Thailands Armee wegen Gewalttaten im Verdacht
5. Juli 2019Es passiert am helllichten Tag im Nordosten Bangkoks. Lärmende Motorräder wuseln durch den zähen Mittagsverkehr. Passanten warten an den Straßenecken geduldig auf ihren Bus. Auch Demokratieaktivist Sirawith Seritiwat, in Thailand unter seinem Spitznamen "Tscha Niu" bekannt, ist unterwegs zur Haltestelle, spaziert mit seiner Aktentasche auf dem Gehsteig. Hinter und vor ihm halten zwei weiße Roller an, welche dem 27jährigen erst auffallen, als ihm die vier behelmten Vermummten mit erhobenen Schlagstöcken den Weg abschneiden. Die panikartige Flucht über die Straße gelingt ihm nicht. Rund 15 Sekunden lang prügeln die Angreifer auf Tscha Niu ein. Solange bis sein weißes Hemd blutgetränkt ist und er regungslos auf dem Asphalt liegenbleibt. Mit Schädelfrakturen, gebrochener Nase und Augenverletzungen liegt er im Krankenhaus, wo er noch immer behandelt wird.
"Skrupellos und effizient"
"Es geht mir schon etwas besser", sagt Tscha Niu knapp eine Woche nach dem Überfall mit schwacher Stimme zur DW. "Zum Glück konnte ich heute wieder mit dem verletzten Auge sehen." Der Angriff auf Tscha Niu, der bereits zuvor, Anfang Juni, beim Verlassen einer Kundgebung von Unbekannten mit Schlagstöcken traktiert wurde, ist nur einer von mindestens zehn gewaltsamen Übergriffen auf Demokratieaktivisten seit vergangenem Jahr. Bei letzteren handelt es sich um Teilnehmer von Pro-Demokratie-Kundgebungen, pointierte Regierungskritiker, welche mit Plakaten auf der Straße oder auf Social-Media-Kanälen gegen die frühere Militärregierung protestieren, die sich inzwischen durch Wahlen und ein maßgeschneidertes Wahlsystem als Zivilregierung legitimieren ließ.
Tscha Nius Mitstreiter Aekachai Hongkangwan saß bei dem Besuch auch am Krankenbett. Auch er wurde schon mehrfach mit Schlagstöcken traktiert und sagte gegenüber der DW: "Ich könnte mir vorstellen, dass die Armee dahintersteckt. Die Art, wie die Angreifer vorgehen, wirkt auf mich keineswegs dilettantisch, sondern skrupellos und effizient." Verteidigungsminister Prawit Wongsuwan hat unterdessen den von Regierungskritkern erhobenen Vorwurf, die Regierung stecke hinter den Attacken, zurückgewiesen und versprochen, politische Aktivisten künftig besser zu schützen. Aeckachai saß bereits im Gefängnis, wegen Diffamierung des König. Ein weiteres Prügelopfer ist Anurak Jeantawanich, der sich für Opfer des Paragraphen gegen Majestätsbeleidigung eingesetzt hatte. Wie gegen juntakritische Politiker sind auch gegen einfache Demonstranten zahlreiche Klagen anhängig, aber sie werden wohl anders als jene leichter zur Zielscheibe physischer Gewalt.
Morde an Veteranen des Widerstands gegen das Militär
In die Serie von Angriffen auf Regimekritiker reiht sich das grauenvolle Ende zweier Veteranen des Widerstands gegen die thailändischen Militärregierungen ein: Ende Dezember 2018 wurden an einem Sandstrand im Nordosten Thailands zwei Leichen an Land gespült, bei denen es sich um Chatcharn "Puschana" Buppawan und dessen Mitstreiter Kraidet "Kasalong" Luelert handelte, wie sich erst durch eine DNS-Analyse feststellten ließ, denn die Leichname waren grässlich entstellt und malträtiert. Die beiden hatten sich dem landesweit bekannten Kommunisten und Antimonarchisten Surachai "Saedan" Danwattananusorn angeschlossen, zusammen flohen sie 2014 ins benachbarte Laos und propagierten von dort aus per Online-Video die Revolution in Thailand.
Surachais Ehefrau Pranih ist überzeugt, dass auch ihr Mann ermordet wurde: "Bis Ende Dezember hat uns Surachai täglich Nachrichten gesendet. Am 12. Dezember endeten die Botschaften." Beim Treffen mit der DW blättert Pranih in einem Fotoalbum, zeigt auf eines der letzten Bilder ihres Ehemannes in seinem Heimatland. "Das war 2013 bei seiner Haftentlassung wegen Majestätsbeleidigung." Seit den 70er Jahren hatte der prominente Regierungskritiker viele Jahre hinter thailändischen Gefängnismauern verbracht. Auch nach seiner Flucht nach Laos war der bereits 76jährige Kommunist zur Verhaftung ausgeschrieben. Wieder einmal wegen Diffamierung des Königs, was in Thailand mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. "Mein Mann und seine Mitstreiter waren gesuchte Dissidenten. Deshalb ist es möglich, dass das thailändische Militär hinter den schauderhaften Morden steckt", glaubt Pranih Danwattananusorn.
Aufklärung gefordert
Die thailändischen Behörden bestreiten diesen Vorwurf vehement. Die versprochene Untersuchung verlief allerdings im Sand. "Mir wurde mitgeteilt, dass die Ermittlungen eingestellt wurden", sagt der Sohn des ermordeten Phuschana gegenüber der DW.
Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch pochen nun auf Aufklärung sowohl der Angriffe auf die Aktivisten wie auch der Morde an den Regierungsgegnern im Exil. Sogar Premierminister Prayuth Chan-o-Cha (Artikelbild) erklärte den Fall Tscha Niu zur "Chefsache", wies die zuständigen Behörden an, die Ermittlungen zu intensivieren und dem Opfer jegliche ärztliche Betreuung zukommen zu lassen. "Ich bin nicht dein Gegner", ließ sich der Ex-General und Machthaber zitieren und gratulierte Tscha Niu zu seinem Stipendium in Indien, wo der 27jährige noch diesen Monat ein Studium aufnehmen wollte. "Wenn ich wieder fit bin, möchte ich mich voll und ganz auf mein Studium in Indien fokussieren. Davon lasse ich mich nicht abbringen", sagt Tscha Niu im Krankenbett.