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Letzte Plädoyers der Nebenkläger

9. Januar 2018

Am ersten Verhandlungstag 2018 sind mehrere Familien-Angehörige von Mord-Opfern im Gerichtssaal. Auf die Urteile werden sie nicht mehr lange warten müssen.

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Fortsetzung NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München
Anwältin Seda Basay-Yildiz (M.) vertritt im NSU-Prozess die Nebenkläger Adile (r.) und Abdulkerim Simsek (l.) Bild: picture-alliance/dpa/P.Kneffel

Zehn Morde und zwei Bomben-Anschläge mit über 20 Verletzten werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zur Last gelegt, außerdem 15 Raubüberfälle. Deshalb ist es auch keineswegs ungewöhnlich, dass der NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht so lange dauert: vier Jahre und acht Monate inzwischen. Dienstag ist schon der 402. Verhandlungstag. Mehrere der fast 100 Nebenkläger sind persönlich anwesend, darunter die Witwe und der Sohn des ersten NSU-Opfers.

Enver Simsek starb am 11. September 2000 an den schweren Verletzungen, die ihm mutmaßlich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwei Tage vorher zugefügt hatten. Neun Schüsse wurden aus nächster Nähe auf den Blumenhändler in seinem mobilen Verkaufswagen abgegeben. Acht Kugeln trafen den 38-Jährigen, fünf davon in den Kopf. Seda Basay-Yildiz, die Anwältin der Familie Simsek, fasst in ihrem Schlusswort minutiös den Tatablauf zusammen - so, wie er von der Polizei rekonstruiert wurde.

Foto des sterbenden Opfers taucht im Bekenner-Video auf

Vor allem aber erinnert Basay-Yildiz an die Verdächtigungen, denen die Angehörigen des NSU-Opfers über Jahre ausgesetzt waren. Simsek könnte in Drogen-Geschäfte verwickelt gewesen sein, mutmaßten damals die Ermittler. Ein rassistisches Motiv schließen sie aus. Dieses Muster wiederholt sich bis April 2006 immer wieder, als in Kassel Halit Yozgat in seinem Internet-Café mit derselben Waffe vom Typ "Ceska" erschossen wird, wie sechs Jahre vor ihm Enver Simsek. Yozgat ist das neunte Opfer. Als Letzte wird im April 2007 Michèle Kiesewetter in Heilbronn ermordet. Die Polizistin hat als einige keine ausländischen Wurzeln.   

NSU-Opfer Halit Yozgat
Halit Yozgat war das neunte von zehn Todesopfern, die zwischen 2000 und 2007 vom NSU ermordet wurdenBild: picture-alliance/dpa

Erst durch die Selbstenttarnung des NSU im November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach werden die wahren Hintergründe der unheimlichen Mordserie bekannt. Das Video mit Fotos der toten oder sterbenden Opfer hatte die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, verschickt. Ihre beiden Freunde, die mutmaßlichen Todesschützen, haben sich ihrer Festnahme entzogen, in dem sie sich selbst richteten.

Telefone der Angehörigen wurden abgehört

Die Mitte November begonnenen Plädoyers der Nebenkläger dauern inzwischen 16 Verhandlungstage. Seda Basay-Yildiz' Ausführungen gehören zu den letzten. Wie fast alle anderen Nebenkläger-Anwälte kritisiert sie die einseitige Stoßrichtung der Ermittlungen. Ein berechtigter Vorwurf, der durch zahlreiche parlamentarische Untersuchungsausschüsse eindeutig belegt wurde. Nach dem Mord an Enver Simsek wurde im familiären Umfeld mit Spürhunden nach Drogen gesucht, über Monate wurden Telefone abgehört.

In der TV-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" war von einer möglichen "Beziehungstat" und von "Rauschgift-Milieu" die Rede. Simsek-Anwältin Basay zeichnet das Bild einer endlos anmutenden Kette von Fehleinschätzungen und Versäumnissen. Sie fasst zusammen, was im Rahmen der oft zähen Beweis-Aufnahme im NSU-Prozess alles schon einmal zur Sprache gekommen ist. Und sie stellt die Erfahrungen ihrer Mandanten ins Verhältnis zu einem ehemaligen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der im Mordfall Yozgat eine dubiose Rolle spielte.

Die Frage nach den Persönlichkeitsrechten der Opfer und ihrer Familien

Andreas T. war am Tatort, als Yozgat in Kassel erschossen wurde. Akten, die T. womöglich belasten könnten, bleiben mit Verweis auf dessen Persönlichkeitsrechte unter Verschluss. "Was ist mit den Persönlichkeitsrechten der Opfer?", fragt Basay am Dienstag. Als sie ihr Plädoyer nach einer Pause fortsetzen will, vertagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung auf Mittwoch. Der Grund: Rückenschmerzen des Angeklagten Ralf Wohlleben, der die Mordwaffe organisiert haben soll.

NSU Prozess Beate Zschäpe
Beate Zschäpe (M.), Hauptangeklagte im NSU-Prozess, betritt am 402. Verhandlungstag den Gerichtssaal Bild: picture-alliance/dpa/P.Kneffel

Für ihn hat die Staatsanwaltschaftim Herbst 2017 zwölf Jahre Freiheitsstrafe gefordert, für Beate Zschäpe eine lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Nach dem Ende der Nebenkläger-Plädoyers - vielleicht noch in dieser Woche - sind die Verteidiger der fünf Angeklagten an der Reihe. Mit den Urteilen ist im Frühjahr zu rechnen. Begonnen hat der NSU-Prozess im Mai 2013.              

Fatih Akins erfolgreiche NSU-Adaption lockt viele ins Kino

Längst schon ist der NSU-Komplex Gegenstand zeitgeschichtlicher und künstlerischer Betrachtungen. Am vergangenen Sonntag ist Fatih Akins Film "Aus dem Nichts" in Hollywood mit dem "Golden Globe" ausgezeichnet worden. Seit Ende November ist das an die NSU-Mordserie angelegte Drama in den deutschen Kinos. Bislang haben es sich rund 335.000 Zuschauer angesehen.