Militärisches Muskelspiel
17. September 2012Erstmals seit seiner staatlichen Unabhängigkeit hat Turkmenistan Anfang September Militärmanöver am Kaspischen Meer abgehalten. Im Einsatz waren See- und Luftstreitkräfte, aber auch Bodentruppen und Sondereinheiten des Sicherheits- und Innenministeriums. Geübt wurde die Abwehr eines Feindes, der nach einer militärischen Eskalation in der Region auf turkmenisches Gebiet vordringt, um dort militärische Anlagen auszuschalten, Handelsschiffe zu kapern sowie Raffinerien und Behörden zu besetzen.
Turkmenistan, das 1995 eine "immerwährende Neutralität" erklärt hatte, sei längst dabei, sich an der zunehmenden Militarisierung im Kaspischen Raum zu beteiligen, meinen Experten. Natalia Charitonowa, Koordinatorin des Joint Eurasian Expert Network "Jeen" weist darauf hin, dass im Frühjahr das Nachbarland Kasachstan erstmals ein Artillerieschiff aus eigener Produktion im Kaspischen Meer in Betrieb genommen hat. 2013 wolle Kasachstan seine Flotte um zwei ähnliche Schiffe erweitern. Parallel dazu würden auch Turkmenistan und Aserbaidschan ihre Militärpotenziale am Kaspischen Meer ausbauen. "Die aserbaidschanische Marine hat beim Zerfall der UdSSR mehr Ausrüstung übernommen als die turkmenische", berichtet die Moskauer Zentralasienexpertin. Deswegen, so Charitonowa, verstärke Aschgabat nun seine Flotte, vor allem mit Importen aus der Ukraine. Zusätzlich miete Turkmenistan iranische Schiffe an. Aserbaidschan wiederum setze auf eine militärtechnische Zusammenarbeit mit Israel.
Zunehmend verhärtete Fronten
Medienberichten zufolge hat Israel im vergangenen Jahr in Aserbaidschan eine Anlage zum Bau von Drohnen errichtet. Mit ihnen werden in der Region inzwischen Ölvorkommen überwacht, die sowohl Aserbaidschan als auch Turkmenistan und der Iran für sich beanspruchen. Aber auch entlang der aserbaidschanisch-iranischen Grenze werden die Drohnen eingesetzt. Gewartet werden sie von einheimischen und israelischen Kräften.
Zwischen Baku und Aschgabad herrsche inzwischen ein wahrer Rüstungswettlauf, meint Charitonowa. Die turkmenischen Manöver seien eine Antwort auf Militärübungen gewesen, die Aserbaidschan im April abgehalten habe. So sieht das auch Andrej Tibold, Chefredakteur des Amsterdamer Eurasia Energy Observer. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern hätten sich in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den Verhandlungen über eine transkaspische Leitung zum Transport von Erdgas Richtung Westen verschlechtert. "Die Europäische Kommission bemüht sich um eine Einigung zwischen Baku und Aschgabat zum Bau der Pipeline, aber Turkmenistan und Aserbaidschan zeigen kein Interesse", so Tibold.
Iran-Krise sorgt für Spannungen
Die tiefsten Gräben in der Kaspischen Region verlaufen aber Charitonowa zufolge zwischen Baku und Teheran. Der Iran verfüge über eine mächtige Flotte im Kaspischen Meer und baue gezielt Militäreinheiten auf, die umstrittene Meeresgebiete kontrollieren sollen. "Wie ein Damoklesschwert hängt eine mögliche Militäroperation Israels und seiner westlichen Verbündeten gegen den Iran über der gesamten Region und verstärkt dort die Spannungen", so die Expertin.
Dass Turkmenistan in der Lage sei, sein Territorium im Falle eines Konflikts zwischen dem Westen und dem Iran zu verteidigen, das hätten die jüngsten Manöver zeigen sollen, meint Zentralasien-Experte Tibold. Turkmenistan würde Aserbaidschan in einem solchen Konflikt als Verbündeten des Westens betrachten.Die Regierung in Aschgabad befürchte, Baku könnte seine Allianzen ausnutzen, um Turkmenistan in bestehenden Streitfragen unter Druck zu setzen. "Andererseits tritt Turkmenistan selbst als potenzieller Partner der NATO auf, wenn es etwa um einen Transportkorridor für Lieferungen nach Afghanistan geht", betont Tibold.
Faktor Russland
Die größte Flotte im Kaspischen Meer besitzt Russland. Aber selbst russische Militärs, so die Zentralasienexpertin Charitonowa, würden zugeben, dass die Schiffe technisch veraltet seien und modernisiert werden müssten. Doch jede Maßnahme, die Russlands Position am Kaspischen Meer stärken könnte, würde für Unruhe sorgen - weniger bei den direkten Nachbarn, sondern eher im Westen, meint Tibold vom Eurasia Energie Observer.
"Der Westen und Russland haben unterschiedliche Interessen im Kaukasus und in der an Ressourcen reichen Kaspischen Region. Sie zählt historisch gesehen zum Einflussbereich Russlands. Heute besteht das russische Interesse vor allem darin, die Stabilität am Kaspischen Meer aufrechtzuerhalten", unterstreicht der Amsterdamer Experte.