Musik Streaming
1. März 2012Seit mehr als einem Jahrzehnt beklagen große Plattenfirmen einbrechende Verkaufszahlen und den ständigen digitalen Wandel, durch den die Musikdienste schneller überholt seien als der letzte Hit.
Allerdings können die Labelchefs jetzt ein wenig durchatmen: Neuesten Statistiken des Bundesverbands Musikindustrie zufolge hat sich die Industrie im Jahr 2011 leicht erholt. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Verkaufszahlen stabil geblieben, das gab es seit 1997 nicht mehr. Ein Grund zum Jubeln ist das dennoch nicht, denn das Verkaufsvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro 2011 liegt immer noch vierzig Prozent unter dem, das die Plattenfirmen vor zehn Jahren erzielten.
"Clouds" und "Streams"
Mit digitalen Streaming-Angeboten versuchen Unternehmen, den finanziellen Verlust der vergangenen Jahre aufzufangen, indem sie Musik aus sogenannten "Clouds" anbieten. Anstatt einzelne Songs zu kaufen, bezahlen Benutzer einen monatlichen Grundbetrag und greifen damit auf eine Fülle von Songs zu, die auf verschiedenen Servern hinterlegt sind. "Rdio" ist das neueste Cloud-Angebot auf dem deutschen Markt. Für 4,99 € monatlich kann der Benutzer per Stream auf ein unbegrenztes Musikangebot zugreifen; für 9,99 € kann er die Musik herunterladen oder auf dem Mobiltelefon hören.
Es existieren bereits verschiedene Cloud-Angebote in Deutschland, zum Beispiel Simfy oder Zaoza. Scott Bagby, zuständig für Strategien und Internationale Partnerschaften bei Rdio, sieht darin keine Konkurrenz. Er hält den Markt für noch lange nicht gesättigt: "Einer der führenden Labelchefs erzählte mir kürzlich, dass gerade mal sieben Millionen User weltweit Abo-Dienste nutzen", so Bagby. "Im globalen Kontext gibt es also noch genügend Wachstumspotenzial auf diesem Gebiet."
Rdio wird seinen Online-Dienst in diesem Jahr in verschiedenen europäischen Ländern anbieten, als nächstes visiert das Unternehmen Portugal und Spanien an. In Ländern wie den USA, Kanada, Brasilien und Australien ist das Angebot schon verfügbar.
Das Ende des Albums?
Die Geschichte der Musik ist auch immer eine Geschichte des Mediums. Vom Vinyl über die Kassette und die CD bis hin zu MP3 ist digitales Musik-Streaming die neueste mediale Verbreitungsmethode.
Bisher mussten Musiker ihre Produktion nach den Grenzen des Mediums ausrichten: Vinyl-Platten waren oft auf 50 Minuten beschränkt, CDs boten mehr Platz. Digitale Streams bieten Künstlern die Möglichkeit, Musik so oft, wie sie möchten und in beliebiger Länge zu veröffentlichen.
Bis jetzt haben sich allerdings erst wenige Mainstream-Künstler vom üblichen CD-Format mit 12 bis 15 Songs verabschiedet, denn gerade am deutschen Musikmarkt machten die CD-Verkäufe 2011 75 Prozent des gesamten Umsatzes aus. Weniger bekannte Künstler wählen dagegen immer öfter neue Formate. "Über mehrere Jahre konnten wir beobachten, dass vor allem in der elektronischen Musikszene mehr Singles und EPs veröffentlicht wurden", sagt Simfy-Sprecher Markus von Husen. "Das Album als Format spielt da keine große Rolle mehr."
Von Husen verweist in diesem Zusammenhang gern auf die Hassliebe der Medien zur amerikanischen Retro-Sängerin Lana del Rey: Als Newcomerin sorgte sie schon für breite mediale Aufmerksamkeit, bevor sie überhaupt ihr Album "Born to Die" veröffentlichte. Ein britischer DJ hatte nämlich ihren Song "Video Games" auf YouTube entdeckt und sie zum internationalen Star gemacht. Ihr Album tummelt sich mittlerweile ganz oben in den deutschen Charts.
Streaming ist nicht für alle profitabel
Del Reys Erfolg steht beispielhaft für den Einfluss, den Plattenfirmen in der Musikbranche zurückerlangen, denn die Sängerin wird oft als Produkt ihres Labels und eines geschickten Marketings kritisiert. Besonders die Musik Streaming-Seiten könnten den Einfluss wieder verstärken, denn sie setzen stark auf Partnerschaften mit den Labels.
Rdio gibt zwar auch Musikern ohne Plattenvertrag eine Plattform, dieses Angebot stößt jedoch auf wenig Interesse. Scott Bagby erklärt sich das so: "Streaming-Technologie ist sehr komplex. Durchschnittsuser und kleine Labels besitzen oft nicht die nötige Technik, die Audiofiles samt Metadaten im richtigen Format hochzuladen."
Aber die großen Labels haben nicht immer das letzte Wort: International bekannte Künstler wie Coldplay und Adele wehrten sich 2011 gegen die Verfügbarkeit ihrer neuesten Alben auf Streaming-Seiten, da die Profitmargen zu gering seien.
Nicht jeder ist ein Fan
Musikliebhaber, die beim Hören Wert auf den Klang legen, lehnen Musik Streaming-Seiten wie Simfy oder Rdio noch aus einem anderen Grund ab, denn die Qualität der Musikdateien entspricht nicht der einer CD. Für den durchschnittlichen Benutzer, der seine Musik über Handykopfhörer konsumiert, ist der Unterschied kaum feststellbar. Audiophile User jedoch, die Musik über High End-Boxen hören wollen, werden den Unterschied durchaus wahrnehmen. "Es ist klar, dass komprimierte Audiodateien wie MP3 und AAC noch lange Bestand haben werden", ist Marcus von Husen überzeugt. "Aber selbst die besten Server sind nicht in der Lage, Dateien in besserer Qualität als WAV oder FLAC fehlerfrei zu streamen."
101 Jahre Musik
Die meisten User nehmen klangliche Abstriche gern in Kauf, weil aus ihrer Sicht die Vorteile überwiegen, nämlich Anwenderfreundlichkeit und der Community-Aspekt der Streaming-Dienste. Für Rdio sind die Elemente des sozialen Netzwerks, in dem man Kommentare sowie Rang- und Playlisten einsehen kann – egal ob sie vom Lieblingssänger oder vom Nachbarskind stammen – das zentrale Rückgrat der Webseite.
Auch andere Streaming-Dienste wie Spotify oder Simfy verwenden diese Funktion, jedoch steht sie nicht so stark im Fokus wie bei Rdio. Sollte der Meinungsaustausch mit anderen Anwendern als Anreiz nicht ausreichen, weisen die Betreiber von Rdio darauf hin, dass die Auswahl aus 12 Millionen Songs – das reicht, um 101 Jahre lang Musik zu hören – genug Gründe bietet, sich Rdio näher anzuschauen.
Autor: Greg Wiser/ Adaption: Michael Lehmann
Redaktion: Suzanne Cords