Politische Instabilität behindert Wüstenstrom
6. Juli 2012Die Idee klang so schön und überzeugend: In den Wüsten des Nahen Ostens und der nordafrikanischen Staaten, der sogenannten MENA Region, sollen bis 2050 Solarkraftwerken und Windparks entstehen, die die lokale Bevölkerung mit Strom versorgen. Darüber hinaus sollen sie auch noch grünen Strom nach Europa exportieren und so das CO2 Problem reduzieren. Erste Schritte auf dem Weg, die Vision vom Wüstenstrom für Europa Wirklichkeit werden zu lassen, sind bereits getan: So hat das Desertec-Konsortium mit der marokkanischen Agentur für Solarenergie ein Referenzprojekt vereinbart und ab 2014 soll über eine bestehende Leitung nach Spanien grüner Strom von Marokko nach Europa fließen. Weitere Referenzprojekte in Tunesien und Algerien sind in Planung.
Nur ein zaghafter Anfang oder geht es jetzt richtig los? Sören Scholvin vom Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien ist da skeptisch. "Bei Algerien wird es sofort problematisch, weil die politischen Beziehungen zwischen Marokko und Algerien einfach nicht die besten sind", so Scholvin. Algerien sei aber höchstwahrscheinlich auf Marokko als Transitland angewiesen. "Hier besteht also wirklich ein Problem, dass man gewisse politische Rahmenbedingungen schaffen muss um das MENA-Projekt in seiner Gänze zu realisieren."
Bislang nur Ideen
Das MENA-Projekt in seiner gesamten Größe geht weit über die ersten Referenzprojekte hinaus. Schaut man sich die Karten an, auf denen die Vision von Desertec dargestellt ist, dann sieht man einen Ausschnitt von Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten, der mit einem weit verzweigten Netz von Leitungen sowie Wind- und Sonnenkraftwerken überspannt ist. Eine solche Vernetzung erfordert aber, dass die Länder der MENA Region eng miteinander kooperieren. Als die Pläne entworfen wurden, waren die politischen Umbrüche des vergangenen Jahres, die viele Länder immer noch nicht zur Ruhe kommen lassen haben, allerdings noch nicht vorhersehbar.
Dementsprechend würden auch einige Mitglieder des Unternehmens-Konsortiums von Desertec die Entwürfe relativieren, so Scholvin. "Wenn Sie bei der Münchener Rück zum Beispiel nachfragen, dann werden die ihnen sagen, dass die Stromleitung, die auf ihren Karten eingezeichnet sind, für den Nahen Osten, keinen aktuellen Planungshintergrund haben." Die Karten würden lediglich ein Szenario darstellen, was künftig möglich sein könnte.
Auch Erdöl und Erdgas kommt aus instabilen Ländern
Bis jetzt sei Desertec kein Projekt, das wirklich die komplette MENA-Region angehen würde und versuche, ein länderübergreifendes Stromnetz zu errichten mit Solarkraftwerken, die für Europa produzieren, erklärt Scholvin. "Im Moment gibt es lediglich Projekte mit einzelnen Ländern, beispielsweise mit Marokko. Da ist also regionale Kooperation erstmal nicht wichtig." Außerdem seien die politisch instabilen Länder bei Desertec zunächst einmal nicht im Fokus. "Derzeit besonders instabile Staaten wie Libyen oder Ägypten sind für Desertec höchstens langfristig interessant", glaubt Scholvin.
Das die Vision von Desertec allerdings unrealistisch ist, soweit geht Scholvin nicht. Immerhin würden auch die Länder, die Erdöl und Erdgas nach Europa liefern, nicht zu den politisch stabilsten Staaten gehören. Somit mache politische Instabilität zwar einiges schwieriger, müsse aber nicht grundsätzlich das Aus für solche Projekte wie Desertec bedeuten. "Das mag damit zusammenhängen, dass alle politischen Kräfte in den MENA-Staaten, unabhängig davon wie sie zur aktuellen Regierung stehen, davon überzeugt sind, dass wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftlicher Fortschritt notwendig sind." Dafür würden Projekte wie Desertec sehr gute Möglichkeiten bieten. "Es gibt, zumindest meines Wissens nach, keine relevanten politischen Kräfte, selbst im islamistischen Spektrum, die sich vehement gegen das Projekt Desertec aussprechen."
Wüstenstrom für den Eigenbedarf
Für die MENA-Länder würde es sich in jedem Fall lohnen, Solarkraftwerke aufzubauen, auch wenn sie nur den Eigenbedarf decken würden, meint Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Denn nach Prognosen wird die Bevölkerung der MENA-Staaten in den kommenden vierzig Jahren um 45 Prozent wachsen und der Strombedarf wird sich vervierfachen. "Die Solartechnik ist vor Ort relativ günstig und da macht es auf alle Fälle Sinn, auf die Solartechnik zu setzten", so Quaschning. Unabhängig davon, ob das Desertec-Konzept komme oder nicht, werde man die Solartechnik in diesen Ländern stark ausbauen. Mittelfristig, müsse man dann sehen, ob man die Solartechnik zusätzlich mit Leitungstechnik in Europa verbindet und Strom austauscht oder, ob man primär für den Eigenbedarf Solarstrom erzeugt. "Das ist mittelfristig schwer einzuschätzen was da passieren wird."
Marokko kümmert sich bereits um seine eigene Energiewende und hat - unabhängig von Desertec - einen Solarplan erstellt. Der sieht vor, dass bis 2020 Solarkraftwerke mit einer Leistung von 2000 Megawatt errichtet werden sollen, um so rund 14 Prozent des Strombedarfs zu decken. Außerdem sind neue große Windparks geplant. Das Ziel: In achtzehn Jahren sollen 42 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen.
Europäische Strom-Konkurrenz schläft nicht
Neben der politischen Situation gibt es aber noch weitere Entwicklungen, die langfristig das Desertec-Projekt überflüssig machen könnten. In der Zeit, in der Desertec an seinen Plänen in der MENA Region schmiedete, sind die Preise für Photovoltaik in Europa deutlich gefallen. Auch Quaschning sagt nicht, dass Wüstenstrom für Europa generell keinen Sinn macht. Allerdings wendet er ein: Ob es sich langfristig lohne, Strom aus der Wüste nach Europa zu importieren, hänge stark davon ab, wie teuer Strom aus erneuerbaren Energien in Europa zukünftig werde.
Insgesamt glaubt er aber nicht daran, dass es langfristig wirtschaftlich sei, 30 oder 40 Prozent Solarstrom aus Afrika zu importieren. Für wahrscheinlicher hält er, dass Desertec-Strom auch künftig weniger als zehn Prozent des europäischen Stroms ausmachen werde. "Man muss sehen, ob bis dahin vielleicht aber auch die erneuerbaren Energien in Europa so schnell ausgebaut sind, dass man 2050 vielleicht gar nicht mehr den Import braucht."