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PolitikNahost

Werden Morde an Aktivisten im Irak verfolgt?

Cathrin Schaer
30. Mai 2021

Seit dem Ausbruch der Proteste 2019 im Irak müssen Oppositionelle um ihr Leben fürchten. Mindestens 30 Oppositionelle sind in den vergangenen Monaten ermordet worden. Doch nun könnte es eine Wende geben.

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Irak Bagdad | Demonstration am Tahrir-Platz
Plakat mit dem Aktivisten Ihab al-Wazni und dem Slogan: "Wer hat mich ermordet?"Bild: AHMAD AL-RUBAYE/AFP/Getty Images

Seit Monaten werden irakische Aktivisten, Analysten und Journalisten attackiert -  alles Gruppen, die sich im Land für politische Reformen aussprechen. Örtliche Menschenrechtsorganisationen gehen von 35 Morden allein in den vergangenen 18 Monaten aus - seitdem 2019 Proteste im Land ausgebrochen waren. Dazu kommen 82 Attentatsversuche.

Immer wieder versprach die irakische Regierung, den Taten nachgehen zu wollen, aufgeklärt wurde aber fast nie etwas. Unter den Todesopfern sind prominente Namen wie der des Aktivisten Ihab al-Wazni. Er hatte in der Stadt Kerbala im Süden des Irak Proteste organisiert. Er wurde Anfang Mai erschossen.

Im Juni 2020 machte auch der Mord an dem bekannten Sicherheitsanalysten Hisham al-Hashimi international Schlagzeilen. Andere bekannte Personen "verschwanden" einfach.

So etwa der Menschenrechtsanwalt Ali Jasb Hattab Aboud. Er wurde entführt, doch seine Spur verlor sich. Besonders tragisch: Abouds Vater, der vor irakischen Gerichten um Gerechtigkeit für seinen Sohn kämpfte, wurde im März 2020 erschossen.

Morde in der Öffentlichkeit

Einige der Morde, darunter die an al-Hashimi und dem Vater von Ali Aboud, wurden von Überwachungskameras aufgenommen. Die pixeligen Aufnahmen ähneln sich: Die Attentäter kommen meist auf Motorrädern oder in Autos und nähern sich dem Haus des Opfers. Sie ermorden ihr Opfer in aller Öffentlichkeit, manchmal sogar am helllichten Tage, ohne sich dabei um eventuelle Beobachter zu kümmern.

Irak | Kerzen für den erschossenen Hisham al-Hashemi
Mahnwache für den ermordeten Sicherheitsanalysten Hisham al-HashimiBild: SAFIN HAMED/AFP/Getty Images

Vieler der Opfer waren nicht nur kritisch gegenüber der Korruption im Irak. Sie wehrten sich auch gegen die Machtfülle der paramilitärischen Einheiten, den sogenannten "Populären Mobilisationskräften (PMF)".

Diese waren ursprünglich ins Leben gerufen worden, um die Extremisten des sogenannten "Islamischen Staats"zu bekämpfen, und werden finanziell und logistisch vom Iran unterstützt. Das Problem dabei: Obwohl der IS praktisch besiegt ist, bestehen die paramilitärischen PMF weiter. 

Viele der bedrohten Aktivisten glauben, dass die Morde und Entführungen auf das Konto von PMF-Kämpfern gehen oder von weniger bekannten Ablegern dieser Gruppen. Viele von ihnen gehen deshalb aus Sicherheitsgründen in den Untergrund, erzählen zwei im vertraulichen DW-Gespräch.

"Ich weiß, ich bin in Gefahr"

"Es gibt eine Kampagne gegen mich, in der mein Tod gefordert wird. Ich weiß, ich bin in Gefahr", sagt ein ehemaliger Demonstrant, der aufgrund von Morddrohungen seinen Namen nicht veröffentlicht wissen will. "Meine Familie leidet darunter. Es ist eine riesengroße Bürde für mich. Aber ich wehre mich dagegen, eine weitere Zahl in der Todesstatistik zu werden".

Beide Aktivisten erzählen, dass sie ihre Aktivitäten in den Social Media Netzwerken komplett heruntergefahren hätten. Ihre E-Mail-Adressen und Telefonnummern haben sie geändert. Andere schlafen aus Sicherheitsgründen jede Nacht woanders - mal bei Freunden, mal bei Verwandten.

Einige versuchen auch, das Land zu verlassen. Viele sind in die teilautonome Region Kurdistan geflüchtet. Dort haben das kurdische Militär und die kurdische Justiz die Oberhand, und die Paramilitärs von den PMF können folglich nicht so operieren wie im Rest des Iraks.

Die beiden Informanten der DW bestätigen, dass tausende Oppositionelle gen Norden geflüchtet seien, um den Morddrohungen zu entgehen. Teilnehmer von Demonstrationen, Anwälte, Journalisten und sogar Richter, die ihr Leben bedroht sehen.

Proteste in Basra nach Mord an Journalisten

Ermittlungserfolg der Behörden

"Es ist schon auffällig, wie wenige der Demonstranten, mit denen wir im Oktober 2019 in Kontakt waren, noch zuhause wohnen", sagt Belkis Wille von Human Rights Watch der DW. "Und die, die noch nicht die Wohnung gewechselt haben, sind zum Schweigen gebracht worden. Sie haben Angst, dass ihr Aufbegehren sie das Leben kosten könnte."

Im Irak stehen im Oktober landesweite Wahlen an. Manche der Demonstranten von 2019 hatten Parteien gegründet und wollten antreten. Doch das derzeitige Klima der Angst hat diese Graswurzelbewegungen verstummen lassen. 

Überraschend gelang den irakischen Behörden jedoch am Abend des 26. Mai ein Ermittlungserfolg. Sie setzen den PMF-Kommandeur Quassim Mahmoud Musleh fest, der hinter den Attentaten an den beiden Aktivisten in Kerbala stecken soll.

Hoffnung und Angst

Die erfolgreiche Aktion ist ein Hoffnungsschimmer für viele. Dennoch gehen die Meinungen zu der Festnahme auseinander. "Das sind gute Nachrichten, denn es könnte bedeuten, dass die Regierung jetzt wirklich etwas macht", sagt ein Ex-Journalist der DW, der sich in Bagdad im Untergrund befindet. "Aber natürlich herrscht weiter Angst, denn bislang ist wenig passiert."

Irak Bagdad | Antiregierungsproteste
Prangern die schleppende Aufklärung der Morde an: Demonstranten am 25. Mai in BaghdadBild: Hadi Mizban/AP/picture alliance

Tallal al-Hariri, einem der Gründer der neuen Partei "25. Oktober", fürchtet sich nach der Festnahme vor einer möglichen Racheaktion der Paramilitärs.  "Wir haben ja schon erlebt, wie sie Rache am Staat genommen haben", sagt al-Hariri. 

Al-Hariri bezieht sich dabei auf den Vorfall im Juni 2020, als 14 Tatverdächtige der PMF, die Raketen auf den Flughafen von Bagdad und die US-Botschaft abgeschossen haben sollen, kurz nach ihrer Festnahme wieder freigelassen worden waren. Und zwar nachdem die Paramilitärs Druck auf die Regierung ausgeübt hatten. "Ein absoluter Rückschlag für uns, denn das zeigt, dass wir nie sicher sein werden", so al-Hariri. "Der irakische Staat wird von innen her destabilisiert."

Irakische Regierung offen bedroht

Die PMF haben bereits gefordert, Musleh zurückhaben zu wollen. Einige Mitglieder haben sich sogar auf bedrohliche Weise in der streng bewachten "Grünen Zone" in Bagdad versammelt, wo Regierungsgebäude und ausländische Botschaften stehen. Irakische Sicherheitskräfte waren entsendet worden, um die Gegend vorher abzusichern.

Irak Bagdad | Einheit der PMF
PMF belagern am 26. Mai das Regierungsviertel in Baghdad - die sog. "Grüne Zone"Bild: Hadi Mizban/AP/picture alliance

Die PMF genießen in der Bevölkerung immer weniger Rückhalt, sagt der in Bagdad ansässige politische Analyst Mustafa Habib im Gespräch mit der DW. "Den guten Ruf, den sie sich im Kampf gegen den IS erarbeitet haben, haben sie schon wieder verspielt".

Der irakischen Öffentlichkeit sei vermutlich gar nicht so klar, in welcher Gefahr sich viele Aktivisten befänden. Habib: "Klar ist aber, dass die Paramilitärs sehr unpopulär sind. Wenn die Wahlen ohne Betrug vonstatten gehen, halte ich es für wahrscheinlich, dass sämtliche Parteien, die mit den Paramilitärs irgendwie zusammenarbeiten, an Unterstützung verlieren werden."

Aus dem Englischen adaptiert von Friedel Taube.