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Strafvollzug muss menschenwürdig sein

Wulf Wilde21. März 2013

Eine neue Haftanstalt in Berlin hat eine zum Teil polemische Debatte über den Strafvollzug in Deutschland entfacht. Vom "Luxus-Knast" ist die Rede. Welche Standards gelten normalerweise in deutschen Gefängnissen?

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Ein Justizbeamter schließt einen Häftling in seiner Zelle ein Foto: Peter Endig (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Große Fensterfronten sorgen für lichtdurchflutete Räume. Weiße Wände, apfelgrüne Böden und rostrote Fassaden schaffen ein freundliches Ambiente. Auf den ersten Blick sieht das neue Berliner Gefängnis Heidering gar nicht wie eine Haftanstalt aus. Nur der bis zu sechs Meter hohe Doppel-Metallzaun mit Drahtrollen obendrauf signalisiert deutlich: Dies ist kein Schullandheim, sondern ein Knast. Das nigelnagelneue Gefängnis, das an diesem Donnerstag (21.3.2013) offiziell eröffnet wird, wurde in Berliner Boulevard-Medien schnell als "Luxus-Knast" tituliert. "Luxus und Gefängnis schließt sich aus", versucht die Leiterin der Haftanstalt, Anke Stein, die Kritik an dem Neubau zu entkräften. "Wir sind hier kein Kerker, sondern eine moderne Berliner Justizvollzugsanstalt," sagte sie der Deutschen Presseagentur.

Die einzelnen Zellen werden in der Justizvollzugsanstalt Heidering "Haftraum" genannt. Ein Gefangener hat hier zehn Quadratmeter Platz. Das ist mehr als das Mindestmaß. Sieben Quadratmeter - etwas weniger als die Grundfläche eines VW-Busses - kleiner darf eine Gefängniszelle in Deutschland nicht sein, sonst verstößt der Strafvollzug gegen die Menschenwürde. So hat es das Bundesverfassungsrecht 2006 festgesetzt und zudem festgeschrieben, dass für eine menschenwürdige Unterbringung Toiletten vom Schlafbereich abgetrennt und richtig entlüftet sein müssen.

Frieder Dünkel Foto: Jan Meßerschmidt (Universität Greifswald)
Kriminologe Dünkel: "Gefangene motivieren, ein straffreies Leben zu führen"Bild: Jan Meßerschmidt / Universität Greifswald

"Das bedeutet nicht, dass sieben Quadratmeter der positive Standard ist", erläutert Frieder Dünkel, Kriminologe an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. "Dass Bundesverfassungsgericht hat es bewusst umgekehrt formuliert: Wenn eine Zelle nur knapp sieben Quadratmeter groß ist, dann ist sie menschenunwürdig. Der Standard in unseren Anstalten ist eigentlich zehn bis zwölf Quadratmeter pro Einzelzelle." Damit liegt der angebliche Berliner Luxus-Knast Heidering mit seinen Zehn-Quadratmeter-Zellen also im üblichen Rahmen.

Keine bundeseinheitliche Regelung

Verbindlich festgeschrieben sind diese Standards jedoch nirgendwo. Zudem gibt es seit der Föderalimusreform vor sieben Jahren, in der den Bundesländern die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich übertragen wurde, kein bundeseinheitliches Strafvollzugsgesetz mehr. Zwar gilt in den meisten Bundesländern noch immer das alte Gesetz des Bundes. Doch Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg haben mit eigenen Regelungen Akzente gesetzt.

Blick in zwei Zellen des neuen Gefängnisses Heidering Foto: Marc Tirl (dpa)
Gefängnis Heidering: Kein Kerker, sondern eine moderne Berliner JustizvollzugsanstaltBild: picture-alliance/dpa

"Das föderale System führt dazu, dass wir in den einzelnen Bundesländern zum Teil völlig unterschiedliche Vollzugsbedingungen haben", sagt Rita Haverkamp. Sie ist wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau. "Es ist etwas völlig anderes, wenn sie in Bayern im Gefängnis sitzen oder in Berlin." So gäbe es beispielsweise in Berlin Kartentelefone in den Justizvollzugsanstalten, in Bayern dürften Strafgefangenen dagegen nur in Ausnahmefällen und nur unter Aufsicht telefonieren.

Resozialisierung oder Schutz der Allgemeinheit?

"In Bayern setzt man eher auf Kontrolle, der Sicherheitsaspekt überwiegt", so Haverkamp. Was auch im bayerischen Strafvollzugsgesetz deutlich wird. Dort ist nicht, wie im alten Vollzuggesetz des Bundes, die Resozialisierung alleiniges Hauptziel, also die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft. Stattdessen wird Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zum gleichrangigen Ziel erhoben. Der "Arbeitskreis kritischer Strafvollzug" sieht darin die Abkehr von einem modernen, humanitären Strafvollzugskonzept, wie er im alten Gesetz formuliert war.

Es gibt in der Tat in einigen Bundesländern den Versuch das Primärziel der Resozialisierung zu relativieren", bestätigt Kriminologe Dünkel der DW. "Aber anderseits gibt es jetzt in zehn Bundesländern einen gemeinsamen Musterentwurf, in dem das gleiche Ziel festgelegt wird wie im alten Strafvollzugsgesetz." Die meisten Länder setzen also weiter auf die Resozialisierung als primäres Ziel des Strafvollzugs. "Der Schutz der Allgemeinheit ist nur eine Aufgabe, die nachrangig und für den Zeitraum des Vollzugs auch gilt", so Dünkel. Dieser Aspekt sei aber nicht das Ziel.

Nordeuropäische Länder als Vorbild

Auch sei das Bundesverfassungsgericht durch seine Rechtssprechung zu einem "Hüter des resozialisierungsorientierten Vollzugs geworden". Die Standards dieses modernen, humanitären Vollzugs orientieren sich an internationalen Vorgaben. "Etwa den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen oder die europäischen Regelungen für Jugendstraftäter", erläutert Dünkel. "Die Hauptstandards werden aber vom Bundesverfassungsgericht in der Rechtssprechung entwickelt." Denn weiche Formulierungen, Ermessungsrichtlinien, unbestimmte Rechtsbegriffe in den Strafvollzugsgesetzen lassen eine Menge Interpretationsspielraum.

Das betrifft beispielsweise die Freizeitgestaltung, das Recht auf Aus- und Weiterbildung, den Anspruch auf Verbindung zu Außenwelt und eben die räumliche Unterbringung von Strafgefangenen. Die Folge sind unterschiedliche Vollzugssysteme in den einzelnen Bundesländern. "Man muss aber betonen, dass die internationalen Standards in Deutschland weitestgehend eingehalten, teilweise sogar übertroffen werden", sagt Strafrechtlerin Rita Haverkamp. Allerdings: "Die Standards hat Deutschland nicht gesetzt."

Die Sonne scheint am Dienstag (14.08.2012) durch den Stacheldraht auf dem Doppelzaun des Gefängnisneubaus Heidering südlich von Berlin. In der neuen Vollzugsanstalt sollen ab dem nächsten Jahr 648 Straffällige einsitzen. Foto: Tim Brakemeier dpa/lbn (zu dpa "Neues Gefängnis Heidering: Erste Gefangene ab April 2012" vom 14.08.2012) pixel
Doppel-Metallzaun mit Drahtrollen: Boulevard-Medien sprechen vom "Luxus-Knast Heidering"Bild: picture-alliance/dpa

Als vorbildlich gelten in Bereich des modernen Strafvollzugs vor allem die skandinavischen Länder, hier gibt es auch die im europäischen Vergleich niedrigsten Inhaftierungsquoten. "Von den Methoden haben wir in Deutschland vieles von den nordeuropäischen Ländern übernommen, aber auch aus Kanada", bestätigt Dünker. Der Kriminologe plädierte schon vor Jahren für so genannte Übergangshäuser, in denen zum Beispiel in Schweden Straftäter auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Dadurch ließen sich die Rückfallquoten nachweislich senken.

Die Diskussion um den Gefängnisneubau in Berlin kann Dünker nicht nachvollziehen. "Der Strafvollzug soll ja nicht möglichst unmenschlich, oder möglichst dunkel und unfreundlich sein. Sondern er muss die Leute so behandeln, dass sie motiviert werden, ein straffreies Leben zu führen", verteidigt der Krimininologe das Berliner Konzept.