Tief verwurzelt: Erdogans Viertel in Istanbul
Istanbul war immer Wurzel und Machtbasis für Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident ist im Viertel Kasımpaşa aufgewachsen. Hier stehen die Menschen hinter ihm - auch bei der Neuwahl des Bürgermeisters.
Altes Hafenviertel
Einen kurzen Fußweg vom Galata-Turm und der beliebten Istiklal-Straße entfernt, auf der europäischen Seite Istanbuls, liegt Kasımpaşa. In diesem alten Hafenviertel wurde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor 65 Jahren geboren, hier wuchs er auf. Dies ist auch das Viertel, in dem seine loyalsten Anhänger wohnen.
Eine neue Ära
Fahnen der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, Erdogans AKP, wehen über dieser Straße in Kasımpaşa. Im vergangenen Juni erlebte das Land die folgenreichste Wahl seiner modernen Geschichte: Erdogan wurde als Präsident bestätigt und mit einer beispiellosen Machtfülle ausgestattet. "Die Türkei tritt in eine neue Ära ein", sagte er, als er seinen Amtseid ablegte.
Machtdemonstration
Dieses farbenfrohe Kleid vor einem Geschäft in Kasımpaşa besteht aus AKP-Parteifahnen - ein Symbol für Erdogans Macht. Der Präsident hatte durch ein Verfassungsreferendum 2017 die parlamentarische Demokratie in ein Präsidialsystem verwandelt. Das erlaubt ihm, Staats - und Regierungschef gleichzeitig zu sein und ist die größte politische Umwälzung seit Gründung der Republik Türkei 1923.
Einer von uns
Ob an Hauswände geklebt oder von Balkonen flatternd - Erdogan-Poster und AKP-Fahnen schmücken ganz Kasımpaşa vor den Wahlen. Die Unterstützung des Viertels für Recep Tayyip Erdogan ist überdeutlich. Wahlwerbung von Kandidaten der Opposition findet sich in der Regel nur zerrissen oder beschmiert. Für die Menschen von Kasımpaşa gehört Erdogan zur Familie.
Aus einfachen Verhältnissen
Erdogan stammt aus einer konservativen Familie, sein Vater war Küstenschiffer - eine Herkunft im Arbeitermilieu, die viele seiner Anhänger kennen. Seine politische Karriere begann in Kasımpaşa, wo er die meiste Zeit seines Lebens wohnte. 1994 wurde er Oberbürgermeister von Istanbul, 2003 Ministerpräsident und 2014 türkischer Staatspräsident - er amtiert seit einer Rekordzeit in den Toppositionen.
Große Erwartungen
Die Bewohner von Kasımpaşa warten am Wahltag im Juni 2018 ungeduldig auf das Ergebnis. Schon Stunden vor der Stimmenauszählung sind die meisten Cafés des Viertels voller Männer, die die Wahl im Fernsehen verfolgen und bei türkischem Kaffee oder Tee leidenschaftlich diskutieren.
Held des Viertels
Auch an diesem Taxistand in Kasımpaşa läuft - natürlich - das Wahlprogramm. Erdogan gilt hier als Held, als einer aus dem Viertel, der es an die Spitze geschafft hat. Obwohl seine Gegner sagen, dass er nun wirklich nicht mehr wie die Leute von Kasımpaşa lebt. Seinen Anhägern ist das egal. Warum sie ihn wählen? "Weil wir ihn lieben", sagt eine Frau aus dem Viertel.
Warten auf den Sieg
Als die ersten Ergebnisse veröffentlicht werden, zieht es Klein und Groß in Kasımpaşa auf die Straße. Sie warten auf die Parade, um den Sieg des Präsidenten zu feiern, obgleich noch nicht alle Stimmen ausgezählt sind. "Verräter!" sagen mehrere Frauen über alle, die die Opposition gewählt haben. Erdogan ist hier der "Kasımpaşali", der "Mann aus Kasımpaşa".
Freudenfeier
Die Siegesparade zieht durch die Straßen von Kasımpaşa, bevor sie am zentralen Platz am Hafen ankommt. Hier singen und tanzen die Menschen, feuern Gewehre ab und schießen Feuerwerkskörper in den Nachthimmel. Ein gigantischer Leuchtbildschirm zeigt die Wahlergebnisse. Erdogans alte Nachbarn umarmen sich gegenseitig und feiern ihn.
Zurück zur Wahlurne
Ein Jahr später, am 23. Juni 2019, wählen die Menschen aus Kasımpaşa und ganz Istanbul erneut. Bei der Bürgermeisterwahl am 31. März hat Ekrem Imamoğlu, Kandidat der sozialdemokratischen CHP, knapp vor dem AKP-Mann Binali Yıldırım gewonnen. Die AKP erzwang eine Annullierung und Wiederholung der Wahl - in Kasımpaşa werden wohl die meisten für Yildirim stimmen.