Argentiniens Fußball: Investoren oder Vereinskultur?
11. Januar 2024Milliarden aus dem arabischen Raum, Investoren aus der Premier League: Der neue argentinische Präsident Javier Milei möchte den argentinischen Klubfußball privatisieren. In dieser Initiative sieht er große Chancen für eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
Doch anders als in der reform- und modernisierungsbedürftigen Wirtschaft des krisengeschüttelten Landes spielt im Fußball noch ein anderer Aspekt eine entscheidende Rolle: Emotionen. Die Fußballfans in Argentinien sind meist Mitglieder ihrer Vereine und damit berechtigt, ihr Führungspersonal zu wählen. Die vereinsinterne Demokratie ist ihnen heilig.
Milei will die argentinischen Fußballvereine jedoch ermuntern, sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Damit wären sie für internationale Investoren interessant. Die Klubs sollen selbst entscheiden, ob sie das möchten oder nicht. Der Gedanke dahinter: Argentinische Klubs verlieren jedes Jahr ihre Top-Spieler. Sie wechseln zu ausländischen Spitzenklubs meist in Europa, weil diese mehr Geld zahlen können als die Vereine in der Heimat. Mit dem Geld der Investoren, wären die argentinischen Vereine wettbewerbsfähiger.
Menotti: "Fußball ist auch eine kulturelle Angelegenheit"
Der Vorstoß Mileis trifft in Argentinien allerdings auf heftigen Widerstand. Cesar Luis Menotti, der legendäre Trainer der argentinischen Weltmeistermannschaft von 1978, übt Kritik. "Der Fußball ist auch eine kulturelle Angelegenheit und gehört den Mitgliedern und dem Viertel, in dem er groß geworden ist", sagt der 85-Jährige auf Anfrage von DW. Für den neuen Präsidenten hat er deshalb einen Rat: "Wenn Sie Geschäfte machen wollen, eröffnen Sie einen Baumarkt."
Menotti trifft damit die Stimmung eines Großteils der argentinischen Fußballfans, für die der eigene Verein eine Mischung aus Mystik, Religion und Heimatverbundenheit darstellt. Die ist nicht zu verkaufen, meint zum Beispiel Agustin Torres. Er ist Fan der Mannschaft CA Huracan. "Ich hoffe, dass die Vereine nicht privatisiert werden", sagt der junge Mann. "Weil wir eine Kultur haben, die Dinge selbst zu erledigen." Investoren von außen würden diese Kultur zerstören, die Mitbestimmung und Einflussnahme der Fans unterbinden oder einschränken, so Torres.
Vereine im Stadtviertel verwurzelt
Ähnlich sieht es Agustin Sanchez, ebenfalls Huracan-Fan. Das Team aus der Hauptstadt Buenos Aires war fünfmal argentinischer Meister. Sanchez hat eine ähnliche Perspektive wie Trainerlegende Menotti. Er fürchtet um die lokale Verwurzelung der Klubs, wenn ausländische Investoren die Kontrolle übernehmen.
"Ich bin dagegen, denn Huracan ist ein Nachbarschaftsverein, der von der Familie geführt wird, die ins Stadion geht und den Mitgliedsbeitrag zahlt." Diese lokale Verwurzelung und die Einbindung der Fans seien ein hohes Gut, meinen Fans wie Sanchez oder Torres im Gespräch mit der DW.
Auch die Möglichkeit, dass plötzlich Spieler und Multimillionäre wie Lionel Messi ihre ehemaligen Heimatklub kaufen könnten, weil sie über entsprechende finanzielle Möglichkeiten verfügten, würde das nicht aufwiegen, sagt Sanchez: "Der Verein gehört dem Volk, nicht den Spielern, auch wenn sie dort als Kinder ihre Laufbahn begonnen haben", sagt er. "Es macht keinen Sinn, dass irgendein Spieler, eine Person oder ein Unternehmen einen Verein mit eigenen Mitteln kauft."
Rein wirtschaftliche Perspektive
Mileis Vorschlag stammt aus der Perspektive eines Ökonomen, der den Fußball als reinen Geschäftsbetrieb betrachtet. Er berücksichtigt dabei aber nicht, dass ein Fußball-Klub auch ein Teil der lokalen Identität, der Heimat und Kultur ist. Rein wirtschaftlich betrachtet, macht Mileis Idee durchaus Sinn, wenn der argentinische Klubfußball irgendwann einmal die finanzielle Lücke zum europäischen Klubfußball schließen möchte.
Bei der Klub-WM gibt es seit zehn Jahren nur noch europäische Gewinner. Aus Argentinien gewannen zuletzt die Boca Juniors. Das war im Jahr 2003. Damals ging es noch um den Weltpokal, den Vorläufer der Klub-WM. Stattdessen gibt es aber jede Menge argentinische Spieler, die mit europäischen Vereinen Klub-Weltmeister geworden sind.
Rückendeckung von Ex-Nationalspieler
Milei erntet daher für seinen Vorschlag nicht nur Kritik. Unterstützung erhält er zum Beispiel von Ex-Nationalspieler Javier Zanetti. Der mittlerweile 50-Jährige hat lange für Inter Mailand gespielt und 143 Länderspiele für Argentinien bestritten.
"Die Umwandlung kann eine Alternative sein, die einige Vereine ausprobieren können, um zu sehen, ob es eine Lösung für viele der Probleme ist, die sie heute haben", sagte Zanetti in einem Interview mit einem argentinischen Fernsehsender.
"Es gäbe Aktiengesellschaften, die ihre Mitglieder ebenfalls dazu bringen würden, sich zu beteiligen", so der Ex-Profi weiter. "Ich glaube, dass keine von ihnen gegen die Identität des Vereins vorgehen wird. Im Gegenteil: Sie werden sich verbessern wollen."
Zanetti spricht dabei aus eigener Erfahrung. Er ist inzwischen Vizepräsident des italienischen Spitzenklubs Inter Mailand und arbeitet dort mit chinesischen Investoren zusammen.
(Mitarbeit: Mariano Campetella, Buenos Aires)