Vor Ort für Al Jazeera
27. Oktober 2002"Wir haben über Gott und die Welt geredet", beschreibt Aktham Suliman seine beiden Vorstellungsgespräche bei dem TV-Sender. Politische Präferenzen seien kein Thema gewesen. Der Syrer mit deutschem Pass überzeugte mit seinem Know-how: In Berlin studierte er Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Publizistik. Über vier Jahre berichtete er zudem für die Deutsche Welle aus dem Land, das zu seiner zweiten Heimat geworden ist. Auch jetzt bringt der 32-jährige Journalist der arabischen Welt Deutschland nahe.
Als einziger vor Ort
Die Ausstrahlung des ersten Bin-Laden-Videos machte Al Jazeera weltbekannt. Bereits vor dem 11. September an Kritik und Beschwerden gewöhnt, geriet der Sender aus dem Golf-Emirat Katar nun erst recht zwischen die Meinungsfronten: Den einen gilt er als "Bühne Bin Ladens", den anderen als "zionistisches Sprachrohr". Während des Krieges in Afghanistan hatten die Taliban nur einen TV-Sender zugelassen: Al Jazeera verbreitete seine Bilder von fehlgeleiteten Bomben und zivilen Opfern über Satellit. Deren Rechte kosteten westliche Medien Millionen.
"Wir waren vor Ort", fasste Youssef Al-Chouli, der als Sonderkorrespondent in Khandahar war, zum Jahrestag des 11. September im Interview mit der Zeitung "Le Monde" zusammen. Man kann dieses Fazit als ein geflügeltes Wort in der noch jungen Geschichte des Privatsenders betrachten.
Kontroverse Meinungen
Al Jazeera möchte nicht als Sprachrohr Bin Ladens wahrgenommen werden. Vielleicht auch deshalb betonte Aktham Suliman im Gespräch mit DW-WORLD immer wieder die journalistische Professionalität, mit der Al Jazeera ("Die Halbinsel") arbeite. 1996 übernahm der Emir von Katar für etwa 140 Millionen Dollar ein gescheitertes Projekt von BBC World, inklusive Rechten und Team. Er baute einen kritischen Nachrichtenkanal auf, der überall auf der Welt über Satellit zu empfangen ist: "Internationales arabisches Fernsehen, das hatte es vorher nicht gegeben", so Suliman. "Ansonsten dominieren in den arabischen Ländern staatliche Medien, die wenig professionell arbeiten."
Al Jazeera, erläutert Suliman, setze wesentlich auf Dialog. Die ungefilterte Darstellung konträrer Meinungen gehöre zum Konzept des Senders, der sich als "Barometer der arabischen Straße" verstehe.
Auch in der Öffentlichkeit westlicher Medien ist Al Jazeera für den Bruch mit politischen, gesellschaftlichen und religiösen Tabus bekannt.
Das arabische CNN
Als im August die irakische Botschaft in Berlin besetzt wurde, war Aktham Suliman vor Ort. Doch die Besetzer setzten sich direkt mit der Zentrale von Al-Jazeera in Verbindung, die ein Telefoninterview sendete.
Bislang berichtete Suliman über die Jahrhundertflut, das Flugzeugunglück am Bodensee oder die Bundestagswahlen. Auch das Wahlverhalten der arabischsstämmigen Bürger oder die Debatte um den Islamunterricht an deutschen Schulen gehört zu seinem Programm. Die Weltnachrichten von Al-Jazeera setzen sich aus solchen Berichten der etwa 50 Korrespondenten zusammen. "Wo die anderen sind, da sind wir auch", sagt Suliman.
Immer unterwegs
Ein Kooperationsabkommen zwischen dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) und Al Jazeera ermöglicht gegenseitigen Zugriff auf Bild- und Archivmaterial. Auch mit einem Büro halfen die Kollegen schon Mal aus. Irgendwo in Berlins Mitte gilt es nun, ein eigenes Büro zu eröffnen, beschreibt Suliman sein nächstes Ziel.
Oft wird er dort jedoch nicht anzutreffen sein. Meist ist er sowieso unterwegs. Einen Koffer mit mehreren Bändern Filmmaterial trägt er bei sich, sein "mobiles Büro". Immer dabei ist auch ein blauer Quader, den in arabischer Kalligraphie der gelbe Schriftzug "Al Jazeera" ziert. Alles andere - Kamera, Schnitt, Übertragung - lasse sich immer organisieren, auch direkt vor Ort.