Mit Kippa in Kampfgebiete
22. April 2019"Ich finde es wunderbar, großartig." Konstantin Pal ist Rabbiner in Deutschland. Der 40-Jährige gerät ins Schwärmen, wenn es um die geplante Einführung jüdischer Militär-Rabbiner bei der Bundeswehr geht. "Die Entwicklung ist sehr positiv. Und ich hoffe, dass der Befehl der Ministerin bald umgesetzt wird."
Anfang April hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigt, zeitnah für jüdische Militärseelsorger sorgen zu wollen. Und auch eine muslimische Seelsorge für die Soldaten strebt sie trotz rechtlicher Hürden an. Beides ist neu.
Bisher haben die christlichen Kirchen sich um die Seelsorge der Soldaten gekümmert - auch um muslimische oder jüdische Angehörige der Streitkräfte. Die vertragliche Vereinbarung für militärische Seelsorge zwischen Staat und Kirchen gibt es fast so lange wie die Bundeswehr. Und kirchliche Militärseelsorge hat eine Geschichte über Hunderte von Jahren.
Der liberale Rabbiner Pal macht sich seit langem für die religiöse Öffnung der Bundeswehr stark. 2004 absolvierte er als erster Rabbinerstudent ein Praktikum bei der Militärseelsorge und begleitete einen katholischen Pfarrer bei der Marine.
"Versuchskaninchen mit Flecktarn-Kippa", titelte damals eine Nachrichten-Agentur. Denn Pal und zwei weitere Praktikanten hatten eine jüdische Kopfbedeckung in Militärfarben. "Es war kein Abenteuer, aber ein hartes Lernen", sagt er der DW. "An Bord eines Kriegsschiffs ist es eben nicht wie im Seminarraum der Universität. Aber man lernt trotzdem, wie man Menschen seelsorgerlich betreut."
Vorreiter Leo Baeck
15 Jahre später verkündet Ministerin von der Leyen, die Bundeswehr wolle die "lange Tradition" von Rabbinern in den deutschen Streitkräften wieder aufnehmen. Vor hundert Jahren, im Ersten Weltkrieg, waren im deutschen Heer auch Feld-Rabbiner im Einsatz.
Der bekannteste von ihnen war Leo Baeck (1873-1956), der bedeutendste deutsche Rabbiner des 20. Jahrhunderts. Diese Tradition nimmt von der Leyen auf und knüpft damit an das einst so selbstverständliche jüdische Leben in Deutschland an. Und sie sprach von einem "wichtigen Bekenntnis in Zeiten der Polarisierung".
Die Ministerin kündigte auch Bemühungen um eine muslimische Seelsorge in den deutschen Streitkräften an. Voraussetzung einer Einstellung jüdischer wie auch muslimischer Geistlicher sei, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit hätten, die deutsche Sprache beherrschten und als Theologen in Deutschland ausgebildet seien.
Aber auch wenn die Ansprüche gleich sind, wird die konkrete Umsetzung unterschiedlich laufen. Und auf der jüdischen Seite schneller gelingen als auf der muslimischen. Mit Blick auf die Militär-Rabbiner kündigte von der Leyen an: "Wie bei der katholischen und evangelischen Militärseelsorge soll die Basis dazu ein Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden als Partner sein." Dieser Vertrag soll, so heißt es aus dem Ministerium, bis Jahresende in trockenen Tüchern sein, die Gespräche seien angelaufen.
Juristische Gefechte
Einen sogenannten Staatsvertrag kann die Regierung mit der jüdischen Seite anstreben, weil nach deutscher Rechtslage der Zentralrat der Juden eine "Körperschaft des öffentlichen Rechts" ist. Als solche werden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eingestuft, wenn sie "grundgesetzloyal und auf Dauer und Repräsentanz angelegt sind. Das gilt in Deutschland für viele Kirchen, den Zentralrat der Juden, die Zeugen Jehovas, und auch für die muslimische Ahmadiyya-Gemeinschaft.
Aber nicht für die großen muslimischen Verbände. Denn da es bei Moschee-Gemeinden keine offizielle Mitgliedschaft der Gläubigen gibt und ein formeller Dachverband fehlt, ist es mit den geforderten rechtlichen Voraussetzungen schwierig. Genau das ist einer der dauernden Streitpunkte der Deutschen Islam-Konferenz. Und wie der Streit gelöst werden soll, das ist noch völlig offen.
Von der Leyen will mit Blick auf muslimische Imame in der Militärseelsorge einen anderen Weg gehen. Ihr Haus strebt an, Gestellungsverträge mit einzelnen oder mehreren muslimischen Verbänden zu schließen. Dann gäbe es - sicher später auf jüdischer Seite - auch muslimische Seelsorger, die wie auch die christlichen oder jüdischen Kollegen in Kasernen zum Gespräch bereitstehen und Soldaten bei Auslandseinsätzen begleiten oder besuchen können.
Deutsche Staatsangehörigkeit?
Man darf gespannt sein, ob muslimische Vertreter die Voraussetzungen, vor allem die deutsche Staatsangehörigkeit und die Ausbildung in Deutschland erfüllen können. Und wie eng das Ministerium diese Vorgaben auslegt.
Denn seit einigen Jahren ist am Bundeswehr-Standort Ingolstadt als katholischer Militärgeistlicher ein griechisch-katholischer Pfarrer aus der Ukraine tätig. Er spricht Deutsch mit Akzent, kam aber erst zum Theologiestudium nach Deutschland und will in Bälde in seine Heimat zurückkehren und dort eine Militärseelsorge aufbauen.
Die Zeit drängt, bei Juden und Muslimen. "Muslimische Militärseelsorger sind überfällig. Wir brauchen sie genauso, wie wir auch mittlerweile entsprechend ausgebildete muslimische Krankenhaus-, Polizei- und Gefängnisseelsorger haben", forderte Rauf Ceylan, stellvertretende Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, bereits im vergangenen Jahr. Zwar seien nicht alle der Muslime in der Bundeswehr praktizierende Gläubige, viele von ihnen hätten aber vermutlich das Bedürfnis nach geistigem Beistand.
Zum Beispiel der Offizier, der als Arzt der Bundeswehr schon in Afghanistan im Einsatz war - und dort als Jude froh war über den US-amerikanischen Feldrabbiner. Oder die junge Muslima, die mit der Bundeswehr nach Afghanistan ging - und vorher ihren Kameradinnen und Kameraden detailliert die islamischen Bestattungsvorschriften erläuterte.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind unter deutschen Soldatinnen und Soldaten rund 300 Zugehörige jüdischen Glaubens, und an die 3000 muslimischen Glaubens. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die Bundeswehr die Religionszugehörigkeit nicht erfasst.
Für Konstantin Pal ist das Kapitel Bundeswehr noch nicht abgeschlossen. Vor 15 Jahren war er der erste jüdische Praktikant in der Militärseelsorge. Er könne sich gut vorstellen, sagt er, dass er eines Tages als Militär-Rabbiner zur Bundeswehr gehe.