Radio Muezzin
9. März 2009Das Licht geht aus und plötzlich ertönt magisch schön der Ruf des Muezzin. Allahu Akbar tönt es nacheinander aus vier Ecken der dunklen Zuschauerraumes. Dor haben sie sich aufgestellt, die vier Muezzine aus Kairo, die heute Abend im Mittelpunkt stehen. Sie sind keine Schauspieler, sie sind echte Muezzine, vom schweizerischen Regisseur Stefan Kaegi mitten aus dem chaotisch bunten und vielschichtigen Leben der ägyptischen Hauptstadt gegriffen. Sie sind gekommen, um dem Berliner Publikum von ihrem Alltag zu erzählen. Zum Beispiel Hussein Gouda Hussein Badawi, der seit seiner Kindheit fast blind ist und dennoch ohne Stock durch sein Viertel in der Millionenmetropole geht, auf Gott vertrauend, wie er sagt. Er unterrichtet Kinder im Koranlesen und bildet Vorbeter aus. "Gute Schüler lobe ich, schlechte Schüler, die nicht lernen wollen, die schlage ich", erzählt er freimütig und präsentiert uns dann seine Familie, deren Fotos nun auf der Leinwand hinter ihm zu sehen sind.
Nach ihm stellen sich die anderen Muezzine vor, ein Elektriker, der früher in Saudi-Arabien auf Montage war und dann einen schweren Unfall hatte, ein Bauernsohn aus Oberägypten, für den die kleine Landparzelle seiner Familie nicht mehr ausreichte und Mohammed Ali Mahmoud Farag, der eigentlich Fußballer werden wollte und sich dann als Gewichtheber versuchte. Er ist studierter Jurist und Vizeweltmeister im Koranrezitieren und hält den Weltrekord im Dauerrezitieren. Überall auf der Welt hat er schon seine Kunst zum Besten gegeben, erzählt er und auf der Leinwand hinter ihm sieht man ihn in den Hauptstädten der islamischen Welt. Tatsächlich hat er eine wunderbare samtige Stimme.
Der Vizeweltmeister im Koranrezitieren
Mohammed Ali ist der einzige der vier Muezzine, dessen Stimme auch in Zukunft über den Dächern von Kairo zu hören sein wird, denn er gehört zu den dreißig Auserwählten, die demnächst über das Radio zum Gebet rufen werden. Mit dieser Vereinheitlichung soll der ohrenbetäubenden Kakophonie ein Ende gesetzt werden, die aus den Minaretten der 30.000 Moscheen Kairos erklingt. Die drei Muezzine fügen sich in ihr Schicksal. "Ich habe dazu keine Meinung", sagt der Bauernsohn, und der ehemalige Elektriker fügt schüchtern hinzu, für den Islam wäre es besser, wenn die Vielfalt erhalten bliebe. Doch die wird nun abgelöst von der samtweichen Stimme von Mohammed Ali, die etwas blechern aus dem Lautsprecher kommt, den ein Techniker auf die Bühne gestellt hat, um zu demonstrieren, wie sich das in Zukunft anhören dürfte.
Das Publikum im Berliner Hebbel-Theater ist angetan von der Inszenierung und spendet lang anhaltenden freundlichen Beifall. Auch in den Medien wird das Stück mit viel Zustimmung aufgenommen. "Es ist ein bisschen wie Tourismus im Sitzen, wie sanfter Tourismus natürlich", schreibt ein Kritiker und meint das durchaus positiv. So hat Stefan Kaegi von der Künstlergruppe Rimini-Protokoll ein Stück Kairo nach Berlin geholt und den Zuschauern eine Welt nahe gebracht, die sie meist nur aus den Nachrichten und oft nur im Zusammenhang mit Gewalt und Terror kennen. Selbst im multikulturellen Berlin kann man den Ruf des Muezzin nicht hören. Es gibt zwar 43 eingetragene Moscheen und ungezählte Hinterhof-Gebetsräume, und nur wenige Meter vom Hebbel-Theater entfernt hat die türkische Gemeinde Deutschlands ihren Sitz, laute Gebetsrufe aber sind in Berlin verboten.