Seemann: "Das Gesetz ist falsch"
9. Januar 2013Restitution: dieses Wort schreckt derzeit viele öffentliche Museen in den neuen Bundesländern (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) auf. Dabei geht es um die Rückgabe oder Entschädigungen von enteignetem Besitz - in diesem Fall um Enteignungen, die nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszeit oder in der DDR durchgeführt wurden.
DW: Herr Seemann, auf die Neuen Bundesländer kommen bis zum Jahr 2014 eine Reihe von Restitutionsverhandlungen zu. Müssen wir um den Bestand einiger Museen im Osten Deutschlands bangen?
Hellmut Seemann: Nein, um den Bestand der Museen müssen wir nicht bangen. Aber man kann eigentlich auch nicht sagen, dass diese Verhandlungen auf die Museen zu kommen. Sie stehen nämlich schon seit nunmehr 19 Jahren auf der Tagesordnung. Diejenigen, die sich jetzt mit den Verhandlungen auseinandersetzen müssen, haben zuvor lange die Augen zugemacht.
Auf welcher Grundlage beruhen die Verhandlungen oder gar Klagen?
Es geht um das Gesetz, das man abgekürzt als Ausgleichsleistungsgesetz kennt. Dieses Gesetz ist 1994 vom Bundestag verabschiedet worden und regelt die Ansprüche ehemaliger Eigentümer in den Neuen Ländern. Diese hatten durch die Bodenreform ihre Besitztümer verloren. Das Ausgleichsleistungsgesetz regelt, dass die ehemaligen Eigentümer zumindest das mobile Vermögen, also Möbel, Kunstwerke und ähnliches, von den heutigen Besitzern zurückerhalten. Das können private Eigentümer sein, sind aber meistens, wenn es um Kunstwerke geht, Museen. Wenn es öffentliche Einrichtungen sind, hat der Gesetzgeber zusätzlich die Regelung verabschiedet, dass man 20 Jahre lang Zeit hat, sie zu einigen. Diese Regelung heisst Nießbrauchsregelung. Bis dahin, also bis 2014 haben die jetzigen Besitzer das Recht, die Werke weiter zu zeigen. Aber danach muss das Werk herausgegeben werden oder man einigt sich mit den ehemaligen Eigentümern auf einen entsprechenden Preis.
Warum waren in einigen Fällen die Verhandlungen so schwierig?
Kein Eigentümer war ja verpflichtet mit einem Museum zu verhandeln. Wenn jemand im Jahr 1994, als das Gesetz erlassen worden ist, gesagt hat, die 20 Jahre warte ich einfach ab und wenn die um sind, komm' ich mit einem Möbelwagen und packe alles ein, dann war das eine vollkommen berechtigte Position. Aber viele ehemalige Eigentümer sind auf den Wunsch der Museen eingegangen, darüber zu verhandeln. Der eine hat damals gesagt, es ist für mich attraktiv, wenn ich jetzt eine ordentliche Summe Geld bekomme. Der andere hat gesagt, ich warte erst mal ab und schaue, wie sich die Dinge entwickeln. Es kommt sehr stark auf die Taktik des Berechtigten an, aber sicher auch auf die Bereitschaft und die Fähigkeit der Verantwortlichen der Museen und den Landesregierungen, diesen Anspruch Ernst zu nehmen.
Können Sie konkrete Fälle nennen, in denen Museen jetzt bangen müssen?
Wenn man sich hier in Thüringen die Verhältnisse anschaut, dann ist es so, dass wir uns mit den Nachkommen der sächsischen Herrschaftslinien von Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen einigen konnten. Aber mit anderen wichtigen thüringischen Dynastien, der Familie Reus beispielsweise, ist es zu einer solchen Regelung nicht gekommen. Deswegen werden wir in Gera zum Beispiel sicherlich im nächsten Jahr Probleme haben mit einzelnen Sammlungsbestandteilen. Es gibt viele Fälle, wo die Verhandlungen einfach nicht zu einem für beide Seiten akzeptablen Ergebnis geführt haben.
Halten Sie also die Forderungen der ehemals Enterbten für berechtigt?
Wenn am ehemaligen Eigentum kein Zweifel besteht, die Familie an Geld nicht interessiert ist, sondern den Gegenstand einfach wieder in das eigene Eigentum übernehmen möchte, dann ist sie der Gesetzeslage nach völlig im Recht. Ob man das Gesetz an sich für richtig hält? Ich halte es für falsch. Es war eine falsche Grundsatzentscheidung, um den Rechtsfrieden wieder herstellen zu wollen. Es ist ein Trostpflaster gewesen, gegen die Interessen der Öffentlichkeit und gegen die Interessen der Museen. Jetzt hat es dazu geführt, dass ein ehemaliger Eigentümer, der Kunst besitzt, die von nationaler Bedeutung ist, herausverlangen kann. Und das, finde ich, geht eigentlich nicht. Wenn das Kunstwerk in einem Museum ist und das jetzt schon seit 60 Jahren dort gepflegt worden ist und für die kulturelle Identität des Landes wichtig ist, dann gehört es auch dorthin.
Wie viele Museen sind in Deutschland davon betroffen?
Auf jeden Fall im dreistelligen Bereich. Alle stattlichen Museen in den neuen Ländern haben diese Probleme. Von den ganz großen, wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder den Staatlichen Museen Berlin, bis zu den relativ kleinen, wie dem Schlossmuseum Burg in Südthüringen. Alle diese Museen haben Restitutionsaufgaben zu erledigen.
Warum sind die Enteignungen, die unter der Besatzungszeit der Sowjetunion bzw. in der DDR stattgefunden haben, eigentlich deutlich weniger bekannt als die unter dem Naziregime?
Das ist eine gute Frage. Ich würde mal sagen, wenn Sie zehn Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus über Enteignung gesprochen haben, haben sie auch nicht viel öffentliches Bewusstsein dafür schaffen können. Das hat auch sehr viel mit Zeit zu tun. Dinge müssen nach und nach bewusst bekannt werden. Dass wir ein großes Problem der öffentlichen Kunstsammlungen in den Neuen Ländern durch das Ausgleichsleistungsgesetz 1994 haben, ist tatsächlich erstaunlicherweise der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Das hängt auch damit zusammen, dass in der Nachwendezeit in der Bevölkerung die Meinung vorherrschte, dass die Ansprüche der ehemaligen, oft wohlhabenden, Eigentümer nicht berechtigt sind. Dieses Vorurteil müsste man sehr viel offener und mutiger ansprechen. Denn es ist Unrecht geschehen.
Hellmut Seemann ist Präsident der Klassik Stiftung Weimar. Zu der Stiftung zählen mehr als 20 Museen, Schlösser, historische Häuser und Parks, sowie Sammlungen von Literatur und Kunst. Auch bei den Museen der Klassik Stiftung Weimar wurden und werden Restitutionsverhandlungen geführt.
Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann