Im Dienst ausgeliefert
27. Juni 2012"Ich beneide die Leute, die Französisch sprechen. Aber mir hat die Möglichkeit gefehlt, zur Schule zu gehen. Deswegen muss ich in einem Haushalt arbeiten", sagt Mamou auf Mooré, eine lokale Sprache in dem westafrikanischen Land Burkina Faso. Die 15-Jährige wohnt in Tampoui, einem Viertel im Osten der Hauptstadt Ouagadougou. Die Familie, für die sie arbeitet, gehört zur Mittelschicht und ist in demselben Viertel zu Hause. Putzen, waschen, kochen, auf die Kinder aufpassen - das sind nur einige ihrer täglichen Aufgaben. Damit verdient sie 6500 westafrikanische Francs im Monat, das entspricht etwa 10 Euro. Mamou wünscht sich, sie könnte zur Schule gehen, um später im öffentlichen Dienst arbeiten zu können.
Ein großer Teil der Kinder rund um den Globus, die nicht zur Schule gehen, sind Dienstmädchen, beklagt die Kinderschutz-Organisation terre des hommes. Einige brechen aus finanziellen Gründen die Schule früh ab - wie beispielsweise Odette. Sie lebt in Douala, der zweitgrößten Stadt Kameruns. Odette ist eine zierliche Frau - und trotzdem schleppt sie Tag für Tag randvoll gefüllte Körbe mit Gemüse ins Haus der Familie, für die sie arbeitet, und die zwei Kilometer außerhalb von Douala in einer schicken Villa wohnt. Wie bei Mamou wird auch sie täglich zum Einkaufen auf den Markt geschickt. Sie hat bis zur neunten Klasse die Schule besucht, erzählt sie mit traurigem Gesicht. "Ich komme aus einer armen Familie. Meine Eltern konnten mich nicht mehr in die Schule schicken - das war finanziell einfach nicht drin. Ich bin nämlich nicht das einzige Kind, wir sind insgesamt sechs Geschwister", sagt sie.
Rechtlose Arbeitskräfte
Dienstmädchen gibt es weltweit. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeitet jede zehnte Frau in Entwicklungs- und Schwellenländern ab dem 12. Lebensjahr als Dienstmädchen - meist für einen Hungerlohn, oft illegal und der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert. Das Problem ist zwar bekannt - auch bei den Politikern der jeweiligen Länder. Und trotzdem setzt sich kaum eine Regierung für die Rechte der Dienstmädchen ein. "Es gibt kaum eine Regierung, die vorangeht und flächendeckend durchgreift, um den Mädchen Alternativen zum Schulbesuch anzubieten", sagt die Leiterin des Referats Kinderrechte bei terre des hommes, Barbara Küppers.
Die Mitarbeiter des Ministeriums für Frauenrechte in Kamerun kennen die Situation der Dienstmädchen. "Wir haben ein Frauennetzwerk ins Leben gerufen, das in jeder Provinz in Kamerun vertreten ist", erklärt der zuständige Beamte Jean-Pierre Makang. "Dieses Netzwerk führt regelmäßig Sensibilisierungskampagnen durch, mit denen auf die Situation der Dienstmädchen aufmerksam gemacht wird. Wir versuchen auch die Mädchen dazu zu bringen, sich zusammenzuschließen und Netzwerke zu bilden." Außerdem greift das Frauenministerium den Mädchen mit einer Start-up-Hilfe unter die Arme, um ihnen zu ermöglichen, ihr eigenes Geschäft zu gründen.
Die 15-jährige Odette aus Kamerun ist aber überrascht: "Ich persönlich glaube nicht dran. Ich habe nie gehört, dass die Regierung irgendetwas für uns tut", sagt sie. Sie fühlt sich wie die meisten ihrer befreundeten Dienstmädchen: von den Politikern im Stich gelassen. Die Hoffnung, dass sie sich irgendwann noch einmal weiterbilden können, haben die meisten aufgegeben.
Ein peinliches Thema
Das Kinderhilfswerk terre des hommes, das sich für Bildung weltweit einsetzt, versucht immer wieder Kontakt zu Dienstmädchen aufzunehmen. Doch das sei nicht einfach, sagt Barbara Küppers. "Wir versuchen die Familien dazu zu bringen, den Mädchen zumindest eine Abendschule zu finanzieren, aber leider folgen nur sehr wenige Familien unserem Appell."
Das Thema ist brisant, unbequem und schwer zu fassen: Nichtregierungsorganisationsexperten beteuern, dass sie nicht zuständig sind und verweisen stets auf andere NGO's. Dazu kommt, dass sich die für Frauenrechte zuständigen Ministerien in Burkina Faso, in Togo und im Tschad über das Problem ausschweigen. Direkter Kontakt zu Dienstmädchen ist nahezu unmöglich: Sie werden von ihren Arbeitgebern abgeschirmt.
Hinzu kommt, dass die meisten Dienstmädchen in Afrika nur lokale Sprachen und kein Englisch oder Französisch sprechen. Ein Telefon besitzen wenige. Sie haben Angst vor dem Zorn der Familien, in denen sie arbeiten. Interviews können deshalb - wenn überhaupt - nur heimlich stattfinden; meistens, wenn die Mädchen auf dem Weg zum Markt sind.
Weltweites Problem
Dienstmädchen sind nicht nur in Afrika gang und gäbe, sondern auch in Südostasien und Lateinamerika. Nach Schätzungen der NGO Visayan Forum Foundation gibt es alleine auf den Philippinen zweieinhalb Millionen Dienstmädchen. In Lateinamerika verdingen sich über zwanzig Millionen Frauen als Hausangestellte. Der Grund: Sie haben keinen Ausbildungsplatz bekommen oder haben einen Beruf erlernt, mit dem sie nicht genug zum Leben verdienen.
Gloria ist eine von ihnen. Die langen Jahre schwerer Arbeit haben Spuren bei der 43-jährigen Kolumbianerin hinterlassen. Ihre Hände sind abgearbeitet, ihr hübsches Gesicht frühzeitig gealtert. Seit 25 Jahren arbeitet sie als Dienstmädchen. "Ich bin nicht zur Schule gegangen, weil mir meine Eltern das nicht ermöglichen konnten", sagt sie.
Solange die Regierungen in den betroffenen Ländern der Situation gleichgültig gegenüberstehen und keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, um den Mädchen den Zugang zu Schulen zu ermöglichen, bleibt es bei Lippenbekenntnissen, wenn es um den Zugang zu Bildung geht. Und deshalb kommen noch immer Millionen Frauen weltweit als Dienstmädchen zur Welt - und bleiben es bis zu ihrem Tod.