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Punkrock trifft Zwölftonmusik

Heike Mund25. Oktober 2013

Zusammen mit dem Sinfonieorchester der Düsseldorfer Musikhochschule setzt die deutsche Punkband "Die Toten Hosen" ein Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.

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Die Band "Die Toten Hosen" mit Sänger Campino (M) stehen am 19.10.2013 in der Tonhalle Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit dem Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule auf der Bühne. In insgesamt drei Gedenkkonzerten erinnert die Punkband zusammen mit den Sinfonikern der Robert Schumann Hochschule an die Musik, die vor 75 Jahren in der Düsseldorfer NS-Propagandaausstellung «Entartete Musik» von den Nazis geächtet wurde. Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Get out!" Campinos rauhe Stimme bellte die Worte fast heraus. Sekundenschnell wechselte er vom Englischen in einen scharfen deutschen Kommandoton: "Achtung! Stillgestanden! Na wird’s bald." Mit dem Zeigefinger verfolgte der Frontsänger der Toten Hosen genau die Textzeile auf dem hellen Notenpult. Schrille Bläsersätze unterstrichen den beängstigenden Text. Vor ihm, im Halbrund gestaffelt, saßen die jungen Musiker des hochschuleigenen Sinfonieorchesters.

Der Probensaal der Robert-Schumann-Hochschule war taghell erleuchtet, Anspannung lag im Raum. Arnold Schönbergs dramatisches Zwölftonwerk "Ein Überlebender aus Warschau" wurde geprobt, 1947 von dem jüdischen Komponisten im amerikanischen Exil komponiert - als Erinnerung an die Deportationen aus dem Warschauer Ghetto. Ein schwieriges Stück, voller Dissonanzen und Tonsprünge. Alle blicken hochkonzentriert auf die Noten vor sich.

Harte Proben für das Gedenkkonzert

Campino setzte neu an, diesmal mit leiser, eindringlicher Erzählstimme. "They began again, first slowly: one, two, three..." Dirigent Rüdiger Bohn unterbrach ihn, erklärte kurz, wo die Pausen im Sprechgesang zu setzen sind. Für den Punkrocker eine ungewohnte Rolle. In seiner Band ist er der Frontmann und höchstens der Schlagzeuger gibt den Takt vor.

Die Toten Hosen und das Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf gaben drei Konzerte, um in der Tonhalle Düsseldorf an die vor 75 Jahren von den Nationalsozialisten eröffnete Ausstellung „Entartete Kunst zu erinnern. (19., 20.,21.10.2013) - Campino, Frontsänger Tote Hosen zugeliefert von: Conny Paul copyright: DW/ Heike Mund
Toten Hosen-Frontmann Campino bei den ProbenBild: DW/H. Mund

Der Sänger der Toten Hosen bückte sich kurz zu seinem Kaffeebecher runter, trank einen Schluck. Und setzte mit der Präzision des Profimusikers wieder ein: "One, two, three. Faster and faster..." Mit einer mächtigen Bass-Bariton-Wolke antwortete der Männerchor. Gänsehaut-Faktor. Rüdiger Bohn ließ nach dem letzten Akkord zufrieden den Taktstock sinken: "Sie bleiben auf jeden Fall dran, unbedingt hart dran. Und nehmen Sie nicht die Energie aus dem Orchester!"

Crossover-Projekt mit Musikstudenten

Im Hintergrund beobachtete Thomas Leander, Professor an der Musikhochschule und für die künstlerische Praxis der Studenten zuständig, wie die jungen Musiker mit den schwierigen Musikstücken zurechtkamen. Er hatte 2011 die Idee zu diesem Crossover-Projekt: ein Gedenkkonzert mit sinfonischer Musik und Songs der Toten Hosen. Und das in der Düsseldorfer Tonhalle - nicht gerade ein Ort für Punkkonzerte. Vor 75 Jahren, im Mai 1938, hatten die Nazis nebenan im Ehrenhof die Propagandaschau "Entartete Musik" eröffnet.

Die Band musste nicht lange überlegen und sagte zu: "Weil wir es wichtig finden, an diese schreckliche Ausstellung zu erinnern", erklärte Campino. Und es sei auch eine musikalische Herausforderung, sich mal auf klassisches Terrain zu begeben. Campino selbst hatte ja schon als Mackie Messer in der "Dreigroschenoper" Erfahrung gesammelt. Als Musiker engagieren die Toten Hosen sich seit langem gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Ihr Stück "Willkommen in Deutschland", 1993 getextet als Reaktion auf die brennenden Asylbewerberheime in Deutschland, wurde deshalb auch Titel des Konzertprojektes.

Sänger Campino (r) von der Band "Die Toten Hosen" steht am 19.10.2013 in der Tonhalle Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit Keno Brandt (l) von der Robert Schumann Hochschule auf der Bühne. In insgesamt drei Gedenkkonzerten erinnert die Punkband zusammen mit den Sinfonikern der Robert Schumann Hochschule an die Musik, die vor 75 Jahren in der Düsseldorfer NS-Propagandaausstellung «Entartete Musik» von den Nazis geächtet wurde. Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa
Punkrocker Campino in ungewohnter Begleitung: Mit Opernsänger Keno Brandt (l.)Bild: picture-alliance/dpa

Musikalischer Ausflug in die deutsche Geschichte

Nur eine knappe Woche war Zeit für gemeinsame Proben, jeden Tag von morgens 10 Uhr bis in den späten Abend, jedes Stück eine andere Besetzung. Das anspruchsvolle Programm verlangte vor allem den unteren Semestern einiges an handwerklichem Können ab: Von sinfonische Filmmusik aus dem Piratenfilm "The Sea Hawk - Herr der 7 Meere" von Hollywood-Komponist Erich Wolfgang Korngold über vertonte Gedichte von Erich Kästner und Hermann Hesse - arrangiert für Punkband und Orchester - bis zu Schlagermelodien der "Comedian Harmonists", die sich 1935 nach dem Berufsverbot ihrer jüdischen Mitglieder auflösen mussten.

Für die ausländischen Studenten des Sinfonieorchesters, wieMircea Gogoncea aus Rumänien, der in Düsseldorf Gitarre studiert, war das Konzertprojekt auch ein Ausflug in die deutsche Geschichte. Viele wussten nur wenig über das Schicksal der verfemten und ermordeten Komponisten und Textdichter. "Es ist ganz wichtig für die Studenten, dass sie verinnerlichen, worum es in dem Konzert geht", sagte Dirigent Rüdiger Bohn.

Erschöpft aber zufrieden

Die Toten Hosen und das Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf gaben drei Konzerte, um in der Tonhalle Düsseldorf an die vor 75 Jahren von den Nationalsozialisten eröffnete Ausstellung „Entartete Kunst zu erinnern. (19., 20.,21.10.2013) - Mitglieder des Sinfonieorchesters der Musikschule Düsseldorf zugeliefert von: Conny Paul copyright: DW/ Heike Mund
Anstrengende Probenarbeit für die StudentenBild: DW/H. Mund

Erschöpft hing die Cellistin Lea Haas über ihrem Instrument. Ihre Wangen waren von der Anstrengung der langen Probe ganz rot. Die jungen Musiker packten müde, aber sichtlich stolz auf das Erreichte ihre Instrumente ein. Zwölftonmusik von Schönberg ist harte Kost. Auch Campino sah man die Anstrengung der gerade zu Ende gegangenen Tournee und die Anspannung der Probenarbeit an. Dirigent Rüdiger Bohn war dennoch sehr zufrieden: "Ob wir diese Mischung aus Erinnerung und Rückblick und natürlich auch Trauer hinbekommen und gleichzeitig diese unglaubliche Lebensfreude, die die Band ausstrahlt, da bin ich ganz optimistisch."