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Unordnung in der Globalisierung

19. August 2021

Rohstoffe sind weltweit Mangelware. Das Problem: Je länger die Engpässe dauern, umso höher türmt sich der Nachfragestau auf. Weltweit ist der Handel massiv gestört, und das lässt den Aufschwung in die Ferne rücken.

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China Hafen in Shanghai
Bild: picture-alliance/dpa

Kurzarbeit bis in den September - damit reagiert der deutsche Automobilbauer Audi auf die anhaltenden Lieferprobleme in der Halbleiterindustrie. Mikrochips, ohne die kein modernes Kraftfahrzeug mehr auskommt, sind weltweit ausverkauft. Deswegen kann die Produktion nicht, wie geplant, nach der Sommerpause wieder anlaufen.

Audi ist kein Einzelfall. Über alle Wirtschaftszweige hinweg melden 83 Prozent der Unternehmen Preisanstiege oder Lieferprobleme bei Rohstoffen, Vorprodukten und Waren. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 3000 deutschen Unternehmen im In- und Ausland hervor.

Es fehlt vom Stahl bis zu Textilien fast alles

Am stärksten leiden Industrie und Einzelhandel. Über 90 Prozent der Unternehmen etwa aus der Gummi- und Kunststoffindustrie, Metallindustrie und Chemieindustrie sind betroffen. In der Fahrzeugindustrie sind es 92 Prozent, in der Elektrotechnik 85 Prozent. Im Baugewerbe sehen sich 94 Prozent der Betriebe mit Knappheiten konfrontiert. Neben Rohstoffen wie Stahl, Aluminium, Kupfer und Holz sind Verpackungen genauso Mangelware wie Elektronikkomponenten, Halbleiter und Textilien.

Infografik Unternehmen Lieferengpässe DE

"Rohstoffmangel und Lieferkettenprobleme treffen die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite", kommentiert DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Da nahezu alle Geschäftsbereiche betroffen seien, könne der Mangel auch nicht durch neue Produktionsverfahren oder Lieferanten kurzfristig kompensiert werden. 

Mit Corona fingen die Problem nur an

Als Gründe für die Lieferengpässe werden in der Umfrage an erster Stelle eine gestiegene Nachfrage bei zu geringen Produktionskapazitäten (70 Prozent) und Transportprobleme (53 Prozent) genannt. Bei Letzteren machen sich unter anderem der aktuelle Containermangel (76 Prozent) sowie fehlende Frachtkapazitäten bei Schiffen (74 Prozent), Straßen und Schienen (27 Prozent) sowie Flugzeugen (24 Prozent) bemerkbar.

Infografik Unternehmen Transportportprobleme DE

Der Ursprung der Probleme liegt in der Corona-Pandemie. Weltweit bremsten Lockdowns die Produktion und in der Folge den Transport aus. Häfen wurden geschlossen, Schiffe stillgelegt und wegen ausbleibender Nachfrage rund 50 Prozent weniger Container produziert. Als die Transporte wieder anliefen, war an das frühere Tempo nicht zu denken. Personalmangel, verschärfte Corona-Vorschriften in den Häfen, vor allem aber der Containermangel bremsen die Logistik aus.

Der Rückstau wächst und wächst

"Den zusätzlichen Todesstoß hat die Sperrung des Suezkanals gegeben", erklärt Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der deutschen Auslandshandelskammer in China. Sechs Tage lag das Containerschiff Ever Given mit 18.300 Containern an Bord Ende März fest, in dieser Zeit stauten sich alle anderen Schiffe auf der Route. Es dauerte mehr als 100 Tage, bis der Kanal wieder vollständig frei war. Erst Ende Juli, also vier Monate nach der Havarie, fuhr die Ever Given in den Hafen von Rotterdam ein.

Rotterdam, Niederlande | Ankunft des Containerschiffs Ever Given
Am 29. Juli, kurz nach 5 Uhr morgens, war der Unglücksfrachter endlich am ZielBild: Remko de Waal/ANP/picture alliance

Zwischenzeitlich wurden in China erneut Häfen teilweise oder ganz geschlossen, darunter Shenzhen-Yantian, der viertgrößte Containerhafen der Welt. "Experten gehen davon aus, dass der Abbau des entstandenen Rückstaus allein in diesem Fall von Juli an gerechnet mindestens drei Monate dauern wird", sagt Jens Hildebrandt. Auswirkungen werde auch die derzeitige Teilschließung des Hafens in Ningbo haben. Über das betroffene Terminal würden vor allem chemische Produkte ausgeliefert. "Das werden wir spüren", sagt Hildebrandt.

Viele Aufträge bleiben liegen

Laut der DIHK-Umfrage rechnet nur knapp ein Fünftel der Unternehmen bis zum Jahreswechsel mit einer Verbesserung der Situation. 53 Prozent der Unternehmen erwarten dagegen erst ab 2022 eine Einspannung. Ein Viertel kann nicht einschätzen, wann sich Lieferzeiten oder Preise normalisieren werden. "Wir sehen hier aktuell sehr große Unsicherheiten", so Treier. "Die weltweiten Handelswege sind massiv gestört und die internationale Arbeitsteilung befindet sich in einem hohen Maß in Unordnung."

Infografik Unternehmen Probleme DE

In der Umfrage geben 42 Prozent der Unternehmen an, dass sie bestehende Aufträge nicht abarbeiten können, 17 Prozent müssen neue Aufträge bereits ablehnen. Ein Viertel der Unternehmen muss aufgrund der Lieferschwierigkeiten seine Produktion drosseln oder sogar stoppen. Bei 43 Prozent der Unternehmen führt die aktuelle Situation zu Umsatzausfällen. "Es wird gerade der Konjunkturaufschwung ausgebremst", warnt Volker Treier. Mit einem Erreichen des Vorkrisenniveaus in der deutschen Wirtschaftskraft sei, "wenn es gut läuft", nicht vor Mitte 2022 zu rechnen.

Auch die Wirtschaft hatte Ortskräfte in Afghanistan

Bei der Vorstellung der DIHK-Umfrage in Berlin ging der Außenwirtschaftschef auch auf die Lage in Afghanistan ein. Nach der Machtübernahme der Taliban gebe es vereinzelt Anfragen von Unternehmen, ihre afghanischen Mitarbeiter auszufliegen. "Das sind jetzt nicht eine Masse von Menschen, aber es gibt sie. Wir versuchen, über das Krisenzentrum im Auswärtigen Amt auch diese Menschen herauszubekommen."

Der DIHK rechnet damit, dass der Handel mit Afghanistan nun zum Erliegen kommt. "Das zarte Pflänzlein ist jetzt in sich zusammengebrochen", so Treier. Allerdings bewegten sich die deutsch-afghanischen Wirtschaftsbeziehungen nur auf niedrigem Niveau. 2020 wurden Waren im Wert von 70 Millionen Euro nach Afghanistan geliefert, insbesondere Fahrzeuge und Kfz-Teile, Maschinen, Anlagen und Nahrungsmittel.