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Politik

"Scharia-Polizei kann einschüchtern"

19. Mai 2019

Der Prozess gegen die Mitglieder der sogenannten Scharia-Polizei in Wuppertal wird neu aufgelegt. Der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe begrüßt diesen Schritt. Gleichzeitig warnt er vor Pauschalisierungen.

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Prozess um Scharia-Polizei
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Deutsche Welle: Vor fünf Jahren patrouillierten Mitglieder der selbsternannten Scharia-Polizei durch Wuppertal. Das Landgericht sprach sie frei, doch der Bundesgerichtshof hat die Urteile aufgehoben und den Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Kommende Woche geht das Verfahren in die neue Runde. Wie bewerten Sie den Prozess?

Mathias Rohe: Ich halte es für richtig, dass man ihn noch einmal aufrollt. Der Bundesgerichtshof hat mit Recht darauf hingewiesen, dass man hier genauer hinschauen muss, ob es nicht einzelne Bevölkerungsgruppen gibt, auf die eine Scharia-Polizei eben doch einschüchternd wirkt. Dieser Umstand würde dann dazu führen, dass ein Uniformverbot letztlich greifen würde.

Man muss in der Tat genau hinschauen. Denn es ist nicht so, dass die Lebenswelten aller Menschen hierzulande gleich sind. Wenn es um eine Scharia-Polizei geht, ist natürlich zunächst einmal die muslimische Bevölkerung hierzulande betroffen. Und wenn die Protagonisten dann entsprechend aggressiv auftreten oder wenn man etwa weiß, dass einige von ihnen bereits als Extremisten in Erscheinung getreten sind - und das ist ja der Fall -, dann muss man genau prüfen, ob ein Teil der Bürger sich in strafrechtlich relevanter Weise eingeschüchtert fühlt. Insofern bin ich froh, dass man die Sache noch einmal aufgegriffen hat.

Auch viele Nichtmuslime haben den Eindruck, das sei eine Machtdemonstration oder vielleicht auch ein Austesten von Grenzen. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?

Rechtswissenschaftler und Islamkenner Mathias Rohe
Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias RoheBild: picture-alliance/dpa

Auch dieses Argument kann man erwägen - wenn es vielleicht auch weniger stark als das andere ist. Man muss genau auf die Fakten schauen. Die nun vor Gericht stehenden Personen haben ja selbst gebastelte Westen getragen. Zudem haben es viele Menschen schlicht als Spinnerei abgetan. Wenn das tatsächlich so wirkt, dann ist ihr Auftritt womöglich harmlos. Richtig ist aber auch, dass diese Aktion in Zeiten, in denen sich gewalttätiger islamistischer Extremismus auch in Deutschland manifestiert, auf Teile der Bevölkerung einschüchternd wirken kann.

Aus dieser Spinnerei könnte sich auch ein gefährlicher Extremismus entwickeln. Von welchem Punkt an wird diese Entwicklung relevant für die Justiz?

Das ist ein Bereich schwieriger Grenzziehung. In der Tat beobachten wir Entwicklungen, die von Spinnerei zur Radikalisierung führen. In diesen Fällen gilt es, Prävention zu betreiben, womöglich auch auf Deradikalisierungsmaßnahmen zurückgreifen.

"Spinnereien sind kein Straftatbestand"

Juristisch muss man aber festhalten: Spinnereien sind kein Straftatbestand. Wir müssen also darauf achtgeben, die rechtsstaatlichen Maßstäbe einzuhalten. Nicht allem, was wir für bedenklich halten, dürfen wir mit dem scharfen Schwert des Strafrechts begegnen. Stattdessen gilt es, wie so oft, zweigleisig zu fahren. Wo die Grenzen des Strafrechts überschritten sind, muss man eingreifen. Wo diese Grenze noch nicht erreicht ist, die Bewegung dorthin aber absehbar ist, braucht es nicht nur eine breite gesellschaftliche Debatte, sondern auch entsprechende Maßnahmen, die Entwicklungen verhindern.

Könnte von diesem Gerichtsprozess auch eine Signalwirkung ausgehen? Ist es möglich, dass das Kalkül, ein Zeichen zu setzen, auch in das Urteil einfließt?

Das Strafrecht hat zweifellos auch eine Signalwirkung. Es wird unter anderem auch zu diesem Zweck eingesetzt. Wir sprechen da von der sogenannten Generalprävention: Straftäter werden auch bestraft, um andere von solchen Straftaten abzuschrecken. Das ist aber nur ein Punkt. Daneben gibt es natürlich noch weitere. So spielt die Resozialisierung eine Rolle - der Täter soll durch die Strafe auf den rechten Weg gebracht werden. Das Strafrecht dient insgesamt dazu, ein unerlässliches Minimum an gemeinsamen Verhaltensregeln aufzustellen. Wer sich daran nicht hält, der muss mit aller Deutlichkeit in die Schranken gewiesen werden.

Was sind jenseits des Rechtes Ihrer Einschätzung nach angemessene Formen der Auseinandersetzung mit den Phänomenen eines salafistischen oder womöglich politisch inspirierten Islam?

Das ist eine Mammutaufgabe. Gefordert sind vor allem die Bereiche von Erziehung, Bildung und Prävention. Das Recht kann zwar bestimmte Verhaltensweisen erzwingen oder auch verbieten. Überzeugungsbildung geschieht jedoch weitgehend außerhalb der Anwendung konkreter Rechtsvorschriften.

"Extremistische Ideen widerlegen"

Das ist eine Frage der familiären Erziehung, des sozialen Umfelds und ähnlichem mehr. Dort muss man ansetzen. Zum Beispiel, indem wir einen islamischen Religionsunterricht in unseren Schulen ermöglichen, der die kommenden Generationen zu einer Demokratie-und-Rechtsstaat-kompatiblen Haltung führt, der sie in die Lage versetzt, sich eigenständig zu ihrer Religion zu positionieren. Zum Glück sind die allermeisten Muslime ja auch friedfertig und folgen dieser Richtung. Die anderen muss man in die Lage versetzen, sich mit extremistischen Vorstellungen und Ideen, die sich auch auf islamische Quellen stützen, auseinanderzusetzen und sie auch zu widerlegen.

Deutschland Prozess Scharia-Polizei Landgericht Wuppertal
Mitglieder der sogenannten Scharia-Polizei während des ersten Prozesses im November 2016Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Eine große Aufgabe.

Ja. Aber sie wird umgesetzt. Personen, die sich bereits in Richtung extremistischer Positionen bewegen, versucht man inzwischen ja mit Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen zu begegnen. Das ist begrüßenswert, könnte aber noch weiter ausgebaut werden. Wichtig ist aber auch - und das betrifft die gesamte Gesellschaft -, den Islam oder die Muslime nicht unter Generalverdacht zu stellen. Das wäre grob falsch. Leider haben wir inzwischen politische Parteien, die in diese Richtung gehen, also nicht nur konkrete sachbezogene Kritik üben. Und da muss man genauso gegenhalten, denn es darf nicht sein, dass die Extremisten aller Seiten - Islamisten ebenso wie Islamhasser - letztlich die Diskurshoheit gewinnen.

Neben Islamhassern gibt es auch viele Menschen, die schlicht skeptisch sind, dass die Integration gelingt. Was sagt man ihnen?

Es gibt in der Tat eine sehr weit verbreitete Unsicherheit in der Gesamtbevölkerung. Darum gilt es, völlig klar und unvoreingenommen die existierenden Probleme anzugehen. Es gibt einen islamisch begründeten Extremismus, der auch in Gewalttätigkeit umschlagen kann. Gefährlich wird es aber dann, wenn es heißt, der Islam könne gar nicht anders, die Gewalttätigkeit entspringe dieser Religion geradezu zwangläufig. Das ist schlicht falsch. Es widerspricht allen auf Fakten beruhenden wissenschaftlichen Erkenntnissen.

"Muslime nicht unter Generalverdacht stellen"

Die Maßstäbe des Rechts sind an dieser Stelle sehr klar. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt bestätigt, dass wir nicht etwa die Schriften irgendwelcher Religionen auf Verfassungskonformität zu prüfen haben, sondern nur das Verhalten betroffener Menschen, die dieser Religion angehören. Im Zentrum steht die Frage, was Menschen aus ihrer Religion machen. Wenn wir dann feststellen, dass die allermeisten Muslime in einer großen Selbstverständlichkeit friedlich mit anderen zusammenleben, dann darf das auch nicht unterschlagen werden.

Es gibt allerdings eine abstrakte Angst vor dem Islam. Und da gilt es aufzupassen, dass man den islamfeindlichen Propagandisten nicht in die Falle läuft. Stattdessen gilt es, die Mitte der Gesellschaft zusammenzuhalten. So muss man also den furchterregenden Phänomenen deutlich entgegentreten. Ebenso muss man aber auch den wabernden, oft ohne Faktengrundlage geschürten Ängsten entgegentreten. Ansonsten drücken wir viele Personen in unsere Gesellschaft in eine Ecke, in die sie gar nicht gehören und in die sie auch nicht wollen.

Das Interview führte Kersten Knipp.

Mathias Rohe lehrt Rechtswissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er veröffentlichte unter anderem "Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme" (2018).

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika