Frau May, der Brexit - eine Art Richtigstellung
26. Oktober 2016"Exclusive", schreibt die britische Tageszeitung "The Guardian" über ihren Bericht, der das ganze Drama politischen Handelns auf der Insel offenbart. "Was Theresa May wirklich über den Brexit denkt", geht die Überschrift weiter. Und wenn man den Bericht der britischen Kollegen weiterliest, kann man sich die Frage stellen, wie die konservative Politikerin May das Amt der Premierministerin übernehmen konnte. Oder: Wie sie es jetzt anstellt, den Brexit Brexit sein zu lassen.
Doch der Reihe nach. Dem Artikel der britischen Kollegen zufolge hielt Theresa May am 26. Mai in London in dem Bankhaus Goldman Sachs eine Rede, in der sie vehement und leidenschaftlich gegen den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union argumentierte. Mehr noch: London solle sogar eine Führungsrolle in der EU übernehmen, "und wenn wir führen, können wir eine Menge erreichen".
Eindeutige Argumente
Einen Monat vor dem Referendum zählte die Politikerin auf, was ihrer Ansicht nach für einen Verbleib in der EU sprach. "Ich denke, die ökonomischen Argumente sind eindeutig", sagte die konservative Politikerin. "Teil eines 500-Millionen-Handelsblocks zu sein, ist wichtig für uns", zitiert der "Guardian" aus der bislang nicht veröffentlichten Tonaufnahme der Rede von Frau May. Zahlreiche Investitionen in Großbritannien würden überhaupt nur zustande kommen, eben weil Großbritannien Teil der EU sei.
"Ich glaube, wenn wir nicht in Europa wären, würde es Firmen geben, die sich die Frage stellen: Sollen wir unsere Präsenz auf dem europäischen Festland ausbauen anstatt unsere Präsenz im Vereinigten Königreich?" Dabei sei klar, dass britische Unternehmen die "größtmögliche Freiheit brauchen, im gemeinsamen Binnenmarkt zu operieren", so die Politikerin weiter. Dass sie in der Rede nebenbei noch den damaligen Premier David Cameron lobte ... geschenkt. Cameron, erinnern Sie sich? Karikaturen in Großbritannien zeigten ihn, den Gummi-Mann, gerne mit einem Kondom über dem Kopf. Die Zeitung, die das veröffentlichte, war der "Guardian". Sachen gibt's.
Die alten Zitate von Frau May könnte man mit dem sprichwörtlichen Satz abtun: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern". Dennoch darf man davon ausgehen, dass in Downing Street No. 10 die heutige Berichterstattung des "Guardian" auch noch aus einem anderen Grund nur mäßig geschätzt wird.
Es heißt, Vorträge bei Goldman Sachs seien gelegentlich ansehnlich honoriert. Der "Guardian" verweist darauf, dass Hillary Clinton im Jahr 2013 einmal für drei Referate vor Bankern mit 675.000 US-Dollar belohnt worden sei. Und - laut Wikileaks - sei Frau Clinton dabei eher schonend mit Wall Street umgegangen. Öffentlich positioniert sich die US-Präsidentschaftskandidatin derzeit anders. Nein, Theresa May habe kein Geld bekommen, erklärt Goldman Sachs gegenüber der britischen Tageszeitung. Aber diese Rede, ja, die habe sie gehalten.
Nun ist die Aufregung da im Land der EU-Aussteiger. Tim Farron zum Beispiel, Führer der Liberaldemokraten, empört sich darüber, dass die Regierungschefin nicht den politischen Mut aufgebracht habe, die Öffentlichkeit in dieser Deutlichkeit vor dem Brexit zu warnen, wie sie dies vor einem "Haufen von Bankiers" getan habe.
Weg, weg, auf Bewährung
Vergessen wird dabei allerdings, dass nicht nur der frühere Brexit-Chefsprecher Boris Johnson öffentlich den Ausstieg aus der Union predigte und innerlich dann mit dem Ergebnis nichts anzufangen wusste. Dem Herrn Cameron (das war der mit dem Kondom, erinnern Sie sich...) kann man das nicht vorwerfen. Er hatte den Brexit nicht gewollt, aber doch das Referendum leichtfertig zugelassen.
Cameron? Ist weg! Johnson? Zwischendurch auch weg, jetzt auf Bewährung im Amt des Außenministers. Nigel Farage, Chef der Anti-EU-Partei Ukip? Auch weg! Frau May war dann am Ende diejenige, die die Scherben zusammenkehren darf.
Man darf ohnehin gespannt sein, wann Großbritannien denn nun tatsächlich den Austritt aus der Gemeinschaft vollzieht. Manche in London sagen, die Lady spiele auf Zeit, um die maßlosen Konservativen in ihrer konservativen Partei zu bändigen. Die fanden das mit der EU schon immer doof. So ist vielleicht am Ende Theresa May doch eine würdige Nachfolgerin der anderen Dame, die Downing Street No.10 länger bewohnte. "The lady's not for turning", sagte Margaret Thatcher. Mit ihr keine Wendemanöver! Das war 1980. Früher war eben alles besser.