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Siemens' brasilianische Affäre

Andreas Knobloch2. Dezember 2013

Immer mehr brasilianische Politiker geraten in den Sog der Korruptionsaffäre beim U-Bahn-Bau. Auch für den deutschen Konzern wird die Luft dünn: Im Fokus der Ermittler steht der ehemalige Siemens-Manager Adilson Primo.

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GettyImages 96209114 Passengers on a platform are about to onboard a subway in downtown Sao Paulo, Brazil, on January 27, 2010. AFP PHOTO/Mauricio LIMA (Photo credit should read MAURICIO LIMA/AFP/Getty Images)
Bild: Mauricio Lima/AFP/Getty Images

Sechs Millionen Euro sollen auf ein Schwarzgeld-Konto von Adilson Primo in Luxemburg geflossen sein. Um Hinweisen auf ungewöhnliche Kontobewegungen nach seinem Ausscheiden bei Siemens nachgehen zu können, muss der ehemalige Brasilien-Chef des Konzerns nun seinen Zahlungsverkehr offenlegen. Das entschied ein brasilianisches Gericht, wie die Tageszeitung O Estado de S. Paulo am Sonntag berichtete.

Primo war im Oktober 2011 mit sofortiger Wirkung bei Siemens entlassen worden, nachdem eine interne Untersuchung die Geldüberweisungen nach Luxemburg, die vor 2007 erfolgt sein sollen, aufgedeckt hatte. Als Kontoinhaber hatte ein Unternehmen fungiert, an dem Primo beteiligt war.

Die Untersuchungen gegen den früheren Siemens-Manager stehen im Zusammenhang mit Ermittlungen um Bestechungsgelder bei der Auftragsvergabe zum Bau von U-Bahnen in Brasilien. Unklar ist, ob es direkte Verbindungen gibt; bisher galt Primo noch nicht als Beschuldigter.

Dynamit für die brasilianische Politik

Derweil wird die Affäre auch immer mehr zu einem Streitfall der brasilianischen Innenpolitik und hat zu einer handfesten Krise zwischen der regierenden Arbeiterpartei PT und der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen PSDB, geführt, die im Bundesstaat São Paulo den Gouverneur stellt. Bei der Auseinandersetzungen geht es im Kern um zwei anonyme Dokumente, die Mitglieder diverser Parteien, in erster Linie aber der PSDB, in Zusammenhang mit Bestechungsgeldern bringen und die der Bundespolizei ausgehändigt wurden.

Chaos beim Elektronik-Konzern - Der Fall Siemens

Die Papiere stammen mutmaßlich von dem früheren Siemens-Manager Everton Rheinheimer, der das Unternehmen 2007 verließ und heute angeblich mit den Behörden zusammenarbeitet. Darin tauchen die Namen einer Reihe von hochrangigen Politikern der aktuellen und früheren PSDB-Regierungen im Bundesstaat São Paulo auf. Sie sollen Geld von dem Lobbyisten Arthur Teixeira erhalten haben, der Bestechungsgelder im Zusammenhang mit dem Zug-Kartell vermittelt haben soll. Die Beschuldigten weisen alle Vorwürfe zurück; auch Rheinheimer bestreitet die Autorenschaft.

Ein Minister als "unwürdiger Manipulator"

Der Zorn der Sozialdemokraten richtet sich gegen Justizminister José Eduardo Cardozo (PT), der die Unterlagen im Mai von einem Parteikollegen erhalten und anschließend den Ermittlern übergeben hatte. Die PSDB beschuldigt Cardozo, falsche Informationen weitergegeben zu haben, um politische Gegner zu belasten.

"Manipulator", "unverantwortlich", "unwürdig" waren einige der Begriffe, mit denen Cardozo von der PSDB bedacht wurde. Ihr Vorwurf: Die PT wolle von dem Mensalão-Fall ablenken, einem riesigen Korruptionsskandal um monatliche Bestechungsgelder während der ersten Regierung Lula. In einem als Jahrhundertprozess bezeichneten Gerichtsverfahren waren in diesem Jahr mehrere prominente PT-Politiker zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, die sie nun zum Teil antreten mussten.

Prozess erst im nächsten Jahr

Die PSDB reichte Beschwerde bei der Ethikkommission gegen Cardozo ein und fordert den Rücktritt des Ministers. Die PT reagierte prompt und vehement: "Es ist offensichtlich, dass in Brasilien einige Leute eine ernsthafte und energische Untersuchung zu verwässern und in eine Wahlauseinandersetzung, einen Streit zwischen Parteien, zu verwandeln versuchen. Sie wollen eine Nebelwand errichten. Jeden Tag erfinden sie etwas Neues", so Cardozo. Er werde gegen die Verleumdungen mit juristischen Mitteln vorgehen.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass der Prozess um die mutmaßliche Kartellbildung erst im kommenden Jahr stattfinden wird. Dann stehen auch Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen an, was den politischen Zündstoff zwischen beiden Parteien noch erhöht. Die Auswertung der im Juli beschlagnahmten Beweismittel durch die brasilianische Wettbewerbsbehörde CADE dauert länger als ursprünglich geplant, so die Zeitung Folha de S. Paulo.

Nur ein Fall von vielen

Die Untersuchung geht auf eine Vereinbarung zwischen der Wettbewerbsbehörde und Siemens vom Mai zurück. Der deutsche Konzern hatte die Existenz eines Preiskartell seit 1998, dem unter anderem der französische Alstom-Konzern, die spanische CAF, die kanadische Bombardier und Siemens angehören sollen, selbst angezeigt, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Die Unternehmen hätten geheime Verabredungen bei Ausschreibungen zum Bau und Wartung von Zügen und U-Bahnen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia getroffen.

Bereits 2008 hatte ein brasilianischer Siemens-Mitarbeiter anonym erste Hinweise auf Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe geliefert. Dieser Informant soll Everton Rheinheimer gewesen sein. Erste Untersuchungen hatten keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, doch im Herbst 2010 tauchten dann erneut Verdachtsmomente auf.

In der jüngeren Vergangenheit war Siemens immer wieder in Korruptionsskandale verwickelt. Im November 2006 brachte die sogenannte Siemens-Affäre, einer der größten Korruptionsfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte, ein System von Schmiergeldzahlungen gewaltigen Ausmaßes ans Licht. Die damalige Siemens-Führung musste ihren Hut nehmen. Der Konzern wurde zu einer Geldbuße von 201 Millionen Euro verurteilt. Bereits zuvor, im Januar 2007, war Siemens wegen illegaler Preisabsprachen und Kartellbildung von der EU zu Strafzahlungen von 400 Millionen Euro verdonnert worden.