Organisierte Kriminalität: Berlin macht Druck
17. November 2022"Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt", sagt die deutsche Innenministerin Nancy Faeser am Ende ihrer Rede auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden. Dass sich die Sozialdemokratin trotzdem große Sorgen um die Sicherheit macht, hat mit einem Phänomen zu tun, das grenzüberschreitend und international vernetzt ist: Organisierte Kriminalität, in Fachkreisen kurz OK genannt.
Klischeebild Mafia-Film und "falsche Romantisierung"
Darüber redet die 52-Jährige zum Auftakt des zweitägigen Treffens rund 20 Minuten lang und warnt vor einer Verharmlosung, die sie bei diesem Thema in Deutschland wahrnimmt. Nancy Faeser befürchtet, die Menschen könnten ein völlig falsches Bild von Organisierter Kriminalität haben: geprägt von Mafia-Filmen, aber auch wahren Geschichten, über die ihres Erachtens verzerrt berichtet wird.
Für ein besonders krasses Beispiel hält sie den Fall des Rappers Bushido, der in einem seit 2020 laufenden Strafprozess gegen seinen ehemaligen Geschäftsfreund und Clan-Chef Arafat Abou-Chaker Nebenkläger ist. Die Anklage vor dem Berliner Landgericht hat es in sich: Freiheitsberaubung, versuchte schwere räuberische Erpressung, Nötigung, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung und Untreue.
Bushido und Abou-Chaker: eine mediale Soap-Opera?
Faeser stört sich an der Darstellung des Duells in Boulevard-Medien und auf Social Media-Plattformen: Die Inszenierung erinnert sie an eine Soap-Opera. Das finde sie problematisch, weil es zu einer "falschen Romantisierung" von Organisierter Kriminalität beitrage. Es gehe da eher um das Seelenleben der Verbrecher als um die Folgen der schweren Straftaten, stellt sie fest und warnt: "Das verharmlost die Verbrechen und verhöhnt die Opfer."
Es entstehe die Vorstellung, sagt Faeser, dass Organisierte Kriminalität in einer Welt passiere, "die mit unserer gar nichts zu tun hat". Man müsse sich aber bewusst machen, dass es sie "hier, bei uns" gebe und dass sie eine Gefahr für die Demokratie sei. Wenn Vertreter des Rechtsstaates bedroht würden und illegales Geld unbemerkt gewaschen werden könne, dann müsse man konsequent handeln. Dem Gemeinwesen werde vorsätzlich Schaden zugefügt. "Das untergräbt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, das Vertrauen in unsere allgemeine Sicherheit und das Vertrauen in die Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger."
Folter und Mord "direkt vor unserer Haustür"
Als warnende Beispiele hat Nancy Faeser die Entwicklung in Belgien und den Niederlanden vor Augen: Dort schreckten die Täter sogar vor Folter und Mord nicht mehr zurück. Als Beispiel nennt sie die Ermordung des Journalisten Peter de Vries, der jahrelang im Milieu der Organisierten Kriminalität recherchiert hat.
Das käme den Menschen in Deutschland vielleicht weit weg vor, vermutet Faeser, "aber es passiert direkt vor unserer Haustür". Belgien und die Niederlande grenzen an Deutschland. Man müsse mit aller Kraft verhindern, dass es jemals so weit komme wie in den Nachbarländern, betont Nancy Faeser.
Grund zur Sorge haben die deutschen Sicherheitsbehörden allemal - dafür reicht ein Blick in das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamtes zur Organisierten Kriminalität: So ist die Zahl der Ermittlungsverfahren 2021 um 17 Prozent auf fast 700 gestiegen und der finanzielle Schaden lag bei rund 2,2 Milliarden Euro. Wobei die Innenministerin dieser negativen Entwicklung auch etwas Positives abgewinnen kann: "Der Anstieg der Ermittlungsverfahren zeigt auch, dass unsere Sicherheitsbehörden erfolgreich sind." Noch nie sei der Druck auf die Organisierte Kriminalität so hoch gewesen.
Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates
Die Arbeitsweise der Täter bezeichnet BKA-Präsident Holger Münch als "hochkonspirativ". Sie seien anonym vernetzt und immer häufiger bewaffnet. Das kriminell erworbene Geld werde in neue Straftaten investiert oder für legale Geschäftsmodelle genutzt. "Damit besteht auch die Gefahr, dass das Gewaltmonopol des Staates unterwandert wird", warnt der Behördenchef. Diese Dimension der Organisierten Kriminalität werde in den Niederlanden bereits beobachtet und als "Undermining" bezeichnet.
Um ähnliche Szenarien in Deutschland zu verhindern, wollen Holger Münch und Innenministerin Nancy Faeser die Gangart verschärfen. "Strategie zur Bekämpfung der Schweren und Organisierten Kriminalität" ist das auf der BKA-Herbsttagung präsentierte Papier überschrieben. Geplant ist unter anderem ein bundesweites Lagebild Clan-Kriminalität.
Geldwäsche soll erschwert werden
Außerdem soll im Geschäftsverkehr eine Bargeld-Obergrenze von 10.000 Euro eingeführt werden. So will man verhindern, dass illegal erworbenes Geld gewaschen wird, wie es im Fachjargon heißt. Auf diese Art werden Millionen-Summen aus Erpressung, Drogenhandel oder Zwangsprostitution scheinbar sauber investiert: in Häuser und Wohnungen, teure Autos oder wertvollen Schmuck.
Um der Organisierten Kriminalität Paroli bieten können, halten die deutsche Innenministerin und der BKA-Präsident ein seit vielen Jahren umstrittenes Werkzeug für unverzichtbar: die Vorratsdatenspeicherung von sogenannten IP-Adressen in der Telekommunikation. IP steht für Internet-Protokoll. Damit lassen sich elektronische Geräte wie Notebooks oder Smartphones identifizieren - und so auch mutmaßliche Täter und Täterinnen.
Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen
Vor allem im Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder versprechen sich Nancy Faeser und Holger Münch mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung mehr Durchschlagskraft. Der Europäische Gerichtshof hält diese Methode der Verbrechensbekämpfung nur unter streng festgelegten Bedingungen für zulässig. Anlasslos gespeichert werden dürfen nur IP-Adressen. Das Sammeln weiterer Daten, die lückenlose Bewegungsprofile ermöglichen würden, ist unzulässig.
Das Thema dürfte auch bei den Innenministerinnen und -ministern der G7-Staaten eine Rolle spielen. Das Treffen findet auf Einladung Faesers bis Freitag (18.11.2022) im hessischen Kloster Eberbach statt. Von der BKA-Herbsttagung in Wiesbaden ist dieser Ort nur 20 Minuten mit dem Auto entfernt.