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PolitikTürkei

Türkei: Wahlkampf mit Flüchtlingsfeindlichkeit und Fakenews

22. Mai 2023

Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei schlägt der Oppositionsführer Kilicdaroglu nationalistische Töne an. Das Erdogan-Lager dagegen wirbt mit Fakenews um Wählerstimmen.

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Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 | Stichwahl | Istanbul, Wahlplakat Erdogan
Die Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei findet am 28. Mai statt, der Wahlkampf wird immer härter Bild: Umit Bektas/REUTERS

Kurz vor der Stichwahl in der Türkei wird der Ton aggressiver. Während das Regierungslager scheinbar alles unternimmt, um die Opposition zu diffamieren und deren Präsidentschaftskandidaten als Vaterlandsverräter darzustellen, holt Kandidat Kemal Kilicdaroglu zum Gegenangriff aus.

"Erdogan, du bist derjenige, der mit Terroristen hinter verschlossenen Türen verhandelt hat", erklärte er kürzlich auf einer Kundgebung. "Wer bist du, und woher hast du das Recht, meinen Patriotismus in Frage zu stellen?"

Manipulierte Wahlplakate 

Die Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan setzen scheinbar auf Fakenews. Im Internet kursieren zahlreiche manipulierte Plakate über die Oppositionspartei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi), die größte Oppositionspartei in der Türkei. Diese werden von Mitgliedern und Anhängern der Regierungspartei AKP verbreitet.

Dazu gehört auch ein Wahlplakat mit dem Logo der CHP, auf dem steht: "Die YPG (Anmerk.d.Red.: YPG ist die kurdische Miliz in Syrien, die der Terrororganisation PKK nahesteht) ist für uns keine Terrororganisation. Entscheide dich jetzt!". Die Faktencheck-Organisation Teyit.org hat dieses und andere Plakate auf ihre Echtheit geprüft und kam zum Schluss, dass die Plakate gar nicht aus der Wahlkampagne der Oppositionspartei CHP stammen.

Bereits vor dem ersten Wahlgang am 14. Mai gab es Fakenews über die türkische Opposition. Doch vor dem zweiten Wahlgang sind die Fälschungen laut Beobachtern umfangreicher und systematischer geworden.

Kemal Kilicdaroglu, Präsidentschaftskandidat der Opposition steht auf der Bühne, in der Hand ein Mikro, hinter ihm viele rote Flaggen zu sehen.
Kemal Kilicdaroglu, Präsidentschaftskandidat der Opposition, schlägt schärfere Töne anBild: Murad Sezer/REUTERS

Kilicdaroglu will mit Flüchtlingsfeindlichkeit punkten

Die Opposition hat nach der ersten Runde mittlerweile einen Strategiewechsel vollzogen. Von parteiinternen Wahlkampfstrategen sei der bisher versöhnliche Ton Kilicdaroglus gegenüber Erdogans Aggression als Schwäche wahrgenommen worden, lautet die Analyse. Konsequenz: Schluss damit. 

Von nun an will Kilicdaroglu nicht nur mit Patriotismus, sondern auch Flüchtlingsfeindlichkeit bei den türkischen Wählern punkten. Ziel sei es, die größte Wählergruppe, die regierungskritischen Nationalisten, zu gewinnen.

Dafür greift Kilicdaroglu seine Konkurrenz direkt an: Erdogan habe zehn Millionen Flüchtlinge ins Land geholt, behauptet er. Wenn er an der Macht bliebe, würden weitere zehn Millionen ins Land kommen, und die türkischen Städte von Flüchtlingen, Mafiapaten und Drogenbaronen einverleibt werden.  

Kilicdaroglu hat bereits mehrfach angekündigt, alle Flüchtlinge zurück schicken zu wollen, käme er an die Macht. Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) leben in der Türkei rund vier Millionen Flüchtlinge.

Der türkische Experte Kemal Bozay vom Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention an der Internationalen Hochschule in Köln stuft den Strategiewechsel des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu als "radikal" ein. Bisher, so Bozay, lautete das Motto des 74-jährigen "Her sey güzel olacak", " zu Deutsch: "Alles wird gut sein". Mittlerweile sei der Ton deutlich aggressiver geworden. 

Mit den Händen macht der Oppositionskandidat das Herzzeichen, das war bisher sein Symbol.
Bisher führte Kilicdaroglu einen eher positiven Wahlkampf, das Herzzeichen war sein SymbolBild: Murad Sezer/REUTERS

Hinzu komme ein strategischer Wandel, der insbesondere auch die Linie des völkisch-nationalistischen und rechtspopulistischen drittplatzierten Präsidentschaftskandidaten Sinan Ogan abdecken und dessen Wählerschaft ansprechen solle. Für Bozay ein riskanter Plan.

"Kilicdaroglu darf nicht vergessen, dass er insbesondere in den großen Städten und Metropolen, in den kurdischen Hochburgen vor allem von kurdischen, linken und fortschrittlichen Wählern gewählt wurde", erklärt er. Und diese würden Kilicdaroglus feindlichem Kurs gegenüber Schutzsuchenden womöglich nicht zustimmen. Deshalb könne es sein, dass gerade diese Wählerschaft sich frustriert fühle und vielleicht gar nicht zur Wahl gehe.

Am Montag hat der drittplatzierte Kandidat der ersten Wahlrunde Ogan dem Amtsinhaber Erdogan seine Unterstützung für die Stichwahl ausgesprochen. Ob seine Wählerschaft ihm folgen wird, ist ungewiss, denn kurz vor seiner Wahlempfehlung hat sich das ultranationalistische ATA-Bündnis, als dessen Kandidat Ogan um das Präsidentenamt angetreten war, aufgelöst. Er hatte im ersten Wahlgang am 14. Mai überraschenderweise rund 5,2 Prozent der Stimmen erhalten.

Erdogan eher entspannt

Während die Opposition taktiert, setzt Erdogan auf Stabilität und Zuversicht. "Meine wertvollen Weggefährten und Genossen", schrieb der 69-Jährige auf Twitter, "die kritischste Wahl unserer Geschichte haben wir erfolgreich absolviert.[...] Ich vertraue euch."

Nach mehr als 20 Jahren hatte die Opposition vor den Wahlen am 14. Mai zum ersten Mal die Hoffnung, dass sie dem System Erdogan ein Ende setzen könnte. Die meisten Umfragen sahen Kilicdaroglu vorn. Umso größer ist nun die Enttäuschung unter den Oppositionsanhängern. 

Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht. Auf den Oppositionskandidat Kilicdaroglu fielen fast 45 Prozent der Stimmen, auf seine Allianz "Bündnis der Nation" 35 Prozent. Sie hat nun 213 Sitze im Parlament. Somit blieben beide weit hinter den Erwartungen.

Erdogan mit seiner Frau Emine auf dem Balkon. Am Wahlabend zeigte er sich zuversichtlich. Hinter dem Paar AKP-Plakat.
Erdogan hat die absolute Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl knapp verpasst. Im Parlament hat sein Bündnis aber die Mehrheit verteidigt. Bild: ADEM ALTAN/AFP

Der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan dagegen hat mit 49,5 Prozent die absolute Mehrheit nur knapp verpasst. Sein Wahlbündnis hat mit 322 Sitzen von 600 die Mehrheit im Parlament für weitere fünf Jahre gesichert. Daher geht Erdogan mit starkem Rückenwind in die Stichwahl.

Stimmabgabe im Ausland begonnen

Im Ausland hat die Stimmabgabe für die zweite Runde bereits begonnen. Mehr als 3,4 Millionen Auslandstürken sind stimmberechtigt. Bei dieser Wählergruppe liegt Erdogan weit vorne. Dementsprechend hat er noch einmal an sie appelliert und sie zur "Verteidigung der türkischen Führung" aufgefordert.

Bei den Türken im Ausland schneidet Erdogan besser ab als im Inland. 57,5 Prozent der Stimmen hat er bei dem ersten Wahlgang von ihnen bekommen. "Auslandswähler können einen wichtigen Beitrag zu Erdogans Sieg beitragen, diese Stimmen benötigt Erdogan bei der Stichwahl auf jeden Fall", sagt Bozay.

Elmas Topcu | Journalistin
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas