Türkische Frauen protestieren gegen Gewalt
6. August 2020Tausende Frauen haben in mehreren türkischen Städten gegen häusliche Gewalt und gegen die Aufkündigung der Istanbul-Konvention protestiert. Im Istanbuler Stadtteil Kadiköy skandierten Demonstrantinnen: "Männer schlagen, der Staat schützt (sie)." Sie hielten Schilder mit den Namen getöteter Frauen hoch oder trugen Oberteile mit den Namen der Opfer. Zudem verteilten sie Masken mit der Aufschrift: "Wendet die Istanbul-Konvention an".
In den Städten Ankara, Adana und Antalya gab es ähnliche Kundgebungen. In der Millionenmetropole Izmir an der türkischen Ägäisküste schritten nach Angaben der Frauenrechts-Organisation Nar Women's Solidarity wieder Sicherheitskräfte ein und nahmen zehn Frauen fest.
Die Istanbul-Konvention des Europarats aus dem Jahr 2011 zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen ist das weltweit erste verbindliche Abkommen dieser Art. Es soll einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen. Auch Deutschland hat die Istanbul-Konvention ratifiziert.
In der Türkei ist Gewalt gegen Frauen weit verbreitet. Frauenrechtsgruppen werfen den Behörden immer wieder vor, das entsprechende Gesetz nicht umzusetzen, das nach der Ratifizierung durch Ankara 2012 erlassen worden war. Damit seien Frauen häufig schutzlos der Gewalt durch ihre Partner, Ehemänner oder Verwandten ausgesetzt.
Die Demonstrationen der Frauen hatten im Juli begonnen, nachdem Mitglieder der regierenden islamisch-konservativen AKP-Partei das Abkommen als "falsch" bezeichnet und einen möglichen Austritt angedeutet hatten. Der Mord an der 27-jährigen Studentin Pinar Gültekin befeuerte die Proteste gegen Femizide (Frauenmorde) noch einmal. Im vergangenen Jahr wurden in der Türkei laut der Plattform "Wir werden Frauenmorde stoppen" 474 Frauen von Männern getötet.
Das Thema ist im Land umstritten. Selbst die Familie von Präsident Recep Tayyip Erdogan scheint in der Sache gespalten. Seine Tochter Sümeyye ist Vize-Vorsitzende einer Organisation, die die Istanbul-Konvention unterstützt. Sein Sohn Bilal gehört einer Vereinigung an, die sich gegen das Abkommen ausspricht.
se/ml (afp, dpa)