Halilaj: Poetische Installationen
20. April 2015Ein schlecht beleuchteter Kellerraum. Alles steht voll geräumt mit grob gezimmerten Holzkisten, als hätte jemand den Ort fluchtartig verlassen. "Sind hier Krähen drin?", ertönt in dem Video eine Männerstimme aus dem Hintergrund. "Nein, das sind Adler", antwortet jemand. Die Arbeiter sprechen albanisch, brechen den Holzdeckel der nächsten Kiste mit einem Stemmeisen auf. Innen liegen wild durcheinander verrottete Tierpräparationen: Bussarde mit weit ausgebreiteten Schwingen, Pelikane, Enten und kleine Kanarienvögel. Die Männer tragen Mund- und Nasenschutz. Im Hintergrund schleppen Arbeiter alte zerbrochene Ausstellungsvitrinen den Gang entlang.
Kulturbewahrung im Auftrag der Kunst
Dieser Filmausschnitt ist Teil einer dreiteiligen Videoinstallation des Künstlers Petrit Halilaj (Jg. 1986), der aktuelle Arbeiten derzeit an zwei Orten gleichzeitig ausstellt: #link:http://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/petrit-halilaj.html:in Bonn in der Bundeskunsthalle# und #link:http://koelnischerkunstverein.de/wp/vorschau-petrit-halilaj-abetare:im Kölnischen Kunstverein.# Der 28-jährige Halilaj hat an der Mailänder Kunstakademie studiert und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Kulturverlust in seiner Heimat Kosovo. Museen, Schulen, Bildungsinstitutionen - viele Kulturinstitutionen wurden bei dem politischen Umbruch nach dem Kosovokrieg einfach abgeschafft, aufgelöst und in der Eile des politischen Neuanfangs notdürftig woanders verstaut. Vieles landete auf dem Müll.
Mit seinen raumfüllenden Installationen begibt sich Halilaj auf kulturhistorische Spurensuche in seiner eigenen Biografie. Erfahrungen aus dem Kosovokrieg (1998/99) spielen eine zentrale Rolle in seinem Werk, künstlerisch neu verarbeitet und zu poetischen Arbeiten und monumentalen Installationen geformt. Nostalgische Ambitionen sind Halilaj fremd, im Gegenteil: seine Arbeiten haben immer eine verschlüsselte Botschaft. "Es gibt hier in der Ausstellung nicht nur hübsche Objekte. Es gibt auch politische Statements, die zwischen den Zeilen lesbar sind", erklärt der Direktor der Bundeskunsthalle, Ror Wolfs, im DW-Gespräch. "Das was wir explizit nicht sehen, ist im Grunde auch die Thematik dieser Ausstellung: das Verschwinden einer Heimat."
Heimaterde als Material
Auch die ehemaligen Ausstellungsstücke des Naturkunde-Museums in Pristina landeten in der Versenkung, wie Wolfs erzählt. "Es ist verloren gegangene Kultur aus dem Kosovo, die Halilaj hier zeigt. Er hat eine Wiederbelebung des ehemaligen Museums für Naturkunde in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, als Installation aufgebaut. Das Museum wurde 2001 geschlossen und dann ersetzt durch ein Museum für Ethnologie." 14 Jahre lagerten die empfindlichen Exponate in verdunkelten, schlecht klimatisierten Räumen. Die Holzkisten nur notdürftig mit Plastikfolie eingeschlagen.
Drei dieser geretteten Museumsvitrinen stehen jetzt als Exponate in der Bonner Ausstellung, umgeben von Nachbildungen der Tierpräparate, die als kleine Skulpturen - kunstvoll gruppiert - den Raum bevölkern. Petrit Halilaj hat sie so für die Nachwelt gesichert und in Kunst transformiert. Dabei bedient er sich ungewöhnlicher Materialien, erläutert Direktor Wolfs. "Er verwendet sehr oft Materialien, die aus seiner Heimat Kosovo stammen. Und hat vieles aus seiner Heimat hergebracht: Tierkot, Erde, teilweise angereichert mit Material aus Italien, Deutschland und anderen Orten."
Künstlerisches Chaos
Ortswechsel. Der Kunstverein in Köln residiert in stadthistorischem Gemäuer: elegante Fünfziger-Jahre-Architektur, der zentrale Ausstellungsraum lichtdurchflutet. Beidseitige Fensterflächen lassen Ausblicke zu auf die stark befahrene Innenstadtstrasse auf der einen und den himmlisch ruhigen Innenhof auf der anderen Seite. Ein Ort, der sich auf die Präsentation von junger Kunst spezialisiert hat. Innen herrscht das künstlerische Chaos des Aufbaus. Die Einzelteile von Petrit Halilajs Kölner Installationen werden angeliefert. Viel Arbeit für die Helfer, die jedes Teil einzeln aus dem Miet-LKW rein schleppen müssen. Grob gebogene Metallstangen, Kleinteile, Wörter in krakeliger Schreibschrift aus Stahl, alte Schultische.
Erst als alles wild im Raum verteilt auf dem Boden steht und liegt, lässt sich allmählich ein künstlerisches Konzept für die kommende Ausstellung erahnen. Auch hier geht Petrit Halilaj seiner sehr persönlichen Spurensicherung nach. Erkundungs- und Transformationsobjekt ist diesmal eine verlassene Schule in seiner Heimat im Kosovo. "In kleineren Städten ist jeder Baum, jedes Gebäude essentiell und prägt das Stadtbild sehr stark. Und diese Schule war eines der größten Gebäude in der Stadt", erzählt er im DW-Gespräch. "Diese Schule hat den Krieg im Kosovo überlebt, aber jetzt gibt es dort einen schnellen Wechsel. Vieles wird geändert, umgebaut und vieles ist dort in einer Art Transformationsprozess: Dinge kommen hinzu, Dinge verschwinden. Sogar solche, die man dort über Jahrzehnte benutzt und gebraucht hat, wie zum Beispiel die Schulbücher, verschwinden einfach", fügt er mit einem Anflug von Traurigkeit in der Stimme hinzu.
Starke Heimatbezüge
Als Künstler, der inzwischen international auf der ART Basel und auf der Kunstbiennale Venedig ausstellt, sucht Petrit Halilaj fortwährend nach einer neuen Identität, neuem Heimatbezug zu längst verlorenen Kulturzusammenhängen im Kosovo. Der Wille, die Erinnerungen daran wach zu halten, sei sein künstlerischer Motor, der ihn antreibe, erzählt er während des anstrengenden Aufbaus. Das gebe ihm die Kraft für solche monumentalen Installationen. Die Arbeiten für Köln sind ganz aktuell in nur wenigen Wochen in einem eigens dafür angemieteten Kölner Atelier entstanden.
Petrit Halilaj hat dafür Kritzeleien auf den Schultischen seiner alten Grundschule im Kosovo als Inspirationsquelle genutzt. Dreidimensional tauchen sie in seinen neuen Arbeiten auf. Als Schriftskulpturen, die man in allen Stockwerken des Kölnischen Kunstvereins in völlig unterschiedlichen Ausprägungen sehen kann – mal klitzeklein am Boden, mal überdimensional als Stahlskulptur im Raum. "Und diese Zeichen sind überall gleich, also auch in den Schulen in Berlin oder Köln. Es ist eine Art Enzyklopädie des Lebens", sagt Halilaj.
Der Direktor der Bundeskunsthalle Wolfs sieht diese sehr poetische Art der Kulturbewahrung Halilajs als wichtigen Beitrag zum schnelllebigen Kunstmarkt: "Kunst ist ja ein Schlüssel zu etwas, was tiefer hinter all den Dingen versteckt ist. Und Petrit Halilaj ist ein Künstler, der es versteht, ungemein stark und auf metaphorische Art und Weise, tiefer liegende Wahrheiten ans Licht zu bringen."
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn "Petrit Halilaj - She, Fully Turning Around, Became Terrestrial" ist noch bis zum 18. Oktober 2015 zu sehen. Die Ausstellung "Abetare" im Kölnischen Kunstverein dauert bis zum 2. August 2015.