Gegner, das ist sehr wichtig", sagte er.

Eine Woche vor dem Start der Australian Open sah es noch so aus, als würde seine Australien-Siegesserie reißen. Beim Vorbereitungsturnier in Adelaide hatte der US-Amerikaner Sebastian Korda den Sieg buchstäblich auf dem Schläger. Hätte der 22-jährige Ende des zweiten Satzes einen Lob einige Zentimeter weiter in Richtung Grundlinie gespielt oder bereits zuvor im Ballwechsel die ein oder andere bessere Lösung parat gehabt, so wäre er als Sieger vom Platz gegangen. Doch Djokovic wehrte Kordas Matchball ab und feierte kurze Zeit später den 92. Turniersieg seiner Karriere.

Novak Djokovic feierte in Adelaide den 92. Turniersieg seiner Karriere
Novak Djokovic feierte in Adelaide den 92. Turniersieg seiner KarriereBild: Kelly Barnes/AP/picture alliance

In die Köpfe der Gegner kommen

Einen weiteren Rekord knackte er auf dem Weg dorthin: Mit acht Titeln nach abgewehrten Matchbällen hat sich Djokovic an die alleinige Spitze ebenjener "Comebacker" gesetzt, ist damit an Rafael Nadal (dem das sieben Mal gelang) vorbeigezogen. Zum Vergleich: Andy Murray hat sechs Turniere nach abgewehrten Matchbällen gewonnen, Roger Federer vier. Ein weiterer Beweis der enormen mentalen Stärke des Serben, dessen er sich stets bewusst ist.

"Es setzt sich auch immer mehr in den Köpfen der Gegner fest", sagte Djokovic nach dem Turniersieg in Adelaide. "Und das ist es, was ich will. Sie sollen wissen, dass ich, egal wie es steht, immer bis zum letzten Schlag kämpfe und in der Lage bin, die Dinge zu wenden." Seine Comeback-Qualitäten musste der Serbe beim bisherigen Turnier in Melbourne - das er bereits neun Mal gewinnen konnte - jedoch nicht unter Beweis stellen. Geradezu mühelos führte er seine Gegner zum Teil vor und verlor bisher nur einen einzigen Satz auf dem Weg ins Finale. Djokovic nimmt seine neue Rolle an und scheint stärker und kompromissloser denn je. In wenigen Tagen kann sich der Serbe in Melbourne zum 22. Grand-Slam-Champion krönen. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm jedenfalls nicht. "Ich habe bei den Australian Open noch nie ein Halbfinale oder Finale verloren … also!"

Der Text wurde am 27. Januar aktualisiert.