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Wie funktioniert der Gehirnchip von Neuralink?

30. Januar 2024

Hirnimplantate könnten großen Einfluss auf die menschliche Gesundheit haben. Jetzt hat Elon Musks Unternehmen Neuralink ein Implantat erstmals an einem Menschen getestet.

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Neuralink Illustration
Bild: Jonathan Raa/NurPhoto/picture alliance

Neuralink hat seinen ersten "Brain-Computer-Interface"-Chip (BCI) in ein menschliches Gehirn implantiert. Der Mitbegründer des Unternehmens, Elon Musk, schrieb am 29. Januar 2024 auf seiner Social-Media-Plattform X, die Ergebnisse seien "vielversprechend".

Die Entwicklung hat acht Jahre gedauert: Seit seiner Gründung im Jahr 2016 ist das Unternehmen dabei, einen Computerchip zu entwickeln, der ins Gehirn implantiert wird und dort die Aktivität tausender Neuronen überwacht.

Der Chip - Telepathy genannt - besteht aus einer winzigen Sonde mit 1.024 Elektroden, die an flexiblen Fäden befestigt sind und dünner als ein menschliches Haar. Jede Elektrode zeichnet die elektrische Aktivität der Neuronen im Gehirn auf, "steuert" aber keine Neuronen.

Neuralink will nach eigenen Angaben Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Lähmungen helfen oder auch neurologisch bedingte Blindheit. Musk verbindet den Gehirnchip jedoch auch mit anderen Ambitionen, die an Science-Fiction denken lassen. "Die Zukunft wird seltsam sein", sagte Musk im Jahr 2020.

Neben der Behandlung von gesundheitlichen Problemen will Musk das Gehirn mit Computern verbinden, um an Informationen und Erinnerungen aus den Tiefen des Gehirns zu gelangen. Das erinnert an den Science-Fiction-Film "The Matrix" von 1999. 

Der Unternehmer Musk sprach aber auch davon, Menschen mit "Supervision" auszustatten und menschliche Telepathie zu ermöglichen. Dies könne der Menschheit helfen, in einem Krieg gegen künstliche Intelligenz zu siegen.

Sci-Fi oder Realität?

Aber sind die Science-Fiction-Ideen von Musk überhaupt realisierbar? Kurze Antwort: Nein.

"Wir können die Gedanken der Menschen nicht lesen. Die Menge an Informationen, die wir aus dem Gehirn entschlüsseln können, ist sehr begrenzt,ʺ sagte Giacomo Valle, ein Neuraltechniker an der Universität von Chicago in den Vereinigten Staaten.

Juan Alvaro Gallego, BCI-Forscher am Imperial College London, stimmt dem zu. Es sei schwer vorstellbar, dass BCIs noch zu unseren Lebzeiten Gedanken lesen könnten, so Gallego.

ʺDas grundlegende Problem ist, dass wir nicht wirklich wissen, wo oder wie Gedanken im Gehirn gespeichert werden. Wir können keine Gedanken lesen, wenn wir die dahinter stehenden neurowissenschaftlichen Zusammenhänge nicht verstehen,ʺ so Gallego im Gespräch mit der DW.

Ein Mann trägt eine Schädeldecke mit Elektroden; im Hintergrund ein Computerbildschirm
Musk stellt sich vor, dass die Menschen wie in der Matrix über Neuralink-Geräte an Apparaturen angeschlossen sindBild: Jean-Christophe Bott/dpa/picture alliance

Klinische Anwendungen von BCIs auf realen Grundlagen

Musk stellte die Neuralink-Technologie erstmals 2019 vor. Damals zeigte er ein Schwein, in dessen Hirn ein Neuralink-Chip implantiert war, und das Video eines Affen, der einen Tischtennisschläger mit seinen Gedanken steuert. Das Potenzial von BCIs geht jedoch weit über solche spielende Tiere hinaus.

Laut Gallego wurde die Technologie zunächst entwickelt, um die Kommunikation bei Menschen mit Wirbelsäulenverletzungen oder Erkrankungen wie dem Locked-in-Syndrom zu helfen. Beim Locked-in-Syndrom ist ein Patient oder eine Patientin bei vollem Bewusstsein, kann aber außer den Augen kein Körperteil bewegen.

"Wenn sich ihre innere Kommunikation in Worte auf einem Computer übersetzen ließe, wäre das lebensverändernd", sagte Gallego.

In solchen Fällen sind BCIs so konzipiert, dass sie elektrische Signale von Neuronen im motorischen Kortex aufzeichnen und an einen Computer senden, wo sie dann als Text angezeigt werden.

Es wird angenommen, dass der motorische Kortex normalerweise nicht am Denken beteiligt ist. Stattdessen werden hier Bewegungsanweisungen an den Körper gesendet, wie etwa die Bewegungen von Zungen- und Kiefermuskeln beim Sprechen.

Was die Elektroden wirklich aufzeichnen, ist ein motorischer Plan - genauer gesagt, das Endergebnis aller Verarbeitungen in verschiedenen Teilen des Gehirns (sensorisch, sprachlich, kognitiv), die erforderlich sind, um sich zu bewegen oder zu sprechen. BCIs zeichnen also nicht wirklich Gedanken auf, sondern vielmehr den Plan des Gehirns, hier einen Finger zu bewegen, dort ein Bein, oder den Mund zu öffnen, um einen "Aah"-Laut hervorzubringen. 

ʺDie Wissenschaftler haben auch gezeigt, dass sie die Absicht des motorischen Kortex lesen können, einen Buchstaben zu formen,ʺ sagt Gallego. Durch komplexe Modellierung [mit dem angeschlossenen Computer] konnten die gelähmten Teilnehmer 90 Zeichen pro Minute tippen, was ein Durchbruch war.ʺ

Ein Affe spielt mit einer Spielkonsole vor dem Hintergrund eines farnartigen Waldbodens
Ein Affe mit einem Neuralink-Implantat spielt mit seinen Gedanken Pong.Bild: Youtube.com/Neuralink

BCIs helfen Menschen, wieder zu fühlen und zu gehen

Ein weiterer Durchbruch gelang 2016, als Barack Obama, der damalige US-Präsident, Nathan Copelands Roboterhand schüttelte. Copeland, der nach einem Autounfall gelähmt war, spürte Obamas Händedruck, als würden sie sich Haut an Haut berühren.

ʺDies zeigte eine andere Fähigkeit von BCIs. Anstatt Elektroden zu verwenden, die das Gehirn aufzeichnen und die beabsichtigten Bewegungen interpretieren, stimulieren sie das Gehirn mit winzigen Strömen, um Empfindungen zu erzeugen,ʺ sagte Gallego.

Im Fall von Copeland wurde ein BCI namens Utah-Array in sein Gehirn implantiert, um die Funktion des gestörten Teils seines Nervensystems zu verbessern.

Das von einem Neuralink-Konkurrenten hergestellte Gerät wurde in seinen sensorischen Kortex implantiert und mit Sensoren am Ende seiner Roboterhand verbunden.

Als Copeland Obama die Hand schüttelte, sendeten diese Sensoren Signale, die Elektroden im sensorischen Kortex veranlassten, die "Hand"-Region des Gehirns zu stimulieren. So konnte Copeland die Hand des Präsidenten "fühlen".

Darüber hinaus wurde einem Patienten mit einer durch einen Fahrradunfall verursachten Rückenmarksverletzung eine Gehirn-Wirbelsäulen-Schnittstelle eingesetzt. Sie ermöglichte es ihm, wieder natürlich zu gehen.

Mithilfe des Geräts konnten sich die Signale des Gehirns mit den motorischen Regionen des Rückenmarks unterhalb der Schädigung verbinden und so die Verletzung überbrücken.

Diese neuen Fähigkeiten von BCIs stellen die nächste Generation der Tiefenhirnstimulation dar, einer Behandlung, bei der Elektroden in Bereiche des Gehirns implantiert werden, um Menschen mit Bewegungsstörungen zu helfen.

ʺDiese Technologien gibt es schon seit einiger Zeit. Die tiefe Hirnstimulation wird seit den 1990er Jahren bei Tausenden von Parkinson-Patienten genutzt", sagte Gallego.

Gehirnchirurgie wirklich für alle? 

Bislang werden BCIs wie Neuralink und das Array aus Utah nur in speziellen Einzelfällen eingesetzt.

ʺAlle klinischen Anwendungen von BCIs befinden sich noch im Forschungsstadium und werden noch nicht in die klinische Praxis umgesetzt,ʺ sagte Neuraltechniker Valle.

Neuralink hatte im vergangenen Jahr versucht, von der US-Arzneimittelbehörde eine Genehmigung für die Erprobung seiner Technologie am Menschen zu erhalten. Die Behörde lehnte den Antrag allerdings unter Hinweis auf erhebliche Sicherheitsbedenken ab. Die FDA-Zulassung wurde schließlich im Mai 2023 erteilt.

Gehirnchirurgie ist kein Kinderspiel. Selbst wenn der erforderliche invasive Eingriff zur Verknüpfung von BCI an das Gehirn gut verläuft, besteht noch lange nach der Implantation die Gefahr einer Infektion oder einer Abstoßung des Geräts durch das Immunsystem.

Langfristig, so Valle, werfen BCIs "eine Reihe von ethischen Bedenken" auf, die von Forschern, Unternehmen, Fördereinrichtungen, Regulierungsbehörden und den Nutzern selbst sorgfältig geprüft werden müssen. 

 

Redaktion: Clare Roth, Zulfikar Abbany

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 5. April 2023 veröffentlicht. Er wurde zuletzt am 30. Januar 2024 mit Informationen über den ersten Versuch von Neuralink am Menschen aktualisiert.