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Risiken nicht verdrängen

Das Gespräch führte Steffen Leidel18. Januar 2005

Im DW-WORLD-Interview fordert die Vorsitzende des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge, Irmgard Schwaetzer, die Staaten dazu auf, mehr für die Prävention von Naturkatastrophen zu tun.

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Irmgard SchwaetzerBild: DKKV

DW-WORLD: Frau Schwaetzer, nach dem schweren Seebeben in Südasien war schnell klar: Hätte es ein Frühwarnsystem gegeben, hätten viele Menschen gerettet werden können. Wurde das Thema Katastrophenvorsorge von der Weltgemeinschaft bislang ernst genug genommen?

Irmgard Schwaetzer: Von der Weltgemeinschaft insgesamt sicherlich. Es hat eine Dekade zur Katastrophenvorsorge in den 1990er-Jahren gegeben. Daraus sind viele Initiativen entstanden. Generalsekretär Kofi Annan hat Katastrophenvorsorge als ein Ziel in seinem Jahrtausendbericht genannt. Deshalb wird ja auch zehn Jahre nach diesem schlimmen Erdbeben in Kobe eine solche zweite Konferenz zur Katastrophenvorsorge durchgeführt. Das Problem liegt eher auf Ebene der nationalen Regierungen, der kommunalen Regierungen und der Tatsache, dass Menschen verlernt haben, Risiken wahrzunehmen. Sie verdrängen es.

Fehlte der politische Wille also bei den einzelnen Staaten zur Katastrophenvorsorge?

Denken sie an das Elbe-Hochwasser 2002. Da ist klar geworden, dass die Kommunikation zwischen den Ländern, zwischen den einzelnen Einsatzkräften selbst bei uns in einem hochentwickelten Land nicht funktioniert. Wenn Sie heute auf die Situation schauen, hat sich seit der Zeit nicht sehr viel verändert. Hier gilt es anzusetzen: Die Betroffenheit durch die schlimme Katastrophe in Südasien zu nutzen, Katastrophenvorsorge zu einer Regierungspolitik zu machen, die in allen Sektoren greift. Das ist mehr als nur Rettungsfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Da geht es auch darum, Alarmpläne aufzustellen, Frühwarnsysteme zu haben oder mit der Bevölkerung zu trainieren, ein Risiko richtig einzuschätzen.

Das Interesse an der Weltkonferenz für Katastrophenvorsorge ist nach dem Seebeben schlagartig gewachsen. Vielen Medien wäre dieses Ereignis andernfalls nur eine Randbemerkung wert gewesen. Wird sich der öffentliche Druck auf die Konferenz auswirken?

Ich hoffe sehr, dass sich der öffentliche Druck auf die Konferenz auswirkt. Die Konferenzdokumente sind bisher sehr vage gehalten, da sich sehr viele Regierungen im Grunde zu nichts verpflichten möchten. Ich hoffe sehr, dass jetzt durch den Druck der Medien auch Regierungen sich verpflichten, zu einem globalen Frühwarnsystem zu kommen. Da muss man nicht das Rad neu erfinden, sondern bestehendes zusammenbinden. Es gibt seit Jahrzehnten ein funktionierendes Frühwarnsystem im Pazifik. Das könnte selbstverständlich auch ausgedehnt werden. Es gibt Messstationen zum Beispiel auch in Deutschland, an die mit ganz geringem Aufwand ein Frühwarnsystem im indischen Ozean angebunden werden kann. Es sind also im Grunde nicht sehr teure Maßnahmen, die aber koordiniert werden müssen. Deswegen ist auf Initiative der Bundesregierung bei der letzten Frühwarnkonferenz in Bonn eine UN-Frühwarnplattform in Bonn eingerichtet worden. Deren Aufgabe müsste es sein, diese Entwicklung weiter zu treiben.

Die Erfahrung zeigt, dass mit zunehmendem Abstand von einer Katastrophe die Aufmerksamkeit für die Risiken im Krisengebiet schnell wieder nachlässt. Fürchten Sie diese Entwicklung?

Selbstverständlich. Deshalb ist es wichtig, dass die Verpflichtungen konkretisiert werden für die nächsten Jahre. Die ganzen Hilfszusagen auch für den indischen Ozean richten sich auf die nächsten fünf Jahre. Da muss man sich nur ansehen, was nach dem Erdbeben im iranischen Bam passiert ist. Da hat es viele Zusagen gegeben. Von diesen Mitteln sind bisher nicht einmal zehn Prozent locker gemacht worden. Das ist ein Armutszeugnis. Es reichen keine Absichtserklärungen, sondern es geht darum, eine Konkretisierung über mehrere Jahre zu beschließen.

Nie waren so viele Menschen von Naturkatastrophen betroffen wie heute. Wird das künftig noch schlimmer werden?

Alles deutet daraufhin, dass es so ist. Katastrophen mit großen Auswirkungen vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht werden häufiger. Menschliches Verhalten trägt erheblich dazu bei, diese Entwicklung zu beschleunigen, zum Beispiel durch eine falsche Siedlungspolitik. Man muss sich fragen, ob die durch den Tsunami zerstörten Touristenhotels wirklich alle wieder an dem gleichen Ort aufgebaut werden sollen, denn da sind zum Teil Mangroven-Wälder gerodet worden, die die Auswirkungen von Flutwellen deutlich vermindert hätten. In vielen Ländern wie Bangladesh wird die Bevölkerung durch Armut und Übervölkerung dazu gedrängt, in immer sensibleren Gebieten ihre wirtschaftliche Basis zu suchen. Da sind Entwicklungen im Gange, die nur durch einen Erfolg in der Armutsbekämpfung vermindert werden können.