Pressefreiheit in Deutschland
2. September 2013Die Vorkomnisse um die Zeitung "The Guardian" stellen derzeit die Pressefreiheit in Großbritannien infrage. Erst wollten Regierungsbeamte geheime Dokumente des NSA-Insiders Edward Snowden beschlagnahmen, dann kam es zur Zerstörung von Festplatten mit Recherchematerial. In Deutschland wäre ein Vorfall wie dieser heute nicht möglich, sagt der Kommunikationswissenschaftler Prof. Rudolf Stöber. Die Pressefreiheit stehe im deutschen Grundgesetz und sei geprägt von den demokratischen Werten der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg - darunter auch Großbritannien. Im DW-Interview spricht Stöber über die Krisen und Entwicklungen der Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland.
DW: Der Guardian steht derzeit im Visier der Regierung und der Geheimdienste. Festplatten wurden zerstört und Angehörige der Journalisten verhört. Wäre das in Deutschland möglich?
Prof. Rudolf Stöber: Die Pressefreiheit ist im Falle des Guardian massiv angegriffen worden. Das Grundproblem ist jedoch die Abwägung zwischen zwei sehr wichtigen Gütern, dem Staatsschutz einerseits und der Pressefreiheit andererseits. Nach deutschen Gepflogenheiten wäre das so nicht möglich. Selbst eine Beschlagnahmung könnte nur mit einer richterlichen Anordnung erfolgen.
Für die Bundesrepublik war Großbritannien in Puncto Pressefreiheit einmal ein Vorbild. Weshalb schauten die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Briten auf?
Nach der Barbarei des Nationalsozialismus, der sämtliche Grundrechte aufgehoben hatte, hat man sich in Deutschland auf die eigenen demokratischen Traditionen zurückbesonnen und auch auf demokratische Vorbilder anderer Länder. Insbesondere zählte dazu Großbritannien als 'Mutterland der Demokratie'. Die drei Siegermächte Großbritannien, die USA und Frankreich setzten nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die wesentlichen Rechtsstandards fest – das betrifft die Zeitungen, aber auch den Rundfunk. Sie bestimmten letztlich auch, wie Presse- und Rundfunkfreiheit verstanden werden muss. Insbesondere die Briten mit ihrem System der BBC sind für das damalige Westdeutschland das Vorbild für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geworden.
In der Bundesrepublik gab es auch Skandale in Puncto Pressefreiheit. Ein einschneidendes Erlebnis war 1962 die so genannte "Spiegel-Affäre“. Die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" wurden damals durchsucht, führende Redakteure verhaftet. Wie konnte das passieren?
Wir haben zwar ein sehr ausgeklügeltes Strafrecht und eine ausdifferenzierte Rechtssprechung in Sachen Pressefreiheit. Die Spiegel-Affäre hat aber gezeigt, dass es immer eine Abwägungssache ist. Beim Urteil wurden klare Feststellungen getroffen, dass die Pressfreiheit ein großes Gut ist und zur Demokratie beiträgt. Aber auch, dass Landesverrat unter Strafe gestellt werden muss, weil der äußere Staatsschutz – ebenfalls ein wichtiges Gut – für den Fortbestand des Staatswesens und der Demokratie eminente Bedeutung hat.
Hinsichtlich der damaligen öffentlichen Aufregung muss man zwei Dinge mit bedenken: Erstens, auf dem absoluten Höhepunkt des kalten Krieges, lagen auf allen Seiten die Nerven blank. Nie stand die Welt dichter an einem Atomkrieg als damals. Es war eine sensible Zeit. Zweitens, die Öffentlichkeit hatte aber schon vorher begonnen, sich zu politisieren: letztlich seit der Wiederbewaffnungsdebatte. Der interessierte Staatsbürger ist in dieser Zeit erwacht.
Wie prägt diese Affäre bis heute das Verhältnis von Politikern, Justiz und Journalisten in Deutschland?
Die Spiegel-Affäre ist der Vorgang, auf den man sich in vergleichbaren Fällen beruft. Für das Verhältnis von Medien und Politik ist er insofern von Bedeutung, als dass er die Fronten klarer abgesteckt hat. Insbesondere die zentrale Frage, wie hoch das Verfassungsgrundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit einzuordnen ist, hat sich geklärt. Darauf aufbauend hat das Bundesverfassungsgericht die Medienrechtssprechung immer wieder fortgeschrieben.
Von manchen Journalisten wurde das Vorgehen des britischen Geheimdienstes mit den Stasi-Methoden verglichen. Ist dieser Vergleich zum Spitzelsystem der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) schief oder ist da doch etwas Wahres dran?
Aus meiner Sicht ist dieser Vergleich schief. Es geht in den Antiterrorgesetzen und den Maßnahmen, die der britische und andere westliche Geheimdienste vornehmen, um Prävention von Verbrechen, Terrorismus, um Präventionsmaßnahmen gegen eine äußere Bedrohung. Bei der Staatssicherheit der DDR ging es darum, unzufriedene Elemente im Vorfeld zu eliminieren, auszusondern. Jeder mögliche die DDR-Integrität bedrohende Staatsbürger sollte erfasst und gegebenenfalls ausgeschaltet werden. Das hat eine ganz andere Richtung.
Aber wenn wir an die Bespitzelung und Überwachung der Geheimdienste denken, die sich mit den neuen technischen Möglichkeiten verstärkt hat. Gibt es da Parallelen?
Sicherlich hätte die Stasi in die Hände geklatscht, wenn sie die heutigen technischen Möglichkeiten besessen hätte. Aber wir dürfen dabei eines nicht vergessen: Trotz der Staatssicherheit ist die DDR zusammengebrochen. Ein Übermaß an Informationen kann auch dysfunktional sein und selbst der Staatsschutz kann vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen.
Was hat sich seit den Antiterrorgesetzen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geändert?
Prinzipiell hat sich dadurch wenig geändert. Das einzige ist, dass die Erweiterung bestimmter Straftatbestände, die in den 70er Jahren wegen des RAF-Terrorismus eingeführt wurden, auf den islamischen Terrorismus ausgedehnt worden sind. Da können sie auch wieder die Parallele zum Spiegel-Urteil ziehen. Es ist eine kontinuierliche, rechtliche Fortentwicklung.
Es gibt sicherlich immer wieder Gegenbewegungen und die Staatsanwälte versuchen natürlich immer, ihre Interessen in der Strafverfolgung durchzusetzen. Massive Konflikte mit den Redaktionen sind auch für die Zukunft zu erwarten. Das wird immer wieder geklärt werden müssen: Sowohl seitens der Legislative als auch der Judikative. Der Bundestag und das Verfassungsgericht schreiben das, was seit 1949 in dürren Worten im Artikel 5 über die Pressefreiheit steht, kontinuierlich fort.
Prof. Rudolf Stöber ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der Universität Bamberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Theorie und Geschichte von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung und Pressepolitik.
Das Interview führte Ananda Grade.