Liste der Unmoral
3. Juni 2008Die Liste kriminellen oder zumindest unmoralischen Handelns in großen deutschen Unternehmen wird immer länger: Lustreisen bei VW, Schmiergelder bei Siemens und nun Mitarbeiter-Bespitzelung bei der Deutschen Telekom. Die deutschen Konzerne befinden sich damit in zweifelhafter internationaler Gesellschaft: Der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS kämpft mit Vorwürfen des Insiderhandels und die französische Großbank Societe Generale leidet unter einem Handelsskandal, der zu milliardenschweren Verlusten führte. Begonnen hatte das neue Jahrtausend mit Mega-Pleiten, die in der Öffentlichkeit längst wieder in Vergessenheit geraten sind: Nach Bilanzbetrügereien brachen in den USA die Unternehmen Enron und Worldcom bankrott zusammen. Ähnliches passierte wenig später beim italienischen Fruchtsaftkonzern Parmalat.
Sind das alles Einzelfälle oder Zeichen einer neuen Zeit? Beobachten wir seit einigen Jahren den Einzug eines ungehemmten Raubtier-Kapitalismus in global operierenden Unternehmen? Und sind Moral und Ethik in Chef-Etagen bereits in den freien Fall übergegangen?
Erhöhter Druck auf den Einzelnen
Von einem moralischen Verfall in Unternehmen möchte Caspar von Hauenschild zwar nicht sprechen. Von Hauenschild, Vorstandsmitglied bei Transparency International und Mitglied in mehreren Aufsichtsräten, meint, die Entscheider seien heute moralisch genauso gefordert wie vor 20 Jahren. In einem dynamischeren Umfeld seien sie jedoch viel mehr versucht, Dinge zu tun, die sie nicht tun sollten. "Wenn man davon ausgeht, dass heute ein Vorstand nur noch drei oder vier Jahre in seiner Funktion ist, dann fängt der in dem Moment an nervös zu werden, in dem es um seinen Job geht", sagt von Hauenschild. "Er macht dann Dinge, die unmoralisch sind. Das ist keine Entschuldigung, sondern es ist zunächst nur einmal eine Erklärung."
Von Hauenschild meint, dass heute mit viel härteren Bandagen gekämpft werde, als zu früheren Zeiten. Grund dafür sei der härtere Wettbewerb. Es gebe weniger abgeschottete Märkte, stattdessen nur noch einen globalen Wettbewerb. Und in dem müsse man sich behaupten - mitunter mit allen Mitteln.
Nur ein gefühltes Problem
Dass die Globalisierung zu häufigerem moralischem Fehlverhalten in großen Unternehmen führe, bestreitet der frühere Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und heutige Wirtschaftsprofessor Hans-Olaf Henkel vehement. "Mit Sicherheit ist das Gefühl berechtigt, dass heute mehr passiert", sagt er. Dies liege aber daran, dass die moralischen Ansprüche gestiegen seien und dass durch die Medien mehr Fehlverhalten zutage gefördert werde. Daraus resultiere der subjektive Eindruck, es sei alles viel schlimmer als früher.
Globalisierung verbreitet Moral
Die Globalisierung führe sogar dazu, dass weltweite Standards von Moral und Ethik in Unternehmen eingeführt werden, meint Henkel, der auch ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat ("Die Ethik des Erfolgs. Spielregeln für die globalisierte Gesellschaft"): "Globalisierung ist ja mehr als nur der Transport von Waren oder Geldströmen oder Investitionen. Sondern in der Globalisierung gehen auch Ideen, Werte und Vorstellungen von Werten um die Welt. Und diese Globalisierung nun dafür verantwortlich zu machen, halte ich für absurd."
Wie im Fußball müssten allerdings die Regeln - egal ob Freistoß, Elfmeter oder Rote Karte - konsequent angewendet werden, sagt Henkel. Einige Regeln gehörten auch überprüft und müssten an die sehr dynamische Wirtschaftswelt angepasst werden. Das internationale Finanzsystem sei dafür nur ein Beispiel. Eine ungeregelte Marktwirtschaft wolle niemand. Sie macht ebenso wenig Sinn wie ein Fußballspiel ohne Schiedsrichter.
Lesen Sie dazu das Interview mit Hans-Olaf Henkel: "Die Globalisierung sorgt für bessere moralische Standards" (s. unten)