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Politik

Russischer Frühling mal anders

Roman Goncharenko
27. März 2017

Die erste große Protestwelle in Russland seit fünf Jahren überraschte viele. Vor allem junge Leute demonstrierten gegen Korruption und die Staatsführung. Was bedeutet das für Putin?

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Russland Demonstration der Opposition in Moskau
Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/S. Karacan

Der "Russische Frühling", ein Kampfbegriff der prorussischen Separatisten auf der Krim und in der Ostukraine, könnte nach den Protesten vom Sonntag eine neue Bedeutung bekommen. Allerdings eine, die den Kreml - im Unterschied zu den Ereignissen in der Ukraine - wenig erfreuen dürfte.   

Von Moskau bis Wladiwostok gingen Tausende Menschen auf die Straßen, um gegen die Staatsführung zu demonstrieren. Derartige Bilder hat es seit rund fünf Jahren nicht mehr gegeben. Vor allem junge Demonstranten folgten dem Aufruf des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, der in einem Video Korruptionsvorwürfe gegen den Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew erhoben hatte. In zahlreichen Städten, auch in Moskau, waren die Proteste jedoch nicht genehmigt worden. Hunderte wurden verhaftet, auch Nawalny. Ein Moskauer Gericht verurteilte ihn am Montag zu einer 15-tägigen Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 300 Euro.

Alexej Nawalny von russischem Gericht verurteilt

Die neue Protestwelle knüpft da an, wo die vorherige im Mai 2012 aufgehört hatte. Damals, kurz vor der Einführung Wladimir Putins in seine dritte Amtszeit als russischer Präsident, gingen Tausende seiner Gegner auf die Straßen. Es war der Höhepunkt einer monatelangen - meist friedlichen - Bewegung. Der Protest eskalierte, viele Demonstranten wurden verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt. Die Protestwelle, die durch Putins Entscheidung in den Kreml zurückzukehren ausgelöst worden war, ebbte ab.

Der Mann hinter den Protesten

Jetzt steht Russland in rund einem Jahr wieder eine Präsidentenwahl bevor - und Putin dürfte wieder kandidieren. Alexej Nawalny, der die größte Protestwelle in der jüngsten Geschichte Russlands im Winter 2011/2012 mit ausgelöst hatte, möchte sein Herausforderer werden. Bereits im Dezember kündigte der Politiker seine Kandidatur an. Dabei ist noch nicht klar, ob er antreten darf. Ein Gericht hat Nawalny im Februar wegen eines Wirtschaftsverbrechens schuldig gesprochen und damit die Pläne für eine Präsidentschaftskandidatur durchkreuzt. Ein Berufungsverfahren läuft. Doch Nawalny glaubt nicht an die russische Justiz und hofft auf die Richter beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Der 40-Jährige machte sich als Blogger und Kämpfer gegen Korruption einen Namen. Wie kaum ein anderer Politiker in Russland setzte Nawalny auf neue Medien. Zu Beginn seiner politischen Karriere schlug er gerne auch nationalistische Töne an und wurde dafür kritisiert. Sein bisher größter politischer Erfolg war die Teilnahme an der Bürgermeisterwahl in Moskau im Jahr 2013. Nawalny bekam mehr als ein Viertel der Stimmen und wurde zweiter.

Medwedew als Zielscheibe

Zuletzt sorgte Nawalny mit Enthüllungen über die angeblich korrupte Staatsführung für Schlagzeilen. In aufwendigen Dokumentarfilmen verbreitet er seine Vorwürfe über die sozialen Netzwerke. "Das Thema Korruption bringt die Öffentlichkeit zum Kochen. Es ist das wichtigste politische Thema", sagte Nawalny im September 2016 der DW-Reporterin Zhanna Nemtsova. Damals beschwerte er sich zudem indirekt, dass sich die Menschen in Russland trotzdem schwer für das Thema mobilisieren lassen.

Russland Ministerpräsident Dmitri Medwedew im Skiurlaub
Am Tag der Proteste, dem 26. März, war Medwedew laut eigenen Angaben Ski fahren. Dieses Foto wurde 2013 aufgenommenBild: picture-alliance/dpa/Itar-Tass/D. Astakhov

Nun hat es offenbar doch funktioniert. Nawalnys jüngsten Film über den Ministerpräsidenten Medwedew schauten sich mehr als zwölf Millionen Menschen an. Darin behauptet Nawalny, Medwedew hätte über ein Geflecht aus Stiftungen Reichtümer angehäuft, darunter "geheime Paläste, Weingärten und Jachten". Der Ministerpräsident ging auf die Vorwürfe bisher nicht ein. Seine Sprecherin sagte, Nawalnys Film sei Teil des Wahlkampfs.

Ob Nawalny profitieren wird ist noch unklar. Nur zehn Prozent der Russen würden ihm bei einer Präsidentenwahl ihre Stimme geben, fand im Februar das renommierte Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum heraus. Damit wäre er keine Gefahr für Putin, dessen Zustimmungswerte konstant bei über 80 Prozent liegen. 

Schüler gegen Putin

Viele in Russland rätseln, wie es Nawalny gelungen ist, einen für russische Verhältnisse so großen Protest anzustoßen und vor allem junge Menschen zu motivieren. Fest steht, dass sich die regierungskritische Stimmung und Sympathie für Nawalny auch an den Schulen in der Provinz entwickelte.

Russland Aufmarsch Oppositionskundgebung in Moskau
An den Protesten nahmen viele Jugendliche und Studenten teilBild: Reuters/S. Karpukhin

Vor wenigen Tagen sorgte die Festnahme eines Schülers in der Stadt Brjansk für Aufsehen. Nach dem Vorfall sprach die Schuldirektorin mit der Klasse. Eine heimliche Aufzeichnung des Gesprächs wurde in den sozialen Netzwerken vielfach geteilt. Auf der Aufnahme sagt ein Schüler, er sei gegen die Kreml-Partei "Geeintes Russland". "Sie glauben also, dass unter Putin und Medwedew das Leben im Land schlechter geworden ist?", fragt die überraschte Direktorin. "Nein", antwortet der Schüler. "Sie sind einfach zu lange da oben".

Tauwetter in Sicht?

Die Proteste vom Sonntag sind jedoch nicht die einzige Überraschung im politischen Russland. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt vermeldete das russische Parlament zudem, die Kommunisten wollten die Vorwürfe gegen Medwedew untersuchen lassen. Eine derartige Untersuchung gegen einen amtierenden Regierungschef war in Russland bisher nur schwer vorstellbar. Die Kommunisten sind nur formell eine Oppositionspartei. Sie sind dafür bekannt, eine Politik im Sinne der Kreml-Führung zu verfolgen. Manche spekulieren deshalb, Putin wolle Medwedew absetzen. Dabei sahen einige Experten in Medwedew sogar einen möglichen Nachfolger Putins.

Zudem diskutierte man in oppositionellen Kreisen in den vergangenen Wochen intensiv über ein mögliches innenpolitisches Tauwetter in Russland. Anlass waren einige milde Entscheidungen der sonst harten russischen Justiz. So wurden einige Aktivisten und Kreml-Kritiker aus der Haft entlassen. Der Umgang mit den am Sonntag festgenommen Demonstranten werde zeigen, ob es solch ein Tauwetter wirklich gebe, sagt der Publizist Oleg Kaschin. Nawalny jedenfalls spiele ein leidenschaftliches Spiel.