Tajani - Berlusconi-Mann und Autolobbyist
18. Januar 2017"Heute beginnt im Parlament eine neue Ära", hat der frischgebackene Parlamentspräsident Antonio Tajani nach seinem Wahlsieg gesagt. Das ist nicht übertrieben. Vom bisherigen Präsidenten Martin Schulz unterscheidet sich Tajani in fast jeder Hinsicht.
Das fängt schon mit dem äußeren Erscheinungsbild an. Gedeckte Anzüge, korrekter Seitenscheitel verdrängen Schulz‘ Glatzkopf mit Fusselbart. Der SPD-Mann agierte immer engagiert in der Sache, aber auf Äußerlichkeiten schien es ihm nie besonders anzukommen. Auch im Auftreten sind die beiden wie Tag und Nacht. Schulz suchte überall die Mikrophone, hatte immer wieder einen flotten oder auch nachdenklichen Spruch auf den Lippen und ließ keine Gelegenheit aus, die Rolle des Parlaments in der Öffentlichkeit hervorzuheben und gegenüber den anderen europäischen Institutionen zu stärken. Tajani dagegen ist eher uncharismatisch und scheint sich auch in seiner neuen Rolle zurückhalten zu wollen: "Ich habe nicht vor, der Premierminister der Europäischen Union zu werden", so Tajani gegenüber Journalisten in einem Seitenhieb auf seinen Vorgänger.
Auch eine andere Äußerung des neuen Präsidenten war offensichtlich auf Schulz gemünzt, der immer wieder kritisiert wurde, als Sozialdemokrat die gebotene parteipolitische Neutralität des Amtes zu verletzen: "Es ist nicht Sache des Parlamentspräsidenten, eine politische Agenda nach vorn zu bringen", so Tajani.
Das heißt nicht, dass Tajani als Politiker bisher farblos gewesen wäre, im Gegenteil. In seiner Jugend war er bei den italienischen Monarchisten engagiert. Und nach seinem Jurastudium, einer Zeit als Soldat bei der italienischen Luftwaffe und einigen Jahren als Journalist war Tajani Mitbegründer von "Forza Italia", der Partei des umstrittenen Unternehmers Silvio Berlusconi, und nach dessen Wahlsieg Sprecher des neuen Ministerpräsidenten.
Die Berlusconi-Bürde
Es ist diese politische Vergangenheit, die Tajani heute immer wieder einholt. Die Deutsche Sabine Lösing von der Partei "Die Linke" im Europaparlament bemerkt vor dem Hintergrund eines zunehmenden Rechtspopulismus in Europa sarkastisch: "Es könnte lustig sein, dass gerade der Berlusconi-Kumpel Tajani das Bollwerk für die Demokratie sein soll. Doch lachen kann man darüber nicht wirklich." Die slowenische Sozialdemokratin Tania Fajon meint: "Das letzte, was die demokratischste Institution der EU braucht, ist das gescheiterte Modell der Regierung Berlusconi." Tatsächlich sprach die Nähe zu Berlusconi selbst bei Tajanis Unterstützern im Europaparlament eher gegen ihn, weil Berlusconi heute von vielen Politikern als nur noch peinlich empfunden wird.
Umstritten ist auch Tajanis ausgesprochen konservatives Familienbild. Auf die Frage nach Homo-Ehe und dem Recht auf Abtreibung in einer Anhörung vor der Fraktion der Grünen im Europaparlament sagte Tajani einmal: "Ich habe meine persönlichen Ansichten, aber ich respektiere andere." Den Kinderwunsch von homosexuellen Paaren zum Beispiel sieht Tajani sehr kritisch. Dieses Weltbild des neuen EU-Präsidenten passe nicht zur neutralen Haltung des Europaparlaments gegenüber der sexuellen Orientierung von Menschen, meint "ILGA", der Internationale Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen.
Ein Freund des Automobils
Tajani bringt zweifellos eine Menge Erfahrung aus den europäischen Institutionen mit. Seit 1994 wurde er viermal als italienischer Abgeordneter ins Europaparlament gewählt, 2008 bis 2010 war er Verkehrskommissar, 2010 bis 2014 Industriekommissar. Anschließend kehrte er ins Europaparlament zurück und wurde einer seiner Vizepräsidenten. Lüder Gerken, der Vorstandsvorsitzende des wirtschaftsliberalen Centrums für Europäische Politik, nennt Tajani lobend einen "erfahrenen und mit den Abläufen in Brüssel und Straßburg bestens vertrauten Europapolitiker". Und Philippe Juvin, EVP-Abgeordneter im Europaparlament, sagt über den Italiener: "Ihm sind persönliche Beziehungen zu Abgeordneten sehr wichtig."
Doch gerade in seine Zeit als Kommissar fallen auch einige der schwersten Angriffe gegen ihn. Ihm wird eine große Nähe zu Lobbygruppen nachgesagt, vor allem zur Autolobby. Als Industriekommissar habe er von den Abgasmanipulationen der Autokonzerne gewusst und nichts dagegen unternommen, sagen seine Kritiker. Der damalige Umweltkommissar Janez Potocnik hatte Tajani in einem Brief sogar auf die großen Unterschiede der Abgaswerte zwischen Laborbedingungen und normalem Straßenbetrieb hingewiesen, doch Tajani reagierte nicht. Auch Potocnik räumte später ein, er habe nicht an einen großangelegten Betrug geglaubt. Tajani hat jedenfalls nie einen Hehl aus seiner Industriefreundlichkeit als oberster Priorität gemacht.
Sprachenvielfalt bringt Tajani genauso mit wie sein Vorgänger Schulz, beide sind übrigens im Französischen besser als im Englischen, was heutzutage selten ist. Doch während der extrovertierte Medienprofi Schulz immer eine gewisse Freude auch am fremdsprachlichen Fabulieren zu haben schien, hat Tajani sein muttersprachliches Italienisch nur ungern verlassen. Das dürfte in Zukunft nicht mehr so leicht sein.