Urteil im Politkowskaja-Fall
15. Dezember 2012Mehr als sechs Jahre nach der Ermordung der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist am Freitag (14.12.2012) in Moskau ein Ex-Polizist zu elf Jahren Straflager wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden. Der ehemalige Polizeileutnant Dmitri Pawljutschenkow hat gestanden, gegen Bezahlung die Mordwaffe für den Mörder besorgt zu haben.
Ungeachtet des Protestes der Familie von Anna Politkowskaja hat die russische Justiz in dem Verfahren eine Vereinbarung mit Pawljutschenkow getroffen. Sie ermöglichte es den Richtern, einen Strafnachlass zu gewähren, weil der Ex-Polizist in den Vernehmungen seine Beteiligung an der Tat eingeräumt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft verlangt.
Noch immer keine Aufklärung
Gegen den eigentlichen Todesschützen wird in Moskau immer noch ermittelt. Der Tschetschene Rustam Machmudow und vier andere Verdächtige befinden sich in Untersuchungshaft. Machmudow soll nach Ansicht der Ermittler im Oktober 2006 der Journalistin im Treppenhaus ihres Wohnhauses aufgelauert und sie getötet haben.
Nach dem Urteil gegen Pawljutschenkow ist das Verbrechen immer noch nicht aufgeklärt. Denn es ist weiter unklar, wer den Auftrag zu dem Mord gegeben hat und aus welchen Motiven das Verbrechen geschah. Pawljutschenkow hat nach Angaben der Ermittlungsbehörden mitgeteilt, die Auftraggeber des Mordes lebten im Ausland. Es soll sich dabei um den ehemaligen russischen Oligarchen Boris Beresowskij und Achmed Sakajew, einen ehemaligen Sprecher der tschetschenischen Rebellen, handeln. Beide leben im Exil in Großbritannien. Sie sollen über einen Mittelsmann im Kaukasus den Mord an Politkowskaja beauftragt haben, um Putin zu schaden. Beresowskij ist bis heute ein scharfer Kritiker des russischen Präsidenten. In Russland wird er wegen Korruption und Geldwäsche per Haftbefehl gesucht.
Kritik von Menschenrechtlern und Journalisten
Russische Menschenrechtler und Journalisten bezweifeln, dass das Geständnis von Pawljutschenkow stimmt. Denn Beweise für seine Behauptungen gibt es nicht. Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Aleksejewa, monierte bereits zu Beginn des Verfahrens, die Vorwürfe gegen Beresowskij seien unsinnig: "Ich halte das für einen Trick der Ermittler, um von den wahren Auftraggebern abzulenken."
Sergej Sokolow, stellvertretender Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung "Nowaja Gaseta", für die Politkowskaja viele Jahre gearbeitet hatte, sagte nach Bekanntgabe des Urteils, vermutlich werde man den Namen des wirklichen Auftraggebers nie erfahren. "Es ist nicht so wichtig, ob Pawljutschenkow zu elf oder zu zwölf Jahren verurteilt wurde. Wichtiger ist, dass dieses Urteil einen Deal zwischen Pawljutschenkow und den Ermittlern legitimiert hat. Das nimmt uns jetzt die Möglichkeit, den Namen des Auftraggebers zu erfahren."
Auch Amnesty International kritisierte das Verfahren in Moskau. Die Menschenrechtsorganisation wies darauf hin, dass der Prozess im Eilverfahren in nur zwei Tagen abgeschlossen worden sei. Es seien keine Zeugen vernommen oder Beweise vor Gericht geprüft worden. "Wir fordern die Staatsanwaltschaft auf, die Wahrheit ans Licht zu bringen, auch wenn es politisch unbequem ist", erklärte John Dalhuisen von Amnesty International.
Kritische Berichterstattung
Politkowskaja hatte sich als investigative Journalistin einen Namen gemacht. Sie berichtete immer wieder kritisch über die Politik des Kremls, insbesondere in Tschetschenien. Immer wieder hatte sie über schwere Menschenrechtsverletzungen in der russischen Kaukasusrepublik geschrieben.
Die Ermittlungen der Behörden im Fall Politkowskaja kamen jahrelang nicht voran. Erst im Mai 2011 wurde in Tschetschenien der mutmaßliche Mörder gefasst. Pawljutschenkow wurde in diesem Verfahren lange nur als Zeuge geführt. Erst im Sommer 2011 wurde er verhaftet.