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Griechenland-Stimmung

20. Februar 2012

Die traditionell guten deutsch-griechischen Beziehungen stehen auf dem Prüfstand. Befremdet beobachtet Athen die deutsche Boulevard-Berichterstattung. Griechische Medien kontern mit Deutschland-Klischees.

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Schlagzeilen griechischer Zeitungen kritisieren Deutschland. Attacke auf Wolfgang Schäuble. Foto:Thanassis Stavrakis/AP/dapd
Bild: dapd

Nikos Dimou ist Werbefachmann, Redakteur, Publizist und ein großer Skeptiker des Wortes. Pauschalisierungen über "faule Griechen, die mit fünfzig in Rente gehen" will er genauso wenig hören wie die äußerst kritischen Bemerkungen des deutschen Bundesfinanzministers. Er glaubt aber auch, dass sich im Zuge der Schuldenkrise sowohl Deutsche wie Griechen schlecht benommen hätten.

"Die Griechen haben die Tendenz, immer jemanden außerhalb Griechenlands zu beschuldigen für das, was passiert", meint er. "In meiner Kindheit waren es die Engländer, dann waren es die Amerikaner, jetzt sind es die Deutschen." Neben der mangelnden Selbstkritik kritisiert er naive Verschwörungstheoretiker: "Manche behaupten, die Krise sei inszeniert, um Griechenland eines Tages billig zu kaufen."

Vom Mittelalter direkt in die Neuzeit

Seine Ansichten haben Dimou den Ruf des Nestbeschmutzers eingebracht. In seiner Aphorismensammlungen "Über das Unglück, ein Grieche zu sein" geht er der Frage nach der Identität seines Landes differenziert nach - und versucht, die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik zu erklären: Die Griechen hätten nicht miterlebt wie Westeuropa zu dem wurde, was es heute ist. "Sie haben keine Renaissance erlebt, sie haben keine Bürgerklasse gehabt, sie haben nicht die Reformation erlebt, nicht die Aufklärung, nicht die französische Revolution. Mit dem Befreiungskrieg 1821 wurden sie vom Mittelalter direkt in die Neuzeit katapultiert. Otto von Bayern ist mit seinen Beratern nach Griechenland gekommen, um aus Griechenland ein europäisches Land zu machen."

Dennoch wirbt er für Verständnis: "Bevor man kritisiert, muss man verstehen, dass die rationale Organisation der Gesellschaft etwas relativ Neues für die Griechen ist. Ich sehe, dass die jüngeren Generationen viel rationaler denken als meine eigene. Es wird sich alles ändern, aber das geht nicht von einem Tag zum anderen."

Die Vetternwirtschaft griechischer Eliten

Eine Wandlung, die manchem zu langsam vonstatten geht. Griechische Kommentatoren kritisieren, dass derzeit nicht Talent und Leistung, sondern vor allem Herkunft und Beziehungen zählten. Doch profitieren gerade die Eliten von dieser feudal anmutenden Vetternwirtschaft - ein System, das sich selbst reproduziert.

Auf einer Griechenland-Fahne liegen Münzen. Foto: Arno Burgi/lsn
Unternehmenskorruption - importiert oder strukturell bedingt?Bild: picture alliance/ZB

Der Kritik von Wolfgang Schäuble an der politischen Klasse Griechenlands stimmt Vassiliki Georgiadou, Politologin an der Panteion Universität zu Athen, daher teilweise zu: "Ja, er hat recht. Aber deutsche Bürger und Steuerzahler müssen auch wissen, dass Millionen Griechen ehrlich arbeiten und Steuern zahlen - und zwar ein Großteil der griechischen Mittelklasse." Gerade für Außenstehende sei es daher besonders wichtig, ihre Kritik an den griechischen Verhältnissen differenziert zu äußern und zu unterscheiden zwischen "ehrbaren Menschen, die selbst am stärksten unter der Krise leiden, und den Eliten des Landes, die diese Krise auch zu verantworten haben."

Korruptionsaffären um deutsche Unternehmen

Vassiliki Georgiadou macht sich Sorgen wegen der wachsenden Misstöne zwischen Griechenland und Deutschland. Da in den letzten Jahren einige deutsche Firmen, allen voran Siemens, verdächtigt wurden, an Bestechungsaffären beteiligt gewesen zu sein, wird Deutschland in der griechischen Presse der Korruption beschuldigt. Im vergangenen April erklärte der damalige Justizminister Charis Kastanidis sogar, deutsche Unternehmen seien "Weltmeister der Korruption".

Wie auch Nikos Dimou hält Vassiliki Georgiadou diese Vorurteile für ein strategisches Ausweichmanöver - schließlich gebe es Korruption in Griechenland nicht nur, weil eine deutsche Firma dazu beigetragen habe, "sondern vor allem deswegen, weil das politische System und möglicherweise auch das wirtschaftliche System des Landes zum Teil durch Korruption am Leben erhalten wird", meint sie. "Solche Vorwürfe dienen nur als Alibi, damit wir uns nicht mit der Frage beschäftigen müssen, ob wir auch selbst Fehler gemacht haben."

Bundesfinanzminister Wolfgang Schaeuble (CDU) Foto: Clemens Bilan/dapd
Bundesfinanzminister SchäubleBild: dapd

Manche Griechen sehen die jüngsten Spannungen aber auch mit Humor. Der Karikaturist der Tageszeitung "Kathimerini" kommt ganz ohne historische Stereotype aus und hat einen eigenen Vorschlag zur Lösung der Krise. Seine jüngste Zeichnung zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, die den Fussballtrainer Otto Rehagel hilflos anblicken. "Sie müssen uns helfen", sagt der Finanzminister, "Sie sind der einzige, den die Griechen als Sparkommissar akzeptieren würden ...“

Autor: Jannis Papadimitriou
Redaktion: Johanna Schmeller