Weltbank warnt China
28. Februar 2012
Wie wird die chinesische Wirtschaft in 20 Jahren aussehen? Vor welchen Herausforderungen steht das Riesenreich? Die Weltbank versucht in ihrem aktuellen Bericht "China 2030" Antworten auf diese Frage zu geben. Der Bericht soll "Empfehlungen für den mittelfristigen Wachstumspfad abgeben und China helfen, den Übergang zu einer Wohlstandsgesellschaft zu schaffen", so der Präsident der Weltbank Robert Zoellick.
Die von der chinesischen Regierung beauftragte Studie befasst sich mit vielen wirtschaftspolitisch kontroversen Themen. So sollten vor allem die Staatsbetriebe nach den Regeln der freien Marktwirtschaft arbeiten, fordert die Weltbank. Viele Unternehmer klagen in China, dass Staatsbetriebe ihre Monopolpositionen ausnutzen und die Konkurrenten mit unlauteren Mitteln aus dem Markt drängen. Dies führe dazu, dass privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen zunehmend in Wachstumsschwierigkeiten geraten. Ein Einbruch des Wachstums könnte China in eine Krise stürzen, warnt der Bericht.
Im Osten nichts Neues
Dass China vor einer möglichen Wirtschaftskrise steht, überrascht den in China lebenden Journalist und Buchautor Frank Sieren nicht. Der Weltbankbericht zeige jedoch, dass "die Krise vielleicht nicht ganz so sehr bevor steht, wie es von anderen Studien vorausgesagt wurde". Diese optimistische Grundhaltung wird auch geteilt von Rainer Gehnen, Geschäftsführer der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung in Köln. Für ihn besteht die chinesische Volkswirtschaft aus mehr als nur aus Staatsbetrieben. "Die Frage ist, was sonst noch in der Wirtschaft passiert."
Die Euphorie des Abendlands über das fast immer zweistellige Wachstum wird im Reich der Mitte mit Skepsis aufgenommen. Dort hält sich die Begeisterung einiger Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen in Grenzen. Für Hu Xingdou, VWL-Professor an der Technischen Universität in Peking, steht die Krise bereits vor der Tür. Schon in den nächsten drei bis fünf Jahren werde China diese große Krise zu spüren bekommen.
Zwar seien die Wirtschaftsdaten Chinas auf den ersten Blick gut und für alle Industrienationen sehr beneidenswert - immerhin wuchs die chinesische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent, aber das reale Wachstum sei nicht so dynamisch, wie die Statistik zeige, warnt Hu. Versteckte Probleme seien die Überkapazitäten in der produzierenden Industrie, sinnlose Bauvorhaben und politische Image-Projekte. Die letztgenannten, oft milliardenschweren öffentlichen Investitionen würden das reale Bruttoinlandsprodukt verfälschen, so Hu.
Sorgenkind Staatsbetriebe
Als Weltbankchef Zoellick 2010 China besuchte, beauftragte Chinas Vize-Ministerpräsident Li Keqiang die Weltbank mit der Studie "China 2030". Li ist in der Regierung für die Wirtschaftspolitik verantwortlich und wird als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten 2013 gehandelt. Sein Hauptaugenmerk, und somit der Kernauftrag der Weltbankstudie, widmet sich den Staatsbetrieben, denn sie kontrollieren den Energiesektor, die Rohstoffe, Telekommunikation und Infrastruktur. Die Staatsbetriebe sind der alles dominierende Faktor des öffentlichen Lebens. Nicht selten werden die Monopolisten von Familienmitgliedern höchster Parteifunktionäre verwaltet. Zugang zu günstigen Krediten der Staatsbanken und illegale Preisbildung sowie -absprachen lassen die Aktienkurse in die Höhe schießen.
Um erste Schritte gegen diese ungewöhnliche Wirtschaftspraxis zu unternehmen, empfiehlt die Weltbank eine Beaufsichtigung der Staatsbetriebe durch unabhängige externe Vermögensverwalter. Diese sollten sicherstellen, dass die Betriebe nach marktwirtschaftlichen Regeln handeln und politisch unabhängiger werden. Durch den Verkauf von nicht relevanten Geschäftsbereichen soll die private Konkurrenz gestärkt werden. "China muss die Rolle der Unternehmen im Staatsbesitz begrenzen, Monopole aufbrechen, die Besitzverhältnisse breiter streuen und die Hürden für Privatunternehmen senken", sagte Zoellick.
Widerstand der Parteikader
Sollte die Reform für den Staatssektor so eingeführt werden, wie es die Weltbank empfiehlt, steht für viele Parteikader der eigene Wohlstand auf dem Spiel. Die Wirtschaft steht offiziell zwar unter dem Zeichen des Kollektivs, tatsächlich aber haben die Parteiangehörigen jahrelang in ihre eigene Tasche gewirtschaftet. Selbst in der Zentralregierung ist der Bericht "China 2030" höchst umstritten. Laut Wall Street Journal hat die Aufsichtsbehörde für Staatsbetriebe (SASAC) bereits im Vorfeld die Autoren von "China 2030" scharf kritisiert und angekündigt, mögliche Reformschritte im Keim zu ersticken.
"Eindeutig ein innenpolitischer Machtkampf", urteilt der China-Kenner Sieren, "es gibt unterschiedliche Konzepte, wie man China weiter entwickeln soll. Die werden jetzt auch in der Öffentlichkeit diskutiert." Sieren ist mit dem Ökonom Hu derselben Meinung, dass sich die Auswirkung der Studie aufgrund divergierender Kräfte in Chinas Einparteisystem nur schwer voraussagen lässt. Schließlich hat allein die Zentralregierung die wirtschaftliche Zukunft des Landes in der Hand.
Autor: Jun Yan
Editor: Hao Gui