Piraterie im Indischen Ozean
14. April 2012"Transnationale Verbrechenssyndikate im Schiffahrtsbereich", "Begleitschutzpflichten im Golf von Aden" und "Maritime Unsicherheit im Indischen Ozean" – so lauten die Titel von drei Arbeitspapieren, die beim diesjährigen "Indian Ocean Naval Symposium" (IONS) auf der Tagesordnung stehen. Und das deutet schon an, dass die Marinestreitkräfte der Region in Friedenszeiten einen gemeinsamen Feind haben: die kriminellen Akteure auf hoher See; mit einem Wort: die Piraten. In Kapstadt kommen hochrangige Kommandeure aus rund 30 Nationen zu einem Gedankenaustausch zusammen – ein Arbeitstreffen also nicht von Politikern, sondern von Militärs, sagt Michael Stehr, Redakteur für See- und Völkerrecht bei der Fachzeitschrift "Marine Forum" und Autor mehrerer Bücher über moderne Piraterie: "Seit mehreren Jahren unterhalten die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans regelmäßige Konsultationen, auf denen sie auch Zielvereinbarungen treffen und ihre Beiträge definieren oder ankündigen."
Große Flotten, kleine Flotten
Trotz des Willens zur Zusammenarbeit – was Stärke und Leistungsvermögen der Marinen oder Küstenschutzkräfte des Indischen Ozeans angeht, könnte das Bild kaum unterschiedlicher ausfallen. Kleinere Staaten verfügen nur über ein paar Schnellboote; Indien oder der Iran dagegen über eine ernstzunehmende und modern ausgerüstete Flotte. Und nur mit hochseetüchtigen, geeigneten Schiffstypen wie etwa Fregatten kommt die Piratenbekämpfung außerhalb der unmittelbaren Küstengewässer in Frage, so der Marineexperte Stehr – dazu gehört dann auch die Ausstattung mit einem Hubschrauber, um mit bewaffneten Kommandos an Bord von Piratenschiffen oder gekaperten Frachtern gehen zu können.
Auch das Gastgeberland Südafrika besitzt durchaus nennenswerte maritime Kapazitäten; als einziges afrikanisches Land südlich der Sahara übrigens. Bei der Piratenbekämpfung hat sich die Flotte aber bislang nicht besonders hervorgetan, berichtet Kerstin Petretto vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Auch sie ist Expertin für Piraterie. In einem aus Bundesmitteln geförderten Projekt erforscht sie, wie der Seehandel weltweit sicherer werden kann.
Fehlende Kapazitäten
"Das Problem ist, das Südafrika sein Einflussgebiet eben nicht oben am Horn von Afrika sieht", so Petretto – im konkreten Fall der somalischen Piraten sehe Südafrika andere in der Verantwortung. Zudem sei die Flotte eher auf dem Papier stark – es fehle an Geld und an Personal.
Die Piraterie, betont die Expertin, ist nicht nur ein Problem für die internationale Schifffahrt, sondern auch für die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans selbst, deren Handelsaktivitäten, Fischerei oder auch Tourismus betroffen sind. Zudem sei jeder Staat grundsätzlich dafür verantwortlich, in seinen Hoheitsgewässern für Sicherheit zu sorgen. Aber gerade am Horn von Afrika und in Ostafrika ist das zur Zeit reine Theorie: "Es gibt entweder keine Küstenwachen, oder die sind so schlecht bestückt, dass es ihnen einfach nicht möglich ist, diese langen Küsten überhaupt abzusichern."
Ab dem Sommer 2012 will die Europäische Union mit dem Aufbauprogramm RMCB – die Abkürzung steht für "Regional Maritime Capacity Building" – die Kapazitäten der Küstenwachen rund um Somalia stärken helfen. In den relativ stabilen somalischen Regionen Puntland und Somaliland geht es um Ausbildung und Training; Dschibuti, Kenia, Tansania und die Seychellen sollen zusätzlich auch Boote und Ausrüstung bekommen.
Erfolgreiche Pirateriebekämpfung
Die Seychellen sind übrigens, da sind sich beide Experten einig, auch jetzt schon ein gelungenes Beispiel für das Modell "Hilfe zur Selbsthilfe". Indien und die Vereinigten Emirate steuerten Schiffe und Flugzeuge für die Küstenwache bei, zudem sind auf der Inselgruppe Fernaufklärungsflugzeuge der EU-Mission Atalanta sowie Fernaufklärungsdrohnen des US-Militärs stationiert – jetzt sind die Gewässer sicherer geworden.
Piraterie, so Michael Stehr, wird im Indischen Ozean nach wie vor nicht nur von somalischen Banden betrieben. Auch in den Binnengewässern des indonesischen Inselreichs, den Küstengewässern der Philippinen und in Teilen des Gelben Meeres gebe es noch Freibeuter.
Die allerdings nehmen im Gegensatz zu ihren somalischen "Kollegen" gewöhnlich nicht gleich ganze Schiffe und deren Besatzungen als Geisel, sondern haben es auf Wertgegenstände oder Teile der Ladung abgesehen. Der Grund für die unterschiedlichen Strategien sei offensichtlich, so Stehr: Nur in Somalia hätten Piraten wegen der fehlenden Zentralgewalt nahezu ungestörte Stützpunkte an Land. Und genau das sei der entscheidende Faktor, wie praktisch die gesamte Geschichte der Piraterie oder der Pirateriebekämpfung zeigt. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Ab 2004 bekamen die Anrainerstaaten Malaysia, Indonesien und Singapur das Seeräuberunwesen in der Straße von Malakka in den Griff – durch gemeinsame Aktionen zur See und an Land.
Ungelöste Rechtsfragen
Sehr ähnlich sieht das auch Kerstin Petretto: Die internationale Zusammenarbeit der Marinestreitkräfte im Indischen Ozean sei sehr gut, und das, obwohl Einheiten aus völlig unterschiedlichen geopolitischen Lagern und Kulturkreisen betroffen seien. Außerhalb von nationalen Hoheitsgewässern kann jedes im Staatsdienst stehende Schiff ein der Piraterie verdächtiges Fahrzeug durchsuchen und aufbringen – hier kommunizieren dann Kriegsschiffe aus den USA durchaus konstruktiv mit solchen aus Indien, Russland oder China.
Eine nach wie vor völlig ungeklärte Frage ist allerdings, was mit gefangen genommenen Piraten geschieht. Davor, die Seeräuber auf heimatlichem Territorium vor Gericht zu stellen, schrecken praktisch alle beteiligten Nationen zurück. In Europa hätten somalische Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft anschließend ein Bleiberecht, so Kerstin Petratta. Anderswo ist man drakonischer, zumindest theoretisch: In den USA droht Piraten eine lebenslängliche Haft, in vielen Ländern sogar die Todesstrafe. Die Gesetze zur Piraterie stammen zuweilen noch aus vergangenen Jahrhunderten. In den meisten Fällen aber lassen die Marinekräfte gefangene Piraten nach Zerstörung ihrer Waffen und ihrer Ausrüstung wieder frei – das Risiko ist also überschaubar. Und angesichts der katastrophalen Zustände in ihrem Heimatland bleibt Piraterie für viele junge Somalis eine verlockende Perspektive auf einen Ausweg aus Hunger und Elend.
Die Hintermänner bekämpfen
"Die militärische Kooperation ist wichtig und notwendig, aber sämtliche militärischen Maßnahmen zur Pirateriebekämpfung sind eben nur eine Behelfslösung", so lautet das Fazit von Kerstin Petretto. Marineoperationen würden helfen, die Piratenangriffe zu reduzieren, bestimmte Schifffahrtsrouten sicherer zu machen. Aber gelöst werde das Problem letztlich nur durch Kriminalitätsprävention. "So, wie wir das hier eben auch machen in Deutschland und in Europa: durch Sozialprogramme, durch Wirtschaftsprogramme, durch Jugendarbeit." Und vor allem, betont die Expertin, müsse man die Planer und Finanzierer der Piratenüberfälle festsetzen. Diese Hintermänner aber sitzen an Land: "Die marinen Kräfte, das ist nur eine Behelfslösung, das allein wird nichts bringen."