Keine Einigung im Steuerstreit
30. März 2012Die Diskussion um die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen in den Gremien der Europäischen Union ist mindestens sieben Jahre alt. 2005 schlugen der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder die Einführung der Steuer vor, allerdings nur, wenn dies weltweit geschehe. Damit war klar, die Steuer würde nicht kommen, denn die USA, Großbritannien und viele andere Staaten der Erde lehnen die Abgabe auf Finanzgeschäfte ab. Die Finanzkrise, die sich seit 2008 über den Globus ausgebreitete, heizte die Diskussion wieder an. Die Steuer auf Finanztransaktionen ist bei vielen Menschen in Europa populär, weil man den anonymen Finanzmärkten endlich eins auswischen könnte. Die angeblich Schuldigen an der Krise sollen an der Beseitigung der Folgen beteiligt werden.
Steuer wird populärer
Hatten bislang nur eher linke Parteien die Steuer gefordert, schwenken jetzt auch konservative Regierungen auf den Kurs ein. Frankreichs konservativer Präsident Nicolas Sarkozy will die Transaktionssteuer, notfalls wird Frankreich im August eine abgespeckte Version sogar im Alleingang einführen. Der konservative Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will die Steuer eigentlich auch, aber nur, wenn sie in der gesamten Europäischen Union, mindestens aber in den 17 Staaten mit der Euro-Währung eingeführt werden kann. In einem internen Arbeitspapier des Finanzministeriums heißt es, die Steuer sei geeignet, um den Banken, Hedgefonds und Anlegern einen "fairen" Anteil an den Kosten der Krise einzutreiben. In der EU bekennen sich im Moment nur neun von 27 Mitgliedsstaaten zur umfassenden Steuer auf Finanzmarktgeschäfte, die auch hochspekulative Produkte, Derivate und sehr kurzfristig gehandelte Papiere treffen würde.
Der britische Finanzminister George Osborne lehnt die Steuer grundsätzlich ab, weil sie zu erheblichen Nachteilen für den führenden Finanzplatz London führen würde. Die Briten erheben eine sogenannte "Stempelsteuer" auf den Handel mit börsennotierten Aktien. Die könnten sie sich auch für Europa vorstellen. Die hochspekulativen Finanzströme würden von der Stempelsteuer nicht erfasst. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble könnte sich mit der Stempelsteuer als Zwischenschritt zu einer umfassenden Finanzmarktsteuer anfreunden, heißt es in einem Arbeitspapier der deutschen Delegation. Luxemburg, die Niederlande und Schweden stehen einer Finanztransaktionssteuer sehr kritisch gegenüber. Schweden hatte eine einseitig eingeführte Finanzmarktsteuer Anfang der 1990er Jahre wieder abgeschafft. Luxemburg fürchtet, dass sein großer Bankensektor Schaden nimmt und die in Europa dann steuerpflichtigen Geschäfte einfach ins Ausland oder auf off-shore-Finanzplätze in der Karibik verlagert werden.
EU-Kommission lockt mit hohen Einnahmen
Die EU-Kommission ist dagegen Feuer und Flamme für die neue Steuer. Der zuständige Kommissar für Steuerfragen, Algirdas Semeta, kämpft beim Finanzministertreffen in Kopenhagen für die Steuer, die nach seinen Berechnungen jährliche Einnahmen von 57 Milliarden Euro einspielen könnte, wenn sie in der gesamten EU erhoben würde. Diese Geldquelle würde Semeta am liebsten für den Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union anzapfen. Bislang erhebt die EU nämlich keine eigenen Steuern, sondern ist von Zuweisungen der Mitgliedsstaaten abhängig. Algirdas Semeta rechnet den Mitgliedsstaaten vor, sie könnten durch die neue Steuer praktisch die Hälfte ihrer jährlichen Mitgliedsbeiträge für den Gemeinschaftshaushalt Europäische Union sparen. Bei diesem verlockenden Angebot zögern die Finanzminister trotzdem, denn eigene Steuern für Europa wären ein Tabubruch. Steuerfragen sind traditionell hoheitliches Recht der Nationalstaaten. Deshalb können Beschlüsse in Steuerfragen auch nur einstimmig gefasst werden. Der schwedische Finanzminister Anders Borg lehnt das Modell der EU-Kommission ab. "Das kommt für Schweden nicht in Frage. Es kann keine Steuer geben, die eine EU-Institution erhebt und kassiert. Nur die Koordination von national erhobenen Steuern ist möglich", so Borg gegenüber der Deutschen Welle.
Lange Geschichte
Erfunden hat die Finanztransaktionsteuer der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Tobin 1972. Er wollte Spekulationen auf Währungsschwankungen und Devisengeschäfte einschränken. Von den Derivaten, also den verschachtelten Finanzprodukten, die zur Krise im Jahr 2008 führten, ahnte Tobin noch nichts. Die Besteuerung der Finanzmärkte haben sich in den letzten Jahren vor allem sogenannte Globalisierungsgegner auf die Fahnen geschrieben. Ende der 1990er Jahre machte sich die Gruppe "Attac" die Forderung nach einer Einführung der Tobin-Steuer zu eigen. Tobin selbst distanzierte sich später von der Anti-Globalisierungsbewegung.
Unter Experten sind die Auswirkungen umstritten. Der Finanzwissenschaftler Max Otte hält sie für sinnvoll, weil sie Spekulation eindämmen und die Realwirtschaft nicht beeinträchtigen würde. Das schrieb Otte in einem Gutachen für den Bundestag. Der Ökonom Clemens Fuest glaubt dagegen, dass die Steuer nichts an den tatsächlichen Ursachen der Finanzkrise ändern würde. Viel wichtiger sei es, die Ausstattung der Banken mit Eigenkapital zu erhöhen, statt sie neuen Steuern zu unterwerfen. Die Kosten der Finanzstransaktionssteuer würden außerdem an die Kunden, also die Anleger weitergereicht. Die Banken würden sie ja nicht aus eigener Tasche zahlen, sagte Ökonmon Fuest im Deutschlandfunk. Die beiden Lager in der Wirtschaftswissenschaft und in der Politik, pro und contra Tobin-Steuer, stehen sich unversöhnlich gegenüber. Daran hat auch die erneute Diskussion in Kopenhagen nicht viel geändert. Die dänische Ratspräsidentin Margrethe Vesthager sagte am Freitagabend: "Wir hatten eine angeregte und fruchtbare Diskussion über die verschiedenen Modelle. Das werden wir fortzsetzen, natürlich auch die Suche nach Alternativen." Das heißt aus der Diplomatensprache übersetzt, es bewegt sich im Moment gar nichts.