OSZE will Ungarn helfen
18. Januar 2011DW-WORLD.DE: Frau Mijatovic, das ungarische Parlament hat vor dem neuen Jahr noch ein Mediengesetz verabschiedet, das nun von Journalisten und internationalen Politikern heftig kritisiert wird. Sie hatten schon davor eine Studie über das Gesetz in Auftrag gegeben, Wie kam es dazu?
Dunja Mijatovic: Der Hauptgrund für die Studie war, dass uns als unabhängige Medienbeobachtungsinstanz ein Werkzeug zur Verfügung steht, das sich "Frühwarnung" nennt. Falls wir erfahren, dass einer der 56 OSZE-Mitgliedsstaaten möglicherweise seine Verpflichtungen in Bezug auf Medienfreiheit nicht erfüllt, haben wir die Möglichkeit eine unabhängige Einschätzung in Auftrag zu geben. Das kann sich auf einen bestimmten Teil eines Gesetzes beziehen, oder auch auf das Gesetz als Ganzes. Das haben wir im Falle des ungarischen Mediengesetzes getan. Die Studie wurde von einem der bekanntesten Experten für Medienrecht durchgeführt, von Professor Karol Jakubovic. Seine Bewertung zeigt, dass es mehrere Gründe für Besorgnis gibt. Wir haben schon im Juni 2010 der ungarischen Regierung Empfehlungen gegeben und unsere Unterstützung angeboten, damit Ungarn die Verpflichtungen zur Medienfreiheit der OSZE erfüllen kann. Leider ist nichts geschehen. Der letzte Teil des Mediengesetzes wurde im Dezember angenommen.
Was waren die Hauptkritikpunkte an dem Gesetz?
Es gab mehrere Themen, die ich immer wieder angesprochen habe: Das wichtigste was wir festgestellt haben ist, dass die Gesetzgebung den Medienpluralismus untergräbt. Das ist eine grundlegende Verpflichtung seit der KSZE-Helsinki-Schlussakte von 1975. Drüber hinaus ist die Medienbehörde und der Medienrat politisch homogen, sie werden ausschließlich von Menschen geleitet, die die Unterstützung der Regierungspartei haben. Ferner: Wenn eine einzige Körperschaft den Rundfunk, die Printerzeugnisse und Online-Medien kontrolliert, dann ist das nicht etwas, was aus demokratischen Ländern bekannt ist. Die Gesetzgebung schafft auch die politische und finanzielle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien ab und zementiert langfristig undemokratische Rahmenbedingungen. Regulierung ist für den Rundfunk nötig, aber die Regierung sollte niemals in den Printjournalismus eingreifen oder Warnungen an die Printmedien ausgeben oder Printmedien regulieren, wenn wir in einer demokratischen Gesellschaft leben.
Wenn Sie das ungarische Mediengesetz mit anderen OSZE Staaten vergleichen – worin bestehen die gößten Unterschiede?
Es ist nicht mein Job Vergleiche anzustellen. Um mein Mandat zu erfüllen schaue ich mir die Verpflichtungen an, die Mitgliedsstaaten der OSZE eingegangen sind. Wenn ich dann sehe, dass es Verletzungen dieser Verpflichtungen gibt, dann weise ich mit dem Finger darauf hin.
Aber andere haben Vergleiche angestellt und darauf hingewiesen, dass in anderen Ländern die Kontrollfunktion nicht durch die Regierung, sondern durch die Justiz und journalistische Selbstkontrolle ausgeübt wird. Wie ist die Lage in Ungarn?
Die Medienbehörde und der Medienrat können den Inhalt aller Medien sanktionieren, sowohl Rundfunk, als auch Print- oder Online-Publikationen. Das gibt es in europäischen Demokratien wirklich nicht. Nach der Verfassungsänderung im Sommer können die neuen Mediengesetze auch nur noch durch eine Zwei-Drittel Mehrheit im Parlament verändert werden und jede Partei, die auch nur ein Drittel der Sitze hat, kann jegliche Änderung an der Mediengesetzgebung mit einem Veto blockieren. All das sieht nach der Einführung von Selbstzensur und voller Kontrolle aus. In der Europäischen Union gibt es gar nichts, was mit dieser Gesetzgebung auch nur annähernd vergleichbar wäre. Aber auch außerhalb der EU, auf dem Balkan, in Südosteuropa oder sogar in den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten um ihre Gesetzgebung zu ändern – Länder die noch immer staatskontrollierte Medien haben – dort gibt es solch eine Behörde nicht. Das Problem ist: Ungarn sollte als EU-Staat und OSZE-Mitglied ein Vorbild sein und nicht weiter behaupten, dass das Gesetz im Rahmen der EU-Regeln sei - auch wenn wir uns da nicht einmischen, denn das ist eine Angelegenheit für die Europäische Kommission. Aber was die OSZE-Verpflichtungen angeht, ist es völlig klar, dass das Gesetz dagegen verstößt.
Ein weiterer Kritikpunkt an dem Gesetz ist ja auch die Formulierung, die von den Medien "ausgewogene" Berichterstattung verlangt. Wie kann ein Gesetz festlegen, was "ausgewogen" ist?
Persönlich, als jemand der vom Balkan kommt, aus einem Land, das sich noch immer im Übergang zu einer Demokratie befindet, habe ich den Eindruck, dass die Forderung nach Ausgewogenheit dazu missbraucht wird, den Journalisten zu sagen, wie sie ihren Job machen sollen. Aber niemand hat das Recht Journalisten vorzuschreiben, wie bestimmte Informationen abzuwägen sind. Was soll das bedeuten, ausgewogen zu sein? Natürlich muß man professionell sein. Man muß fair und unparteilich im Urteilsvermögen und gegenüber seiner Öffentlichkeit sein. Aber wenn es eine Regulierungsbehörde gibt, die Ausgewogenheit kontrollieren soll, stellt sich die Frage, was für Parameter diese auf einen bestimmten Artikel oder Rundfunk-Beitrag anwenden soll. Es gibt demokratische Wege, Problembereiche anzugehen, wie Diffamierungen. Dafür sind aber die Gerichte zuständig und keine Regulierungsbehörden, wie in diesem Falle.
Die neue Behörde hat ja nicht lange gezögert. Schon vor dem ersten normalen Arbeitstag, also am Sonntag nach Neujahr, hat sie einen Privatsender abgemahnt, weil er die obszöne Musik eines US-Rappers gesendet hatte. Wo ist die Grenze des Jugendschutzes?
Wir sind alle sehr stark sensibilisiert, wenn es um den Schutz Minderjähriger geht. Und es ist das legitime Recht jeder Regierung hier zu handeln. Als demokratische Länder müssen wir dieses sehr wichtige Thema äußerst ernst nehmen. Ich kann zwar das fragliche Lied, das gesendet wurde, nicht kommentieren, da mir die Begründung der Entscheidung nicht vorliegt: Wurde der Beschluß auf Grundlage des Gesetzes getroffen oder auf Grundlage der Sendezeit des Liedes? War es tagsüber, während der Kindersendungen? Allerdings gibt natürlich der Moment der Abmahnung – so kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes - Grund zur Sorge. Das ist aber meine persönliche Meinung, unser Büro hat kein Recht sich in die Inhalte einzumischen, aus gutem Grunde. Wir beobachten den gesetzlichen Rahmen, dass die Sicherheit der Journalisten gewährleistet wird, und alles was die OSZE-Verpflichtungen angeht. Ich habe aber nicht das Recht die Inhalte zu bewerten. Allerdings werden wir uns die Prozeduren anschauen, die angewandt werden, wenn es darum geht Stationen mit Strafen zu belegen oder zu verwarnen.
Was können Sie jetzt tun?
Derzeit beobachten wir die Situation. Uns ist auch bewusst, dass die Europäische Union dem Thema eine besondere Aufmerksamkeit widmet. Ich habe auch eine Einladung der ungarischen Regierung erhalten, und begrüße diese Möglichkeit. Ich glaube, dass es eine exzellente Gelegenheit ist, die Themen zu diskutieren und auch unsere Unterstützung anzubieten, denn genau das ist Teil meines Mandats – der Regierung Hilfestellungen anzubieten.
Welches sind die nächsten Schritte?
Ich denke die Gespräche mit der Regierung sind ein Schritt in die richtige Richtung. Dialog ist die einzige Möglichkeit, in der wir Unterstützung leisten können. Alles was wir getan haben, war öffentlich. Wir haben auch sofort der ungarischen Regierung unsere Ergebnisse mitgeteilt, nachdem wir die Bewertungen abgeschlossen hatten. Ich sehe den Gesprächen mit Zuversicht entgegen und hoffe auf ein gutes Ergebnis, aber ich kann dies natürlich nicht vorwegnehmen. Ich werde mich mit dem Staatsminister für Medien treffen und hoffe, dass die ungarische Regierung versteht, dass sie ein Gesetz, dass die Meinungsfreiheit untergräbt ändern müssen, um auch weiterhin als freier und demokratischer Staat Vorbild für andere sein zu können.
Das Interview führte Fabian Schmidt
Redaktion: Gero Rueter
Dunja Mijatovic ist Repräsentantin für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).